Studium und Wehrpflicht
GESELLSCHAFT | DEBATTE (15.10.2007)
Von Peter Tobiassen | |
Die Wehrpflicht ist in der Diskussion. Ende Oktober 2007 wird die SPD auf dem Parteitag darüber entscheiden, ob sie sich von den bisherigen Zwangseinberufungen zum Militär und zum Zivildienst verabschiedet und zukünftig nur noch diejenigen einberuft, die sich freiwillig zum Dienst melden. Wenn dieses Modell Realität wird, werden viele gesellschaftliche Verwerfungen abgemildert, die heute von der Wehrpflicht mit verursacht werden, zum Beispiel der Mangel an Ingenieuren und Naturwissenschaftlern. "Gerade im Hinblick darauf, dass nach den jüngsten Studien in den nächsten Jahren nicht nur Ingenieure und Naturwissenschaftler, sondern Akademiker insgesamt fehlen werden, können wir uns solche bürokratischen Hürden für Hochschulabsolventen nicht mehr länger leisten. Auf jegliche Vorrangprüfung sollte daher - jedenfalls in Regionen mit Fachkräftemangel - verzichtet werden, wenn der Hochschulabsolvent einen seiner Ausbildung entsprechenden Arbeitsplatz nachweisen kann." [1]. Es geht um ausländische Hochschulabsolventen, die nach dem Studium in Deutschland bleiben sollen, wenn sie einen Arbeitsplatz gefunden haben. Das ist zu begrüßen. Deutsche Wehrpflichtige hingegen, die ihr Studium abgeschlossen haben, können von einer solchen Unterstützung aus der CDU/CSU nur träumen. Bei ihnen heißt das Ergebnis der "Vorrangprüfung" immer: Sinnlose Wehrpflicht hat Vorrang vor sinnvoller Berufstätigkeit. Die Probleme der Wehrpflichtigen sehen zum Beispiel so aus: "Das Problem ist jetzt für mich, das ich aufgrund des Studiums und der Diplomarbeit ein sofortiges Arbeitsangebot als Ingenieur bekommen habe, wobei ich Ende August bereits anfangen kann. Was soll ich machen? Arbeitsangebot ablehnen und hoffen, das ich die sechs Monate - bis ich 25 und nicht mehr einberufbar bin - als Werkstudent in der Firma überbrücken kann? Oder stehen mir bei einem Arbeitsantritt noch andere Möglichkeiten zur Verfügung?" [2]. "Am 30.9.2007 endet mein Studium zum Diplom-Ingenieur Elektrotechnik. Nun soll ich ab 1.10.2007 Zivildienst leisten. Ich habe nun ein Vorstellungsgespräch und meine Chancen stehen sehr gut, dass ich ab Oktober wohl auch eine feste, unbefristete Stelle haben kann. Sehen Sie eine reelle Möglichkeit für mich, dass ich statt im Zivildienst als Ingenieur arbeiten kann." [3]. Die offizielle Antwort ist: Keine Chance auf die feste Stelle. Bettenschieben im Zivildienst oder Schützengräben ausheben im Wehrdienst haben in Deutschland Vorrang vor der Tätigkeit als Diplomingenieur - auch wenn es die Wirtschaft 20 Milliarden Euro kostet [4]. Die Antwort der Beratungsstellen für Wehrpflichtige ist: Es findet sich meistens ein Weg, um Schaden von der Wirtschaft fernzuhalten und den Berufseinstieg der Wehrpflichtigen zu sichern. Bundeswehr und Zivildienst müssen verzichten lernen. (c) www.zentralstelle-kdv.de/z.php?ID=277 Immer wieder versuchen die Behörden, Wehr- und Zivildienstpflichtige aus den ersten beiden Semestern eines Studiums heraus einzuberufen. Rechtlich ist das bis zum letzten Tag des zweiten Semesters zugelassen [7], man könnte fast sagen: Bundestag und Bundesregierung haben kein Interesse an einem ungestörten Ausbildungsverlauf. "Hallo! Ich studiere im