Bewegung oder Freikirche?
GESELLSCHAFT | UNTER VIER AUGEN (15.02.2007)
Von Ronald Hild | |
Es gibt Katholiken, Protestanten, Muslime, Scientologen, Zeugen Jehovas - und es gibt die Jesus Freaks. Zu ihnen gehört der Student Sascha Martjuschew (21). Mit ihm haben wir darüber gesprochen, wer eigentlich diese "Freaks" sind. Sascha Martjuschew ist 21 Jahre alt und studiert Geschichte und Philosophie auf Lehramt. Nebenbei engagiert er sich im Fachschaftsrat Geschichte und ist seit 2,5 Jahren im Ältesten Kreis der Jesus Freaks Leipzig. (c) Sascha selbst Sascha: (lacht) Die Frage ist nicht so leicht zu beantworten. In den verschiedenen Städten gibt es verschiedene Konzepte. In Leipzig ist es vor allem eine Studentengemeinde. In Hamburg dagegen sind auch Leute vom Kiez Gemeindemitglieder. Vereinfacht lässt sich wohl sagen, dass Jesus Freaks eine Kirche für junge Leute ist. iley: Kirche für junge Leute? Sascha: Ja, die allgemeine Vorstellung von Kirche ist doch alte Leute und Orgelspiel. Das ist auch absolut okay. Aber wir wollen weg von diesem Bild. Wir wollen zeigen, dass die Jesusgeschichte auch heute noch Bedeutung hat. Jesus ist für jeden persönlich am Kreuz gestorben, das ist keine Fiktion sondern Realität, die wir jungen Leuten nahe bringen wollen. iley: Also versteht ihr Euch selbst als Kirche? Sascha: Im Moment läuft gerade ein Gesprächsprozess, in dessen Verlauf geklärt werden soll, was die Jesus Freaks sein wollen. Ursprünglich waren die Freaks eine Jugendbewegung, aus der wir ein Stück weit rausgewachsen sind. Im Juni wird ein Familienkonzil stattfinden, auf dem sich Leute aus den verschiedenen Gemeinden Deutschlands und Europas treffen, zusammen beten und bereden, was aus den Freaks werden soll. Wollen wir weiter eine Bewegung oder eine Freikirche sein. iley: Wie gestaltet sich das Verhältnis der Jesus Freaks zu den anderen christlichen Glaubensgemeinschaften? Sascha: Wir sind keine anerkannte Kirche. Ich kann diese Frage auch nur für Leipzig beantworten. Wir haben hier einen guten Kontakt zu den Kirchen und sind auch in der Allianz, dem Zusammenschluss der Kirchen in Leipzig, Mitglied. Die Jesus Freaks werden als Gemeinde anerkannt und es findet sogar Predigeraustausch statt. iley: Predigeraustausch heißt, dass beispielsweise ein evangelischer Pfarrer bei Euch predigt und dafür im Gegenzug einer von den Freaks in der evangelischen Kirche? Sascha: Ja. iley: Aber es gibt vermutlich schon Unterschiede in der Ausgestaltung der Gottesdienste? Sascha: (lächelt) Bei uns gibt es nicht diese festgefahrene Liturgie, vieles ist freier. Man muss nicht studiert haben, um predigen zu dürfen. Auch jungen Leuten soll eine Plattform gegeben werden, sich zu äußern. Der Ältestenkreis achtet dabei darauf, dass die Predigten auf der Bibel basieren, die für uns die Grundlage des Glaubens ist. Die Musik im Gottesdienst ist moderner. Da gehört auch mal eine E-Gitarre und Schlagzeug dazu. iley: Wie lange gibt es die Jesus Freaks eigentlich schon? Sascha: In Deutschland entstanden die Jesus Freaks 1991 in einem Wohnzimmer, das war schnell zu klein und die Gemeinde traf sich dann einer Rockerkneipe auf dem Hamburger Kiez. Ihren Vorläufer finden die "Jesus Freaks" wohl in der Jesus-People-Bewegung der 1968er. Heute gibt es Jesus Freaks in anderen europäischen Ländern wie der Schweiz oder Tschechien aber auch in Japan. iley: Weißt du, wie viele Gemeinden es in Deutschland gibt? Sascha: So cirka 80, wobei diese Zahl natürlich Veränderungen unterworfen ist. Mal entsteht in einer Stadt eine neue Gemeinde, im Gegenzug wird eine andere aufgelöst. 