Phantastische Konstruktionen
KULTUR | MIT OFFENEN AUGEN (15.10.2006)
Von Tania Pentcheva | |
Das Werk von Antoni Gaudí ist eine phänomenale Synthese zwischen der Architektur und den bildenden Künsten. Kaum eine andere Architektur ist für Nicht-Geschulte so leicht zugänglich. Auf dem Dach des Gaudi Hauses in Barcelona. (c) photocase.com, Benutzer: Carinabella Der Architekt lebte und schuf seine Werke in einer Zeit, in der sich die Kunstrichtung des "modernismo" in Barcelona entwickelte. Das Schaffen Gaudís jedoch ist ein Stil, eine Welt für sich. Er ließ sich zwar von den anderen Stilarten inspirieren, verstand es traditionelle Techniken und dekorative Elemente anderer Kulturen miteinander zu kombinieren, kreierte aber etwas Eigenes, was eklektisch, zeitlos, genial ist. Das erkannten private Mäzene und begleiteten seinen Lebensweg. Der bedeutendste von ihnen war Eusebio Güell. Er war ein kultivierter sowie großzügiger Auftraggeber. Niemand verstand und schätzte die Architektur Gaudís so sehr wie er. Das Nationalgefühl führte die beiden Männer dazu, stets die katalanische Sprache und Kultur zu fördern. Inspiration von der Landschaft "Als ich das Anwesen für die Casa Vicens vermessen wollte, war dieses vollkommen bedeckt mit den gleichen gelben Blümchen, die ich als Dekorationsmotiv in den Keramiken verwendet habe. Ich fand auch eine kraftstrotzende Palme vor, die in den Palmetten am Schmiedeeisernen Torgitter und an der Eingangstür wiederkehrt." [2] Gaudí passte seine Werke der Umgebung an. Sorgfältig studierte er die Gegebenheiten der Landschaft und legte großen Wert darauf, ihre natürliche Struktur nicht zu zerstören. Bei den Arbeiten am Park Güell (1900-1914) in Barcelona nutzte er seine Ingenieurkenntnisse, um das den Hügel herablaufende Regenwasser sammeln zu können. Der Park liegt 150 Meter über dem Meerspiegel und bietet einen Blick über die Metropole, das Meer und Berg Montjuíc. Der Baumeister schuf die sogenannte Placa im Park im Stil einer griechischen Theaterbühne. Hier kam es tatsächlich zu Aufführungen. Die Bank drum herum bekam den Namen "Schlangenbank", wegen der Wellenform, welche die Verwendung des Raumes optimiert. Sie enthält Textfragmente in katalanischer sowie lateinischer Sprache mit religiöser Symbolik. Vielleicht wollte Gaudí zeigen, dass in seiner Architektur Humor, Zauberhaftes und Religion an einem Ort zu finden sind. Schließlich verlieh er dieser Erholungsgegend noch etwas Traumhaftes: Mit Keramik- und Glasscherbenmosaiken ("trencadís") verkleidete Gaudí die Schlangenbank, die dorische Säulenhalle unter der Placa, die Dächer zweier Märchenpavillons, Treppe und Springbrunnen. Vivarium für Riesenschnecken und Häuser für Drachen So gut wie keine geraden Linien finden sich in der "Casa Milá" (1906-1910). Nichts an diesem Haus ist gleichförmig. Man kann nur speziell angefertigte Möbel aufstellen. Oh, was für ein Chaos! Die Steine der wellenförmigen Fassaden wurden erst nach dem Einbau auf genaue Anweisungen Gaudís fertig bearbeitet. Das Dach ist wie eine Landschaft mit Schornsteinen und Lüftungsschächten, die mit "espantabrujeras" (Hexenabschrecker) verglichen worden sind. Für mich