ersten Semester an der Universität. Ich habe vor kurzem meinen Musterungsbescheid erhalten. Kann die Bundeswehr mich zwingen, mein Studium abzubrechen? Ich habe ohnehin vor, falls ich tauglich bin, Zivildienst zu machen. Müsste ich dafür ebenfalls mein Studium abbrechen? Oder kann ich alles so verzögern, dass ich im dritten Semester bin, wenn die Bundeswehr mich mustern will? Es wäre für mich und meine Familie sozial nicht tragbar, wenn ich das Studium abbreche!" [8]. Eine Musterung ist noch keine Einberufung und bedeutet noch lange nicht, dass tatsächlich einberufen wird. Von daher konnte die Zentralstelle KDV dem Ratsuchenden im Januar 2007 einfach helfen. Inzwischen ist er im dritten Semester und zurückgestellt. Musterung kurz vor dem Studium oder während des Studiums Das ging in diesem Fall so: Intern haben die Wehr- und Zivildienstverwaltungen geregelt, dass niemand aus der Vorlesungszeit eines Semesters heraus einberufen werden soll. Damit ist die Zeit vom 15.10. bis zum 15.2. und vom 15.4. bis zum 15.8. für Dienstantritte zum Wehr- und Zivildienst quasi gesperrt. Die Bundeswehr beruft nur zum Quartalsbeginn ein, also zum 1.1., 1.4., 1.7. und 1.10. eines Jahres. Wer sein Studium im Oktober schon begonnen hat, kann folglich zum Wehrdienst nur noch zu einem einzigen Termin einberufen werden, nämlich zum 1.4., der in der vorlesungsfreien Zeit zwischen dem ersten und zweiten Semester liegt. Der 1.1. scheidet aus, weil er mitten im ersten Semester liegt und der 1.7., weil dann die Vorlesungen des zweiten Semesters noch laufen. Am 1.10. ist bereits der erste Tag des dritten Semesters, das dann schon gesetzlich geregelt vor einer Einberufung schützt. Für Kriegsdienstverweigerer ist die Situation nicht ganz so günstig. Der Zivildienst beruft monatlich ein. Da es gesetzlich nicht verboten ist, auch den letzten Sonntag im zweiten Semester zum Einberufungstag zu machen, schrecken die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bundesamt für den Zivildienst nicht davor zurück, auch zum 30.9. noch einberufen, wenn das dritte Semester am 1. Oktober beginnt. Was ist also zu tun, wenn die Musterung im ersten Semester stattfindet? Zunächst lassen sich nur Einladungen zur Musterung als zugestellt nachweisen, die per Einschreiben kommen. Erst auf diese muss man tatsächlich reagieren. Weiter ist es so, dass ein Einberufungsbescheid vier Wochen vor Dienstantritt beim Dienstpflichtigen sein muss, dieser aber erst ausgestellt werden darf, wenn der Musterungsbescheid vollziehbar ist, also auch über den Widerspruch gegen das Musterungsergebnis entschieden wurde. Da Sascha, der Student mit dem Eintrag im Schwarzbuch Wehrpflicht, erst im Februar gemustert werden sollte, war die Sache einfach. Erste Musterungsladung ignorieren, zum zweiten Termin Anfang März erscheinen. Schon bei der Musterung hat er dann die Zurückstellung bis zum Ende des Studiums bekommen, weil eine Einberufung zum April nicht mehr möglich war und zum Juli nach den verwaltungsinternen Vorschriften ausgeschlossen war. Einberufung aus den ersten beiden Semestern der Studiums verhindern "Zurzeit studiere ich BWL auf Diplom an der Universität in Trier. Heute habe ich den Einberufungsbescheid für den Grundwehrdienst zum 2.4.07 bekommen. Ich will aber nicht zur