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Zwischen Macht und Integrität
POLITIK | DEBATTE (15.04.2006)
Von Robert Laude
Die Partei Bündnis 90/Die Grünen veranstalten vom 1. bis 3. September 2006 in Berlin einen Zukunftskongress. Das hat die Partei auch nötig.

Bündnis 90/Die Grünen

Die Webseite zum Kongress: www.gruenerzukunftskongress.de. (c) Bündnis 90/Die Grünen

Das Motto des Kongresses lautet Wie gehtŽs nach morgen? Im Mittelpunkt stehen dabei die sechs Themen Arbeit der Zukunft, Europäische Einigung, "Weg vom Öl", Kinder- und Bildungspolitik, Gesellschaftspolitik und Integration sowie Gerechte Globalisierung. Grundlage der Diskussionen soll ein am 10. April vorgestelltes Thesenpapier der Parteivorsitzenden Reinhard Bütikofer und Claudia Roth sein, das den Titel "Grüner Blick nach vorne" trägt.

So einen Kongress hat die Partei auch nötig. Die Grünen stehen schlecht da. Ohne jegliche politische Macht, ohne die Beteiligung an auch nur einer einzigen Landesregierung, kämpfen sie nach dem Verlust der Bundestagswahl gegen die Gefahr des Bedeutungsverlustes.
Dabei ist es ja nicht so, als könnte man sich den Luxus leisten, auf eine ökologisch orientierte Partei wie die Grünen zu verzichten. Die Probleme, die von fast 30 Jahren zur Gründung der Partei führten, sind ja nicht gelöst - im Gegenteil!

Ur-Grüne Themen aktuell wie nie

Die Folgen des Klimawandels stehen uns immer deutlicher vor Augen und die abzusehenden und bald kaum noch zu beeinflussende Entwicklung wird uns noch vor riesige Probleme stellen. Das Ende der fossilen Brennstoffe ist zum Teil greifbar nah gerückt. Die Förderung von Öl wird zum Teil schon in wenigen Jahrzehnten nicht mehr den Bedarf decken können. Auch hier stehen besonders unsere westlichen Industriegesellschaften vor Umbrüchen, deren versuchte Lenkung gut vorbereitet sein will. Das Versiegen, bzw. die enorme Verteuerung des Öls wird gravierende Folgen für unsere gewohnte Lebensweise und Wirtschaftsordnung mit sich bringen, die in unser aller Leben und Alltag deutlich spürbar sein werden. In der Diskussion um Energiealternativen gewinnt auch die Atom-Lobby wieder Boden unter den Füßen. Wie auf die Weiterverbreitung von Atomwaffen reagiert werden soll ist im Moment noch völlig unklar. Und auch im Nord-Süd-Konflikt ist kein Ende abzusehen.

Eigentlich gibt es also genug Themen, mit denen sich die Grünen profilieren könnten. Doch hört man kaum etwas von der Partei zu diesen Problemen. Die radikal-ökologischen Standpunkte von damals, die harsche Kritik an Wachstumsideologie und naiver Technikgläubigkeit, der Pazifismus - die Grünen haben sich auf dem langen Weg an die Regierungsmacht von vielen ehemaligen Positionen verabschiedet. Das ist nicht nur allein ihre Schuld; es scheint unserem politischen und gesellschaftlichen System innezuwohnen, dass klare Standpunkte mehr und mehr zu einem Hindernis in der politischen Auseinandersetzung werden. Radikale Kritik wie sie noch in den 1980er Jahren formuliert wurde, wird heute gerne mit Vokabeln wie 'Alarmismus' und 'Schwarzseherei' desavouirt. Aber die Bezugsebene hat sich auch verschoben. Viel wichtiger als globale Fragen ist heute 'der Standort'. Damit es ihm gut geht und er ein möglichst großes Wachstum erzielt, ist er zu hegen und zu pflegen, muss ihm alles untergeordnet werden. Umweltpolitische Aspekte, die dem entgegenstehen könnten, stören da. Die Industriepolitik gibt den Ton an, auch wenn das alles andere als nachhaltig ist. Und heute huldigen die Grünen genau wie alle anderen Parteien dem Zauberwort, dem Fetisch 'Wachstum'. Aber vielleicht verdrängen wir ja auch alle nur zu gerne die geballten globalen Risiken, die immer komplexer und kaum noch lösungsfähig erscheinen. Und wer um seinen Job bangen muss, für den stellen sich Umweltfragen leicht als zu vernachlässigenden Luxusproblem dar, dem man sich erst wieder widmen kann, wenn die Wirtschaft läuft. Ökonomische Nachhaltigkeit kommt vor ökologischer Nachhaltigkeit.

