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Zensur und Konsumkultur im TV
POLITIK | MASSENMEDIEN (15.03.2006)
Von Serkan Demiral
Westliche Lebenskonzepte haben im Zuge der Globalisierung die gesellschaftliche Mittelschicht Indonesiens erreicht. Welche Rolle Film und Fernsehen dabei spielen und wie die Menschen gelernt haben, damit umzugehen:

Die Geburt der Fernsehkommunikation in Indonesien

Mit der Regierungsübernahme durch Soeharto im Jahre 1967 wurde der Grundstein für eine ökonomische und militärische Allianz mit den USA gelegt, die unter seinem Vorgänger Soekarno aufgrund seiner anti-westlichen Haltung nicht zustande kam. Dies hatte zufolge, dass 1974 erste Gespräche mit US-Amerikanischen Behörden über die Aktivierung eines indonesischen Satelliten stattfanden. Folge dieses Dialogs war die Inbetriebnahme des Satelliten Palapa am 17. August 1976. Mit der zusätzlichen Aufstellung von vierzig Sendestationen entlang der West-Ost Achse des Archipels konnte via Satellit die telefonische Kommunikation zwischen den Inseln der Republik und der Regierungshauptstadt Jakarta ermöglicht werden. Somit war Indonesien zu diesem Zeitpunkt das erste Land neben der USA, Kanada und der Sowjetunion mit einem eigenen Satelliten.

TVRI

Funk und Fernsehen boomen in Indonesien. Die Zeitung als Medium ist eher selten in Gebrauch. (c) TVRI

Soeharto`s Stimme: TVRI

Zwischen den Jahren 1967 bis 1988 wurde das indonesische Fernsehen in erster Linie vom staatlichen Sender TVRI (Televisi Republik Indonesia) dominiert. Mit ihren Sendungen zielte TVRI darauf ab, öffentliche Information, Bildung und kulturell akzeptable Unterhaltung anzubieten und beabsichtigte keinen wirtschaftlichen Profit. Jedoch verfolgte der Staat die Prinzipien der staatsphilosophischen Verfassung Indonesiens: der Pancasila. Diese fordert Demokratie, soziale Gerechtigkeit und die Einheit der Republik Indonesiens, die mittlerweile eine Population von über 270 Millionen Menschen vorweist. Darüber hinaus setzt sich die Bevölkerung aus mehr als 360 Ethnien zusammen, die sich in ihren lokalen Sprachen und traditioneller Lebensweise voneinander unterscheiden. Dementsprechend stellte die Administration der Soeharto Regierung - auch Orde Baru (Neue Ordnung) genannt - die verschiedenen Mediensektoren unter staatliche Kontrolle, um ein nationales Bewusstsein zu gewährleisten. Darunter auch die ausschließliche Verwendung der nationalen Sprache Bahasa Indonesia. Erst 22 Jahre nach dem Sendebeginn des TVRI nahmen nach und nach weitere Fernsehsender ihr Programm auf. Allerdings wurden diese vom Ministerium für Information bestimmt und kontrolliert, so dass eine Selbstregulierung der Medien auf den Kommunikationssektoren nicht möglich war.

Sinema Indonesia

Während die westliche Filmindustrie in den 20er Jahren aufgrund der fortschreitenden Filmtechnologie den Stummfilm überwunden hatte, wurde im Jahre 1926 der erste indonesische Film namens Loetoeng Kasaroen von der NV Java Film Company realisiert. Diese Stummfilmproduktion war der Auftakt des indonesischen Films. Infolge dessen wurden in der zweiten Hälfte der 20er Jahre mehrere Filmunternehmen gegründet, die bis Anfang der 30er Jahre 21 Stumm- und Tonfilme produzierten und diese in über 227 Kinos vorführten. Zur Zeit der japanische Besatzung (1942-1945) erlitt der indonesische Film einen Rückschlag. Die japanische Kolonialmacht kontrollierte die Filmproduktion und verwendete Kinos zur Verbreitung von japanischer Propaganda. Es wurde ein Verbot zur Vorführung amerikanischer und europäischer Produktionen - mit Ausnahme deutscher Propaganda - verhängt. Nach der Zeit der Besatzung erholte sich die Filmindustrie sehr schnell und erfuhr mit der Gründung der AMPAI (American Motions Pictures Association in Indonesia) einen Aufschwung. Die AMPAI gewährleistete durch die Unterstützung der großen Produktionsstätten Hollywoods wie Paramount, Universal, 21Century Fox, MGM sowie Columbia und der einheimischen Vertriebes Subentra Studio 21 den Import und die Vermarktung amerikanischer Filme.

