Zur Fotografie von Gregory Crewdson
KULTUR | MIT OFFENEN AUGEN (15.09.2005)
Von Michael Billig | |
Es ist irre, was sich in die Fotografien von Gregory Crewdson hinein deuten lässt. Sie gehen auf Sigmund Freud zurück und erinnern an Edward Hopper und David Lynch. Sie lassen uns im Ungewissen. Aber wir versuchen, Licht ins Dunkel zu bringen. Die Bedeutung des Lichts Straßenlaternen, Scheinwerfer, erhellte Fenster, Lampen, die Sonne und der Mond - das Licht hat im Werk von Gregory Crewdson einen hohen Stellenwert. Der Einwand, dass liegt schon in der Natur der Fotografie, mag im ersten Augenblick einleuchtend sein. Doch Crewdson macht es sich nicht nur aus formaler Sicht zu Nutze, beispielsweise um Konturen zu schärfen, Kontraste zu steigern oder Schatten hervorzuheben. Das Licht ist Gegenstand seiner Fotografie. Crewdson erzeugt damit merkwürdige Stimmungen. Auf Außenaufnahmen sind Wälder im Sonnenlicht und amerikanische Kleinstädte unter bedecktem Himmel abgelichtet. Straßen und Kreuzungen sind entweder bei diffusem Tageslicht, zur Zeit der Abenddämmerung oder bei Nacht unter dem künstlichen Schein der Laternen aufgenommen. Manche Lichtquellen bleiben außerhalb der Komposition. Das Licht strahlt etwas Übernatürliches aus. Im gleichen Bild etwas Natürliches, wenn im Hintergrund durch ein erhelltes Fenster die Alltäglichkeit des Lebens in warmen Farben zu sehen ist. Die Familie sitzt wie jeden Abend im Haus vor dem Fernseher. Außer einem kleinen Mädchen. Sie steht im Schlafanzug ein paar Schritte vom Haus entfernt und starrt auf einen Schulbus, der leuchtet wie ein Stern. Der Busfahrer hält eine Taschenlampe in ihre Richtung. Es ist als erwarte einer den anderen - wie eine Begegnung der dritten Art. Das Unheimliche von Sigmund Freud Innenaufnahmen gewähren Blicke hinter die Fassaden der Einfamilienhäuser und in die Gesichter der Menschen, die darin leben. Crewdson hat eine Atmosphäre arrangiert, zu deren Beschreibung wir uns mit einem Aufsatz von Sigmund Freud (1856-1939) weiterhelfen. Denn ausgehend davon entwirft der 1962 in New York geborene Fotograf seine Bilder. Das Unheimliche, schrieb Freud, "ist nichts Neues oder Fremdes, sondern etwas dem Seelenleben von alters her Vertrautes, das ihm nur durch den Prozess der Verdrängung entfremdet worden ist." Demnach ist weder mysteriös, geheimnisvoll noch bizarr das richtige Wort, sondern unheimlich erscheinen die Szenarien auf Crewdson Fotografien. Das Licht ist innen meistens gedämpft. Motive, die wie aus Träumen in die Wirklichkeit des Bildes übernommen scheinen, wiederholen sich. Bunte Blumenbeete, aufgewühlte Rasenstücke und zerpflücktes Laub - all das sind Symbole für die Zeit, die uns bleibt, für das Sein und für das Vergehen. Crewdson hat sie auf Terrassen und Betten, in Garagen und Kofferräume transportiert. Für ein Bild hat er sogar ein Wohnzimmer geflutet. Seine Konstruktionen sind aufwendig. Mittendrin sind häufig Menschen. Sie wirken wie in Gedanken verloren, nicht suchend, eher erschüttert über das, was, um es mit Freud zu sagen, aus dem Verdrängten nun zum Vorschein kommt. Doch was ist ihre Erkenntnis? Ist es die Vergänglichkeit? Bis Anfang des Jahres war eine Hopper-Ausstellung in Köln zu bestaunen. Unter anderem auch dieses Gemälde: "Nighthawks", 1942, Öl auf Leinwand (c) Museum Ludwig, Köln Die Protagonisten sind auf einem Bild selten mehrere und kaum einander zugewandt. Wenn, dann verfehlen sich ihre Blicke. Jeder steht für sich. Und doch stellen sie ein Paar oder eine Familie dar. Es ist als ob ihnen ein Gefühl ins Bewusstsein rückt: Sie sind allein, ganz auf sich allein gestellt. In diesen Momenten gibt es keine Kommunikation zwischen den Menschen. Sie scheinen nicht einmal einander wahrzunehmen. Das lässt uns an die Gemälde eines Edward Hopper (1882-1967) denken. Nicht genug, dass manche von Crewdsons Farbfotografien aus der Ferne betrachtet, wie die Bilder Hoppers anmuten, besonders inhaltlich gibt es Parallelen. Auch Hopper isolierte den Einzelnen und thematisierte die Einsamkeit. Die Stimmung, die von seinen realitätsnahen Gemälden ausgeht, ist jedoch melancholisch und nicht wie bei Crewdson unheimlich, dessen Fotos durch die vielen Details zwar genauso glaubhaft erscheinen, aber eben auch von übernatürlichen Dingen künden. Deutlich spürbar ist die Nähe zum Regisseur David Lynch (*1946). Wie bei Lynch lauern auch bei Crewdson hinter den Kulissen idyllischer Einfamilienhäuser und gepflegter Vorgärten das Abgrundtiefhässliche und - schreckliche. Er bringt ans Licht, wie fernab der Metropolen die Bewohner amerikanischer Städte leben. Er demaskiert sie und zeigt die dunkle Seite des amerikanischen Traums. Koffer deuten auf Trennung und Abschied, Tabletten auf Schmerz und Unterdrückung. Das sind Motive, wie wir sie auch aus amerikanischen Spielfilmen kennen. Magnolia Darüber hinaus kommen selbst Schauspieler aus Hollywood auf Crewdsons Bildern vor. In der Fotoserie "Dreamhouse" (2002) sind es unter anderem Julianne Moore und William H. Macy. Beide besetzten Rollen im Film Magnolia (USA, 1999), der Menschen vorstellt, die über Jahrzehnte hinweg einen Teil ihres Ichs verdrängt haben, was nun unweigerlich zum Ausbruch kommt. Denn im Angesicht des Todes, erinnert sich der Mann an seinen Sohn, den er verließ. Und letzterer sucht den Vater, den er verleugnete. Ein anderer Todkranker behauptet, nicht mehr zu wissen, ob er seine Tochter, als sie noch ein Kind war, sexuell belästigt hatte. Sie flüchtet sich tagtäglich in einen Drogenrausch. Beide haben Angst vor der Einsamkeit. Und als plötzlich Frösche wie sintflutartiger Regen vom Himmel stürzen, spätestens da sollte deutlich werden, wie nah die zuvor geschilderten Szenarien der Realität kommen. Der Kontrast mit etwas Unerklärbaren und Übernatürlichen macht die Wirklichkeit greifbarer - ein Stilmittel, das auch Crewdson geschickt, freilich subtiler als die Macher von Magnolia, einsetzt. |