Wir alle denken zu kurzfristig

Wir alle sind zu sehr auf kurzfristiges Denken eingestellt, langfristige Folgen unseres Tuns blenden wir lieber aus. So ist die Entwicklung der Grünen auch ein Spiegel für das gesamtgesellschaftliche Bewusstsein. So macht die Strategie der Grünen machtpolitisch ja auch Sinn. Denn als Partei ist sie auf einen möglichst großen Stimmenanteil angewiesen. Doch würde man Ernst machen mit der Kritik an unserer auf Umweltverschmutzung angelegten Wirtschafts- und Lebensweise, so müssten die Lösungsvorschläge radikaler und grundsätzlicher ausfallen, als uns das allen lieb sein dürfte.
1990, als die deutsche Einheit das alles überragende Thema war, setzten die Grünen im Wahlkampf auf Umweltthemen - und verpassten Prompt den Einzug in den Bundestag. Das war der Partei eine Lehre.

Neue Perspektiven seit der Bundestagswahl

Gleichwohl tun sich seit der letzten Bundestagswahl ganz neue Perspektiven für die Grünen auf. Vom rot-grünen 'Projekt' genauso enttäuscht wie die SPD, werden neue potentielle Koalitionsmöglichkeiten erwogen. Und tatsächlich könnten die Grünen in Zukunft eine ähnliche Rolle als Mehrheitsbeschaffer spielen, wie es lange Zeit die FDP tat. Egal ob rot-rot-grüne, schwarz-gelb-grüne oder rot-gelb-grüne Koalition - auf die Grünen kommt es an. Die Aussicht auf diese Machtposition ließ die Grünen ihre Wahlniederlage dann auch einigermaßen optimistisch verkraften und diese Scharnierfunktion in der Mitte werden die Grünen auch nicht aufgeben. Doch diese Position in der Mitte macht auch eine gemäßigte Politik der Mitte nötig. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Blick auf die Grünen-Wähler. Das sind ja schon lange nicht mehr die Alternativen, Fundis und Ökopaxe. Im Gegenteil: keine Partei in Deutschland hat heute bürgerlichere und urbanere Wähler. Die Wähler der Grünen verfügen durchschnittlich über das größte Einkommen und die beste Bildung, sie reisen länger und häufiger als andere Gruppen, viele von ihnen arbeiten im gehobenen öffentlichen Dienst und Dienstleistungssektor und wohnen in den städtischen Altbauquartieren. Der Stimmenzuwachs der Selbstständigen und Unternehmer ist ständig gewachsen. Und keine andere Partei wird so wenig von Arbeitern und Arbeitslosen gewählt wie die Grünen. Das schlägt sich natürlich in der Politik nieder.

Die Gefahr der Mitte

Doch diese Scharnierfunktion in der Mitte bringt auch Gefahren für die Grünen mit sich. Die Gefahr der Konturlosigkeit, des Opportunismus etwa. Doch gerade für Grünen ist die Aura des Unkonventionellen, die programmatische Klarheit und das hartnäckige Verteidigen von Ökologie, Pazifismus und Liberalität von existenzieller Bedeutung. Das ist der Kern ihrer Markenidentität. Die Anhänger der Grünen verlangen von der Partei komplexe und nachhaltige Lösungsvorschläge, keine inhaltsleeren und beliebig wandelbare Parolen.

Die Grünen stecken also in einem Dilemma. Es wird interessant sein zu verfolgen, welche Fragen sich die Grünen auf ihrem Zukunftskongress stellen und wie die Antworten aussehen werden. Der Spagat zwischen politischer Mitte und Macht einerseits sowie Integrität und Inhalten wird jedenfalls nicht leicht werden.

Weiterführende Links
http://www.gruenerzukunftskongress.deDownloadmöglichkeit für das Thesenpapier
   





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