80 ist eine gute Orientierung. iley: Die Freaks sind ja nicht hierarchisch gegliedert, so wie es bei der katholischen oder evangelischen Kirche der Fall ist. Gibt es Kontakte zu den anderen Gemeinden oder sind die Freaks irgendwie vernetzt? Sascha: Es gibt durchaus verschiedene Instanzen, über welche die einzelnen Gemeinden sich austauschen können. Zum Beispiel über die Zeitung Der kranke Bote, die seit eineinhalb Jahren wieder herausgegeben wird. Oder über unsere Internetseite. Außerdem gibt es Austauschtreffen wie Willowfreak, wo sich jedes Jahr zu Himmelfahrt die Leiter der Freakgemeinden, insgesamt etwa 400 Personen treffen. Oder unser alljährliches Freakstock-Festival, bei dem sich alle, die Lust haben, auf dem Boxberg in Gotha versammeln. Ansonsten haben wir schon so was wie Strukturen. Die einzelnen Gemeinden haben alle eine Gruppe von mindestens zwei Leitern. Übergeordnet gibt es den Ältestenkreis International. Das sind drei Leute, welche Gründungsmitglieder bzw. frühe Mitglieder sind und die Verantwortung für die gesamte Bewegung tragen. iley: Wie groß ist die Jesus Freaks-Gemeinde in Leipzig? Sascha: Wir sind so 30 Mitglieder, in den Gottesdiensten 30 bis 40 Leute. iley: Wann findet Euer Gottesdienst statt? Sascha: Gottesdienst ist jeden Sonntag 17.00 Uhr. Daneben gibt es Hauskreise. Das sind kleinere Gruppen, in denen gebetet und diskutiert wird. Außerdem ist jeden Donnerstag um 19.30 Uhr ein Gebetsabendbrot. iley: Donnerstagabend? Aber da gibt es doch zeitliche Überschneidungen mit Deinem Engagement im Fachschaftsrat Geschichte. Sascha: Ja, ich muss aber auch nicht bei jedem Gebetsabendbrot dabei sein. Wir als Leitung sind dafür da, uns überflüssig zu machen. Wir wollen den Leuten Werkzeuge an die Hand geben, damit sie selbstständig im Glauben werden. In verschiedenen Bereichen setzt der Ältestenkreis Bereichsleiter ein, die dann in ihrem Bereich auch frei handeln können. Ich kann die Fachscharftsarbeit also schon mit den Freaks koordinieren. iley: Aus welchen Gruppen setzen sich die Jesus Freaks zusammen? Sascha: In Leipzig sind der größte Teil Studenten, einige Arbeitssuchende und wenige, die schon Arbeiten. In Zwickau dagegen ist der Älteste 21 und der Rest sind Schüler. Man muss da differenzieren. Die Mitgliederzusammensetzung orientiert sich auch am Sozialmillieu, wo sich die Gemeinde befindet. iley: Werden Euch eigentlich viele Vorbehalte entgegengebracht? Sascha: Mittlerweile sind wir von dem Standpunkt weg, als Sekte betrachtet zu werden. Viele Eltern haben uns als Sekte bezeichnet und ihren Kidis verboten, zu den Freaks zu gehen. So um 1994/95 waren die Freaks in den Medien stark präsent. Damals sollten die Freaks angeblich ein Attentat auf Schröder geplant haben, was allerdings nicht stimmte. Im Zuge der Berichterstattung wurde auch öffentlich diskutiert, ob die Freaks eine Sekte seien. Persönlich habe ich in Leipzig noch wenig negative Erfahrungen gemacht. Wir werden ernst genommen, in den Dingen, die wir tun und die Zusammenarbeit mit den anderen christlichen Glaubensgemeinschaften ist super. iley: Sascha, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch! |