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Aussortiert wegen des Sternzeichens
WIRTSCHAFT | BEWERBUNG (15.03.2012)
Von Michael Billig
Auf der Suche nach Mitarbeitern setzen manche Firmen auf kruden Praktiken. Sie begutachten die Schädelform ihrer Bewerber, deuten deren Handschrift oder selektieren nach Sternzeichen. Der Wirtschaftspsychologe Uwe Kanning spricht im Interview über die unseriösen Methoden – und darüber, was gute Personalauswahl ausmacht.

Herr Kanning, was ist Ihr Sternzeichen?

Kanning: Ich bin Fisch.

Sie sind Professor für Wirtschaftspsychologie an der Hochschule Osnabrück. Sind Sie als Fisch für diesen Posten überhaupt geeignet?

Fische sollen sensibel sein, eher Gefühlsmenschen. Viele Leute würden sagen, dass diese Merkmale gut zu einem Psychologen passen. Ich bin aber auch Wissenschaftler und als solcher arbeite ich viel mit Zahlen. Abgesehen davon – Astrologie eignet sich nicht als Methode, um für eine Arbeitsstelle den Richtigen zu finden.

iley.de

Wirtschaftspsychologe Uwe Kanning (c) iley.de

Astrologie hat aber auf etliche Menschen eine faszinierende Wirkung.

Das stimmt. Doch sie ist die am besten widerlegte Pseudowissenschaft. Es gibt über 500 Studien, die nach statistischen Zusammenhängen zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Tierkreiszeichen suchen. Unterm Strich kommt dabei heraus: Die Sternenkonstellation zum Zeitpunkt der Geburt eines Menschen liefert keine Hinweise auf dessen Persönlichkeit. Dennoch kommt es vor, dass Bewerber für einen Arbeitsplatz wegen ihres Sternzeichens aussortiert werden.

Welche fragwürdigen Methoden finden bei der Personalauwahl noch Anwendung?

Die Graphologie ist ein Klassiker. Da geht man davon aus, dass man die Persönlichkeit an der Handschrift ablesen kann. Das hätte ja durchaus sein können. Man hat es systematisch erforscht und keine Belege dafür gefunden. Den Graphologen ist dies egal. Sie glauben seit mehr als 200 Jahren daran. Hier gilt häufig das naive Argument: Wenn eine Lehre so alt ist, muss sie ganz einfach richtig sein.

Wenn verlangt wird, dass ein Bewerber einen Lebenslauf oder ein Motivationschreiben handgeschrieben einsendet – sollte man da skeptisch sein?

Ja. Es gibt heutzutage keinen Grund, einen handschriftlichen Lebenslauf zu verlangen. Seit 25 Jahren schreiben wir mit dem Computer, noch viel länger mit der Schreibmaschine. Es gibt Studien, die zeigen, dass in deutschen Großunternehmen im Schnitt weniger als fünf Minuten für die Sichtung einer Bewerbungsmappe verwendet werden. Warum sollte man es sich da antun, die Handschrift eines Menschen zu entziffern? Die Anbieter von Graphologie haben sich darauf aber eingestellt und behaupten, sie könnten einen Menschen auch anhand seiner Unterschrift einschätzen.

Wie verbreitet ist die Graphologie?

Das ist ganz schwer zu sagen. Die Dunkelziffer ist vermutlich riesig. Bei einer Studie von 2007 haben drei von 125 Unternehmen angegeben, Graphologie einzusetzen. Das klingt zunächst wenig, muss man aber auf die Anzahl aller Unternehmen in Deutschland hochrechnen. Tausende Bewerber könnten betroffen sein. Zur Astrologie gibt es keine Zahlen. Auch nicht zur Schädeldeutung. Die Schädeldeutung ist auch etwas Neues, wieder Neues.

Schädeldeuterei klingt nach dunklem Mittelalter.

Die Vertreter sprechen auch lieber von Psycho-Physiognomik. Das klingt wissenschaftlicher. Dahinter steckt die absurde Vorstellung, dass Schädelform und Gesichtszüge etwas über die Persönlichkeit eines Menschen verraten. Der Grundgedanke vor mehr als 100 Jahren war, dass die Form eines Schädels durch die Form des Gehirn bedingt ist. Bestimmte Areale im Gehirn seien für bestimmte Persönlichkeitsmerkmale zuständig, etwa eines für Liebe oder eines für Aggression. Was stark ausgeprägt sei, drücke dann gegen den Schädel und verändere seine Form. All das stimmt medizinisch einfach nicht.

Wer bringt diesen Unfug unters Volk?

Viel läuft über Mundpropaganda. Es werden auch Weiterbildungsveranstaltungen organisiert. Ein deutsches Wirtschaftsmagazin hat einmal Kurse für Führungskräfte gegeben. Seit ein paar Jahren gibt es außerdem Unternehmensberatungen, die Schädeldeutung anbieten.

Wie verkaufen diese ihre Dienste?