Mein Vetter, der wirtschaftet

Charakteristisch für Soeharto`s 32-jährige Regierungsperiode waren verschiedenartige Korruptionsfälle und Veruntreuungen. In Indonesien wird dies mit drei Buchstaben beschrieben: KKN (Kolusi, Korupsi und Nepotisme - Kollusion, Korruption und Vetternwirtschaft). Demnach liegt es nicht fern, dass auch die Subentra Studio 21 zu jenen Firmen gezählt hat, die im Besitz seiner eigenen Familie war und durch die Zirkulation ausländischer Filme im Land profitiert hat. So wurde durch den Vertrieb der Hollywoodfilme und Produktionen aus China und Indien in den eigenen Geldbeutel des Präsidenten gewirtschaftet, während der indonesische Film von der staatlichen Zensur (Badan Sensor) kontrolliert, Filme im Sinne des nationalen Bewussteins realisierte. Sie bekamen nicht jene Freiheit und Kreativität in der Umsetzung, die amerikanischen Filmen zukam, sondern mussten sich dem Leitfaden der staatlichen Zensur unterordnen.
Demnach wurden indonesische Filme mit militärischem Inhalt produziert, die den Unabhängigkeitskampf gegen die holländische Kolonialmacht heroisierten. In diesen wird Soeharto - damals General - als strategischer Kopf der Befreiung dargestellt, obwohl der Unabhängigkeitskampf Indonesiens vom Präsidenten Soekarno geleitet und errungen wurde. Darüber hinaus sind die Filme eng mit der politischen Situation zur Zeit ihrer Entstehung verknüpft, so dass sie politische sowie gesellschaftliche Botschaften von Seiten der Regierung über diese Filme an die Bevölkerung richten konnten.

Frau im Film oder die Drei hinter der Kamera

Der indonesische Film zur Zeit der Orde Baru trug im übrigen zur Konzeption der Geschlechterrollen bei. Die Frau wurde als Person in einer Männerwelt dargestellt, die sich um die Erziehung der Kinder kümmert. Sie symbolisiert die Mutterschaft während der Mann als Arbeiter dargestellt wird und den genealogischen sowie finanziellen Fortbestand der Familie sichert. Während die Frau vor der Kamera - wenn auch verstärkt in Nebenrollen - auftrat, war sie an der Produktion der Filme, beispielsweise als Regisseurin oder Drehbuchautorin fast kaum tätig. Denn zwischen dem ersten indonesischen Film im Jahre 1926 und dem Ende der Orde Baru Regierung im Jahre 1998 wirkten nur drei Filme gedreht bei der eine Frau Regie führte.

Garin Nugroho und das New Independent Cinema

In den Anfängen der 90er Jahre erfährt der indonesische Film durch die international ausgezeichneten Filme Cinta dalam sepotong roti und Surat Untuk Biadari des Regisseurs Garin Nugroho einen Wandel. Die Filme Nugrohos, speziell Surat Untuk Bidadari brach Normen und stilistische Formen der bisherigen indonesischen Filmproduktionen. Während die meisten Filme in Jakarta bzw. auf Java mit professionellen Schauspielern und Dialogen in Bahasa Indonesia produziert wurden, realisierte Nugroho seinen Film mit unerfahrenen, lokalen Schauspielern auf der Insel Sumba. Gewaltvolle Sexszenen, sowie ethnographische Darstellung und die Verwendung des sumbanesischen Dialektes in den Dialogen kennzeichnen diesen Film und entsprechen nicht den vorgegebenen Regelungen des Ministerium für Information. Obwohl der Film Nugrohos von der staatlichen Zensur zu keinem nationalen Film Festival zugelassen wurde und auf dem Videomarkt kaum auffindbar war, wirkten sie aufgrund der internationalen Anerkennung in den 90er Jahren auf stilistische Realisierung der indonesische Filmindustrie ein. Nugroho galt ab diesem Zeitpunkt als der Begründer des New Wave Cinema in Indonesien und leitete mit seinen Werken eine Wende im nationalen Film ein. Trotz der Erfolge Nugrohos und anderer Cineasten stagnierte der nationale Film aufgrund der Kontrolle des Filmvertriebes durch die Subentra Studio 21. Demnach wurden zwischen den Jahren 1988 und 1998 nur 14 nationale Filme produziert, gleichzeitig aber 150 Filme aus dem Ausland importiert.

