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Strom und Zucker schießen keine Tore
SPORT | FUSSBALL (10.11.2010)
Von Michael Billig
Ein paar Milane kreisen über dem City Stadium von Nairobi. Ihre Schatten huschen über den dunkelgrünen Kunstrasen, auf dem sich die Fußballmannschaften von Stima und West Kenya Sugar gegenüber stehen. Was auf dem Platz passiert, ist für einen Mzungu (Swahili: Fremden) aber längst nicht so spannend wie das Drumherum.

M. Billig

Blick ins City Stadium von Nairobi (c) M. Billig

50 Zuschauer haben sich an diesem Samstagnachmittag ins City Stadium der Millionen-Metropole Nairobi verirrt. Durch eine Tür wurden sie in die Spielstätte geschleust. An dem schmalen Eingang stehen zwei Männer. Einer, der die Eintrittkarten verkauft und einer, der sie kontrolliert. Weil Jobs in Kenia rar sind, versucht man die anfallende Arbeit eben auf möglichst viele Schultern zu verteilen. Für 50 Schilling (knapp 50 Cent) bekommen die Besucher Einlass. So steht es auch mit Kreide auf einer Anzeigetafel vor dem Stadion geschrieben. Sie kündigt das Pokalmatch zwischen Nairobi Stima und West Kenya Sugar für 3 p.m. an.

Los geht's, wenn der Schiri pfeift. Und der nimmt es mit der Zeit nicht so genau. Früher als geplant ruft er die Mannschaften zusammen. Die Spieler laufen ein und klatschen einander ab. In den nächsten 45 Minuten sieht es dann so aus, als hätten sie einen Nicht-Angriffspakt vereinbart. Stima (Kisuaheli: Strom), die Elf des hauptstädtischen Energieversorgers, ist ein Totalausfall. West Kenya Sugar bleibt jeden Spielwitz schuldig, von Zuckerpässen keine Spur. 0:0 zur Pause. Tore verspricht ein Ortswechsel.

Im nur sechs Kilometer entfernten Nyayo Stadium haben die A.F.C. Leopards ein Heimspiel. Ein paar Augenpaare lugen durchs Stadiontor. Der Eintritt ins schmuckere Nyayo Stadium ist 50 Schilling teurer als ins abgehalfterte City Stadium. Nur wenige können oder wollen so viel bezahlen, der durchschnittliche Tageslohn in Kenia liegt bei unter zwei Euro. Rund 500 Menschen sind aufs weite Rund verstreut, 15.000 hätten Platz gefunden. Auf den Rängen spielen vier unermüdliche Trommler den immer gleichen Rhythmus. Zwischendurch ist auch eine einsame Vuvuzela zu vernehmen. Das Geschäft der kleinen Jungen, die Erdnüsse an die Zuschauer verkaufen, läuft schleppend. Auch die Leoparden lahmen. Im Pokalduell mit Thika United, einem Team aus dem Norden des Landes, fallen lange Zeit keine Tore. Auf dem Rasen rumpelt die Partie so vor sich hin.

Spieler boykottieren Training

Fußball – das ist in Kenia eine trostlose Angelegenheit. Die 1.Liga, die sogenannte Kenyan Premier League, setzt sich großenteils aus Betriebssportmannschaften zusammen. Die Spieler sind Angestellte in den Firmen, für die sie kicken, etwa beim Bierhersteller Tusker oder eben Stima und West Kenya Sugar. Für sie gilt die Devise: Erst die Arbeit, dann das Training. Auch aus Armee und Paramilitärs rekrutieren sich zwei Mannschaften. Spieler, die mit Fußballspielen Geld verdienen, sind in dem ostafrikanischen Land die Ausnahme. Bei den A.F.C. Leopards stehen die Gehälter schon seit ein paar Monaten aus. Die Mannschaft hat deshalb das bitter nötige Training boykottiert. Die Folgen der vereinsinternen Querelen sind im Nyayo Stadium unübersehbar.

Wenn die Leoparden an dieser Stelle gegen Gor Mahia FC antreten, den anderen richtigen Klub in Liga eins, dann sei das Stadion rappelvoll*, schwärmt ein A.F.C.-Supporter. Ansonsten gehe es ihm wie allen fußballbegeisterten Kenianern: Wer Spitzenfußball sehen will, guckt englische Liga im Fernsehen. Nicht einmal die Harambee Stars, wie die kenianische Nationalmannschaft von Anhängern und Medien genannt wird, erfreuen sich großer Popularität. Kein Wunder: Noch nie haben sie sich für eine Weltmeisterschaft qualifizieren können. Und während die Leopards doch noch das Tor des Tages schießen, setzen Kenias Auswahlspieler zur selben Zeit ihr erstes Qualifikationsspiel für den African Nations Cup 2012 in den Sand. Bei Fußball-Zwerg Guinea Bissau unterliegen sie mit 0:1.

Die Schlappe juckt außerhalb der kleinen Welt des kenianischen Fußballs aber sowieso niemanden. Wie das Spiel zwischen Stima und West Kenya Sugar ausgegangen ist, war tags darauf auch nicht in Erfahrung zu bringen.

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*Das diesjährige Duell der beiden Lokalrivalen wurde von einem Unglück überschattet. Bei einer Massenpanik - Zuschauer ohne Tickets strömten in der Halbzeit ins eh schon volle Nyayo Stadium - wurden sieben Menschen getötet. Ungeachtet dessen lief das Spiel weiter. Gor Mahia siegte dank eines verwandelten Elfmeters mit 1:0 (0:0).
   





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