Bundeswehr! Ich möchte mein Studium an einem Strang durchziehen. Außerdem besuche ich Vorlesungen, die über mehrere Semester laufen. Zudem bin ich im letzten Studienjahrgang der mit einem Diplom abschließt. Wenn ich jetzt abgehe, muss ich an schließend auf Bachelor studieren und so von Null anfangen. Also, wie kann ich im Nachhinein verweigern?" [9]. Auch dieser Fall ließ sich lösen, obwohl die Einberufung zum Grundwehrdienst mit Dienstbeginn zwischen dem ersten und dem zweiten Semester schon zugegangen war, aber rechtlich gesehen noch nicht als zugestellt galt. Einberufungsbescheide kommen üblicherweise als Einschreibebriefe. Und die gelten nach dem Verwaltungszustellungsgesetz [10] im Regelfall erst mit Ablauf des dritten Tages nach Aufgabe zur Post als zugestellt. Ein Kriegsdienstverweigerungsantrag hat einberufungshindernde Wirkung [11], wenn er vor Zustellung des Wehrdienst-Einberufungsbescheides beim Kreiswehrersatzamt eingeht. Das lässt sich meist leicht organisieren. Der Postbote bringt den Einberufungsbescheid üblicherweise am ersten Tag nach Aufgabe zur Post. Es bleiben dann noch etliche Stunden, um den KDV-Antrag persönlich beim Kreiswehrersatzamt abzugeben oder per Fax zu übermitteln. Der rechtlich noch nicht als zugestellt geltende Einberufungsbescheid muss dann wieder aufgehoben werden. Eine neue Einberufung ist erst möglich, wenn über den KDV-Antrag abschließend entschieden wurde. Ob das schnell passiert oder bis zu einem Jahr und länger dauert, hat jeder Kriegsdienstverweigerer selbst in der Hand. Für die Bearbeitung des KDV-Antrags sind zwei Unterlagen - Lebenslauf und Darlegung der Gewissensgründe - nötig. Gehen diese nicht mit dem Antrag ein, erfolgt eine Aufforderung, die Unterlagen innerhalb eines Monats einzureichen. Geschieht das nicht, muss der KDV-Antrag abgelehnt werden. Dagegen kann innerhalb eines Monats Widerspruch eingelegt werden. Wird der Widerspruch nicht begründet, erfolgt die Aufforderung, eine Begründung innerhalb eines Monats einzureichen. Geht keine Widerspruchsbegründung ein, muss der Widerspruch zurückgewiesen werden. Gegen diese Entscheidung kann innerhalb eines Monats Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht werden. Bis das Verwaltungsgericht entscheidet, ist meistens schon das vierte oder fünfte Semester erreicht, ganz sicher aber das dritte Semester und damit der Zurückstellungsanspruch für das Studium. Insbesondere Jurastudenten dürften an diesem Verfahren Vergnügen haben - learning by doing. Wer in Unkenntnis eine Einberufung zum Grundwehrdienst hinnimmt, dem kann folgendes passieren: "Ich wurde jetzt am 2.1. zum Grundwehrdienst eingezogen. Mein Studium (1. Semester) habe ich für den Dienst abbrechen müssen. Bei der Eingangsuntersuchung wurde jetzt festgestellt, dass ich damit auf keinen Fall weiter verwendet werden darf. Jetzt werde ich demnächst ausgemustert und aus dem Wehrdienst wieder entlassen. Ich habe kein Studium mehr und kann auch vorerst keine Ausbildung beginnen. Zivildienst darf ich auch nicht ableisten, um mich finanziell über Wasser halten zu können. Was soll ich tun?"