Sie machen Versprechungen, die verführerisch sind. Sie behaupten, dass sie in den Bewerber hinein schauen können und der Bewerber, der ja im Allgemeinen versucht sich positiv darzustellen, das Ergebnis nicht manipulieren kann. Der Schädeldeuter sagt: Das geht schnell, es kostet zwar ein paar Hundert Euro, aber dafür bekomme man einen völlig unverfälschten Blick auf den Menschen. Mitunter kenne man den Bewerber danach besser als der sich selbst.

Und darauf fallen Personaler herein?

Das Personalwesen ist von der Qualifikation her extrem heterogen zusammengesetzt. Personaler haben BWL studiert, Psychologie, Germanistik oder sie wollten mal Lehrer werden. Manche haben eine betriebliche Ausbildung gemacht. Man findet auch Leute, die dorthin versetzt wurden. Die meisten sind für personaldiagnostische Aufgaben schlecht ausgebildet. Da fehlt ein grundlegendes Verständnis. Dabei gibt es im Bereich Personalauswahl seit Jahrzehnten Forschung. Da weiß man heute relativ gut, wie man vorgeht und was man besser nicht machen sollte. Das Problem ist, dass die Forschungsergebnisse kaum in die Praxis durchsickern.

Warum legen sich Ihrer Meinung nach nur wenige Firmen eine kompetente Personalabteilung zu?

Das Problembewusstsein dafür fehlt. Unter den Entscheidungsträgern in einer Firma gibt es immer Leute, die völlig unkritisch ihrer eigenen Wahrnehmung vertrauen. Die sagen: Mein Gott, ich bin seit 20 Jahren Geschäftsführer, ich kann sowas. Wenn jemand so tickt, dann ist es ja ein Widerspruch, wenn der auf einmal sagt, wir müssen jetzt jemanden in der Personalabteilung haben, der professionelle Personalwauswahl betreibt.

Spielen pseudowissenschaftliche Methoden auch im Umgang mit Mitarbeitern und in der Weiterbildung eine Rolle?

Manche Schädeldeuter bieten Kurse für Mitarbeiter von Unternehmen an, die mit Kunden zu tun haben. Damit derjenige, der etwas verkauft, den Schädel seines Gegenübers deuten kann, um zu wissen, wie der Kunde angeblich tickt. Es gab einen konkreten Fall beim TÜV Rheinland. Der hatte einen Schädeldeuter im Bereich Personalentwicklung eingestellt. Haupteinsatzgebiet dieser Methoden ist aber die Personalauswahl.

Chefs sollten auch auf Gestik, Mimik und Körpersprache achten. Sie warnen davor, diese Dinge überzubewerten. Warum?

Weil es keine einfachen Interpretationsmuster gibt. Vieles, was in manchen Deutungsbüchern vorgeschlagen wird, ist nur ausgedacht. Dass man beispielsweise sagt, ich muss schauen, ob jemand die rechte Hand über die linke legt. Natürlich hat meine Körperhaltung etwas mit meiner Stimmung zu tun. Die Forschung hat herausgefunden, dass unsere Körperhaltung bei anderen Menschen bestimmte Eindrücke erzeugt. Daher kann ich sagen, dass der Bewerber entweder lustlos oder motiviert auf mich wirkt. Ich kann aber nicht sagen, dass er lustlos oder motiviert ist. Es handelt sich lediglich um einen subjektiven Eindruck.

Was macht gute Personalauswahl aus?

Erfolgsversprechend sind standisierte und strukturierte Verfahren. Ich sollte im Vorhinein klar festgelegt haben, was ich von einem Bewerber will. Fast die gesamte Forschung zum Thema Personalauswahl kommt aus der Psychologie. In der Psychologie gehört zum Studium dazu, dass man die eigene Wahrnehmung kritisch reflektiert. Man lernt viel über Urteilsfehler und Wahrnehmungsverzerrung. Personaler müssten Skepsis gegenüber ihrem Bauchgefühl haben. Das heißt nicht, dass sie mit dem Lehrbuch unterm Arm herumlaufen sollen. Aber wenn ich eine Personalentscheidung treffe, dann ist es wichtig, dass ich mich um Objektivierung bemühe. Schließlich greife ich in die Biografie eines Menschen ein, wenn ich mich für oder gegen die Anstellung eines Bewerbers entscheide.

Wie können Bewerber reagieren, wenn sie es mit Graphologen oder Schädeldeutern zu tun bekommen?

Wenn sie es überhaupt merken, sollten sie es ansprechen. Ich würde sagen, dass ich mir zu schade bin, um an so einem Verfahren teilzunehmen. Gut wäre, wenn es eine Internetplattform gäbe, um die Schwarzen Schafe anzukreiden. Ich fürchte nur, als Bewerber kriegt man die mangelnde Seriösität mancher Verfahren gar nicht mit.

Vielen Dank für das Gespräch!


Uwe Kanning ist Professor für Wirtschaftspsychologie an der Fachhochschule Osnabrück. Davor hat er lange Zeit in Münster geforscht. Von ihm stammen eine Reihe von Sach- und Fachbüchern zu Themen wie Personalauswahl, Leistungsbeurteilung und soziale Kompetenz. Von ihm ist das Buch "Von Schädeldeutern und anderen Scharlatanen", erschienen im Wissenschaftsverlag Papst, Lengerich, 2010.
   



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