sehen sie wie Außerirdische aus. Während der Bauzeit veröffentlichten die Zeitungen Barcelonas Karikaturen, auf denen vorgeschlagen wurde, dass es eine Garage für Zeppeline oder ein Vivarium für Riesenschnecken werden sollte. Der französische Premierminister George Clemenceau wunderte sich nach einem Besuch der Stadt, dass man in Barcelona "Häuser für Drachen" [3] baut. Als das patriotischste Projekt Gaudís könnte man das Haus "Torre Bellesguard" (1900-1902) bezeichnen. Es ist auf den Ruinen eines Sommersitzes von König Martí I.(15. Jh.), der den Beinamen "el Humano" (der Menschliche trug, errichtet. Er war der letzte König der katalanischen Dynastie und wurde in Barcelona und im ganzen Land als Kämpfer für das Gute verehrt. Durch Gaudís Tätigkeit entstanden viele weitere faszinierende Bauwerke. Das berühmteste von ihnen ist die Kathedrale Sagrada Familia. Ihre Türme sind längst ein Wahrzeichen Barcelonas. "El Temple Expiatori de la Sagrada Família" (1883-1926) ist eine Art Krönung seiner Kreativität. Nach dem Beschluss der Gründer, wurde der Bau ausschließlich durch Spenden und Stiftungen finanziert. Manchmal ging der Architekt selbst mit dem Hut in der Hand, um Geld zu sammeln. Bis heute ist die Kirche noch unvollendet. Gaudí: "Ich habe nur das Portal und einen kleinen Teil des Kreuzgangs gebaut, damit man in der Zukunft eine Vorstellung davon hat, wie man weiter bauen soll. Ich weiß, dass der persönliche Geschmack der Architekten, die mir nachfolgen werden, das Werk beeinflusst, doch das macht mir keine Sorgen. Ich glaube die Kirche wird davon profitieren." [4] Antoni Gaudí hinterließ keine vollständigen Pläne. Er veränderte, entwickelte seine unberechenbaren Ideen stets im Laufe des Baus. Vor 80 Jahren am 7. Juni 1926 wurde Gaudí von der Straßenbahn erfasst und schwer verletzt. Niemand erkannte ihn. Nach drei Tagen starb er im Armenkrankenhaus Hospital de la Santa Creu. Als sein Leichnam öffentlich aufgebahrt wurde, erschienen Tausende zum Begräbnis. Er wurde in der Krypta der Sagrada Família beigesetzt. Selbst wenn er mehr als hundert Jahre gelebt hätte, wäre die Kathedrale wahrscheinlich nicht fertiggestellt. An ihr wird auch die Grenzenlosigkeit der Phantasie Gaudís deutlich. Sein Werk ist zukunftsweisend. Weiterführende Literatur: Gerlach, Siegfried/Thomas, Martin (1991):Gaudí - Führer durch Barcelona, Dortmund Molema, Jan/Tomlow, Jos/Armengol, Jordi Bonet i/Moro, Jose Luis (2003): Antoni Gaudí 1852 -1926. Sinnliche Konstruktion, München Montes, Cristina/Cuito, Aurora (2002): Antoni Gaudí, Köln Tarrago, Salvador (1984):Gaudí, Editorial escudo de oro, S.A., Barcelona Zerbst, Rainer (1997): Gaudí - ein Leben in der Architektur, Köln ---------------------------------------------- [1] Crippa, Maria Antoaneta/Massó, Joan Bergos/ Nonell, Joa Bassegoda (2000): Der Mensch und das Werk, Ostfildern-Ruit [2] Nonell, Joa Bassegoda/Nunez, Juan Morell/Navascues, Pedro/Naves Vinas, Francesc (2001): Gaudí, Interieurs, Möbel, Gartenkunst, Ostfildern-Ruit [3] Gill, John(2004): Gaudí, Parragon, Bath [4] Crippa, Maria Antoaneta/Massó, Joan Bergos/ Nonell, Joa Bassegoda (2000): Der Mensch und das Werk, Ostfildern-Ruit |