[12]. Auch hier hat der Rat der Zentralstelle KDV geklappt. Sofort zur Uni gehen und sich zum Studium zurückmelden. Wichtig ist dafür, dass das Studium nicht durch eine Exmatrikulation beendet wird, sondern wegen des Wehr-/Zivildienstes nur ruht. Dann kann man jederzeit, wenn der Wehr-/Zivildienst vorzeitig beendet wird, in das Studium zurückkehren. Was in den drei Beispielsfällen einfach und eindeutig erscheint, ist in der Realität häufig doch komplizierter. Deshalb ist der rechtzeitig eingeholte Rat einer Fachstelle meistens der Schlüssel zum Erfolg. Betroffene können sich jederzeit an die Hotline der Zentralstelle KDV wenden. (c) privat Autor Peter Tobiassen war Geschäftsführer der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen e.V. -------------------------------------------------------------------------------------- [1] CDU/CSU-Bundestagsfraktion: "Ausländischen Hochschulabsolventen ein faires Angebot machen", Presseerklärung vom 22.8.2007 [2] http://www.forum-wehrpflicht.de/probleme-...4114, Anfrage vom 14.8.2007 [3] http://www.forum-wehrpflicht.de/probleme-...3931, Anfrage vom 19.7.2007 [4] "Studie des Wirtschaftsministeriums - Fachkräfte-Mangel kostet jährlich 20 Milliarden", Süddeutsche Zeitung vom 20.8.2007 [5] http://www.Zentralstelle-KDV.de [6] Quelle: http://www.zentralstelle-kdv.de/z.php?ID=277 [7] § 12 Absatz 4 Wehrpflichtgesetz: (4) "Vom Wehrdienst soll ein Wehrpflichtiger auf Antrag zurückgestellt werden, wenn die Heranziehung zum Wehrdienst für ihn wegen persönlicher, insbesondere häuslicher, wirtschaftlicher oder beruflicher Gründe eine besondere Härte bedeuten würde. Eine solche liegt in der Regel vor, ... 3. wenn die Einberufung des Wehrpflichtigen ... b) ein Hochschul- oder Fachhochschulstudium, in dem zum vorgesehenen Diensteintritt das dritte Semester bereits erreicht ist,... unterbrechen ... würde." [8] "Musterung / Erstsemester" - Anfrage von Sascha am 28.1.2007, Schwarzbuch Wehrpflicht, Seite 42 [9] Einberufung während des Studiums - Anfrage von d. bwl am 9.1.2007, Schwarzbuch Wehrpflicht, Seite 44 [10] Verwaltungszustellungsgesetz: § 4 "Zustellung durch die Post mittels Einschreiben (1) Ein Dokument kann durch die Post mittels Einschreiben durch Übergabe oder mittels Einschreiben mit Rückschein zugestellt werden. (2) Zum Nachweis der Zustellung genügt der Rückschein. Im Übrigen gilt das Dokument am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, dass es nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang und dessen Zeitpunkt nachzuweisen. Der Tag der Aufgabe zur Post ist in den Akten zu vermerken." [11] Kriegsdienstverweigerungsgesetz: § 3 "Folgen des Antrags (1) Die Antragstellung nach § 2 hindert nicht die Erfassung und befreit einen Wehrpflichtigen nicht von der Pflicht, sich zur Musterung vorzustellen. (2) Ab Antragstellung ist eine Einberufung zum Grundwehrdienst erst zulässig, wenn der Antrag unanfechtbar abgelehnt oder zurückgenommen worden ist. Der Antrag hindert die Heranziehung zum Grundwehrdienst nicht, wenn der Wehrpflichtige vor dem Zeitpunkt der Antragstellung bereits einberufen oder schriftlich benachrichtigt worden ist, dass er als Ersatz für Ausfälle kurzfristig einberufen werden kann. Satz 2 gilt auch für den Fall, dass ein früherer Antrag des Antragstellers unanfechtbar abgelehnt oder zurückgenommen worden ist." [12] "Ausmusterung nach zwölf Tagen" - Anfrage von Heidegger am 13.1.2007, Schwarzbuch Wehrpflicht, Seite 44 |