Eine Schule aus Wellblech
GESELLSCHAFT | BILDUNG (10.11.2010)
Von Michael Billig | |
Kenia hat eine neue Verfasssung. Die verspricht mehr Demokratie. Doch demokratisches Handeln will gelernt sein. Der Schlüssel dazu ist Bildung. Daran hapert es. Es gibt zu wenig Stellen für Lehrer und Millionen Kinder, die keine Schule besuchen. Francis Ongeri hat deshalb eine eigene Schule aufgebaut. Francis Ongeri in einem der Klassenräume (c) M. Billig "Wir nehmen alle Kinder auf" Ein paar Pfähle aus Holz in den Boden gerammt, Wellbleche als Wände und Dach daran genagelt und ein Fenster ausgesägt - fertig war Ongeris erster Klassenraum. Errichtet auf dem Land der kenianischen Eisenbahn, ziemlich direkt neben den Schienen, nur wenige Quadratmeter groß, doch groß genug, um die ersten fünf Schüler darin zu unterrichten. Während dessen haben Francis Ongeri und einige Eltern in der Nachbarschaft für die Schule geworben. Inzwischen kennt ihn jede Mutter und jeder Vater in seinem Viertel. "Wir nehmen alle Kinder auf", hebt Ongeri immer wieder hervor. Diese Schule biete Kindern einen Platz, die anderswo nicht unterkommen. Er meint damit nicht nur die, die sich anderen Unterricht nicht leisten können, sondern auch die, die gar nicht erst auf die Idee kommen, eine Schule zu besuchen. Francis Ongeri spricht von Kindern HIV-infizierter Eltern, Waisen und Flüchtlingskindern. "Wir wollen einen neuen Weg gehen", sagt er. Das Ziel hat der Schulleiter im Namen des Hauses manifestiert. Es heißt New Franeli Children Centre. "Franeli" ist Swahili und bedeutet soviel wie "Freude und Bildung". Mathematik, Swahili, Naturwissenschaften, Englisch und Religion - die Vorschüler und Schüler im Alter zwischen drei und 15 Jahren lernen in fünf Fächern. Ongeri lässt sie christliche Lieder und Bibelverse auswendig vortragen. Die Religion, so glaubt er, gebe ihnen Kraft und Zusammenhalt. Der Armut zu entkommen, denkt er, gelinge durch Bildung. "Wissen ist Macht" hat Ongeri ins Schulmotto geschrieben. ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Audio: Die Schüler singen von ihrem Lord Jesus ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Naturwissenschaften sei ihr Lieblingsfach, erzählt die 15-jährige Victoria. Sie geht in die 8. Klasse des New Franeli Children Centre. Um ihre Schullaufbahn fortzusetzen, müsste sie anschließend auf eine Oberschule, in die Sekundarstufe zwei wechseln. Ärztin würde sie gern werden, verrät sie mit leiser Stimme. Hoffnung klingt anders. Die Zahlen, die die Regierung erhoben und jüngst veröffentlich hat, machen auch nicht gerade Mut. Sie zeigen, dass viele Jugendliche in Victorias Alter der Schule den Rücken kehren, insbesondere Mädchen. "Die Mädchen trauen sich nicht so viel zu. Oft müssen sie im Haushalt der Familie helfen", sagt Schulleiter Ongeri. Außerdem: Für die Oberschule müssen die Eltern tief in die Tasche greifen und Gebühren berappen. Der Unterricht am New Franeli Children Centre ist kostenlos. Einzig Unterrichtsmaterialien und -uniformen schlagen im Familienhaushalt zu Buche. Die olivegrünen Pullis, Röcke und Hosen, die die Kinder hier tragen, sind ausgefranzt und zerschlissen. Jahr für Jahr werden sie von Schüler zu Schüler weitergegeben. Weil die Schule einen sogenannten nicht-formalen Status hat, damit quasi privat ist, kommt vom Staat kein Zuschuss rein. Das Dilemma wird schon im Büro von Ongeri deutlich, ein vier Quadratmeter kleiner Verschlag. Im weißen Hemd und Anzugshose hockt der Schulleiter gebeugt über einem winzigen Tisch. An der Wand hängt der Kalender aus dem Jahr 2007. Im einzigen Regal liegen ausgeblichene und zerfletterte Hefte und Bücher. Ongeris Einsatz hat sich gelohnt, sieben weitere Klassenräume sind unter seiner Leitung entstanden und die Schülerzahl ist auf 200 geklettert. Doch um die Kinder adäquat unterrichten zu können, fehlt es an vielem, vor allem eben an Geld. Das würde Ongeri allerdings so nicht sagen. Er versucht das Beste aus der Situation zu machen. "Wir zeigen den Kindern, dass wir sie lieben." Wer es sich in Kenia leisten kann, der schickt Töchter und Söhne dennoch lieber auf eine teure Privatschule. Selbst an der aus öffentlichen Mitteln der Bundesrepublik geförderten Deutschen Schule in Nairobi beträgt die Gebühr rund 5000 Euro pro Schuljahr, bei einem Einkommen von durchschnittlich knapp zwei Euro am Tag für die meisten Kenianer eine illusorische Summe. ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Audio: Ruth, eine der Jüngsten am New Franeli Children Centre, singt noch ein Lied ---------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Die Grundschulbildung an den staatlichen Schulen ist seit sieben Jahren gebührenfrei. Diese Schulen sind aber total überlaufen. Ongeri kennt den Grund für die Misere. "Es gibt nicht genug Lehrer", sagt er. Die Männer und Frauen, die am New Franeli Children Centre unterrichten, würden gern als richtige Lehrer an einer richtigen Schule tätig sein. Sie sind zwischen 20 und 30 Jahren alt und leben im selben Viertel wie ihre Schüler und der Schulleiter. Sie haben die Oberschule abgeschlossen und wollen nun studieren. Allein ihnen fehlen die finanziellen Mittel. 40.000 kenianische Schilling (knapp 400 Euro) müsse sie jährlich für das Studium aufbringen, sagt eine Frau. Sie wisse nicht, wie sie das bezahlen soll. In der Hoffnung auf eine bessere Zukunft macht sie das, was das gesamte Kollegium tut: Sie überbrückt die Zeit und arbeitet am New Franeli Children Centre. Lernen mit leeren Magen Die wenigen Eltern, die können, geben einen Obolus. Davon versuchen Ongeri und Kollegen zu überleben. Manche arbeiten noch nebenher, etwa für eine der vielen Sicherheitsfirmen, die in Nairobi Wohn- und Firmenkomplexe der Bessserbetuchten bewachen. Hoffnung sieht anders aus. Dennoch träumt Ongeri davon, eines Tages Lehrern und Schülern aus seinem Viertel ein richtige Schule, eine aus Stein bauen zu können. Zunächst hat er eine Schulküche einrichten wollen. 80.000 Schilling seien im Monat nötig, rechnet er vor, um jeden Schüler täglich mit einer Mahlzeit versorgen zu können. Das macht umgerechnet vier Euro pro Schüler. Zu viel, um den Plan in die Tat umzusetzen. Die Kinder müssen selbst sehen, wie sie zu einem Mittagessen kommen. "Wenn die Schüler nichts zu Essen haben, können sie auch nicht gut lernen", pflegt Ongeri zu sagen und steckt seinen Zöglingen auch schon mal einen Geldschein zu. Wenigstens dieser Mann verbreitet ein wenig Hoffmung. |