Sinetron: Lehrfilm des nationalen Bewusstseins

Mit dem Sturz der Soeharto Regierung im Jahre 1998 und dem Beginn der Ära der Reformasi setzte die Pressefreiheit ein. Die staatliche Zensur von Seiten des Ministerium für Information wurde abgeschafft. Drehbücher oder Filmprojekte wurden keiner staatlichen Kontrolle mehr unterzogen. Trotz der Zensurfreiheit konnten aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage zwischen den Jahren 1998 bis einschließlich 2001 nur 16 Filme produziert werden. Dies ist auch auf die hohe Popularität der sogenannten Sinetron - indonesische Fernsehserien - zurückzuführen.
Der Begriff ?Sinetron' setzt sich aus den indonesischen Wörtern Sinema und Elektronik zusammen. Die erste Sinetron namens Losmen (Pension) wurde in den 80er Jahren vom staatlichen Sender TVRI produziert und gesendet. Sie erzählt vom Zusammenleben mehrerer Familien in einer Pension und ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft im Sinne der Nation. Aufgrund eines hohen Interesses seitens der Bevölkerung folgten weitere Produktionen. Obwohl diese - wie die sogenannten ausländischen soap operas - Romantik und Familienleben in die Geschichten der Sinetron einbanden, wurden zudem von Seiten der Regierung politische Botschaften transportiert.
In weiteren Produktionen wurden politische Themen wie die Transmigrasi aufgegriffen, um unter der Bevölkerung ein Verständnis für den Transmigrationsprozess zu erwirken. So versucht die Transmigration, an jenen Punkten die von Seiten der Bevölkerung kritisch betrachtet wurde, als politischen Akt zu legitimieren.

Sinetron und die indonesische Mittelklasse

Nach dem Fall der Orde Baru orientierten sich die Sinetron an den ausländischen Fernsehserien, die in Indonesien mittlerweile eine hohe Zahl an Zuschauern begeisterte. Politische Botschaften und Aspekte im Sinn der nationalen Entwicklung wurden ersetzt mit Konstruktion fiktiver, aber dennoch in den Vorstellungen der Zuschauer als mögliche und vor allem erreichbare moderne Lebensweisen. Diese gründet sich vor allem auf Konsum, welche in den Sinetron von jungen, dynamischen und dem indonesischen Schönheitsideal entsprechenden Menschen in urbanen Gegenden wie der Metropole Jakarta vorgelebt werden. Die Geschichten dieser Menschen sind so beliebt, dass sie einen großen Teil der Bevölkerung bei Hauptsendezeiten vor die Bildschirme fesselt.
Darüber hinaus ist spotartige Werbung eine fester Bestandteil der Fernsehsendungen, die jene Produkte preisen, die in den Serien Instrumente für die Verwirklichung eines modernen Lebensstil der indonesischen Mittelklasse darstellen.
Während in industriellen Ländern die Mittelklasse am finanziellen Status eines Haushaltes bzw. einer Person gemessen wird, ist der Parameter in Indonesien ein anderer. Denn die Mitglieder der sogenannten klas menengah können aus allen wirtschaftlichen Klassen der indonesischen Gesellschaft stammen. Es sind Studenten, Arbeitnehmer in Produktionsstätten sowie in der Dienstleistungsbranche, Beamte im öffentlichen Dienst, Berufssoldaten, Akademiker, Journalisten, Ärzte und Ingenieure. Denn die Mitgliedschaft in der Mittelklasse definiert sich vor allem durch den Konsum von jenen Produkten, die ein modernen Lebensstil präsentieren und kann daher treffender mit dem Begriff ŽKlasse der Konsumenten` bezeichnet werden.

Symbolischer Konsum

Dieses Phänomen ist vor allem unter den finanziell Schwachen wie z.B. den Studenten anzutreffen. Um ihre Position in der Klasse der Konsumenten einzunehmen, erwirbt eine Gruppe von Personen kollektiv ein Produkt. Dies können Markenschuhe, ein Handy oder auch ein Motorrad sein, von den Personen abwechselnd benutzt werden, um ihrer Gesellschaft signalisieren zu können, dass sie imstande sind durch Konsum einen modernen Lebensstil zu verfolgen. Aufzufallen ist ein wichtiges Kriterium im gesellschaftlichen Leben Indonesiens. Sich fortlaufend durch neugeborene Trends in der modernen Gesellschaft Indonesiens zu definieren und zu behaupten, individuell zu sein und sich selbst zu bestimmen. Eben jene Konzepte der westlichen Welt, die durch die fortschreitenden Prozesse der Globalisierung - transportiert über die Massenmedien - Einfluss in das Leben der Menschen nimmt und sie zu Sehnsüchten und Bedürfnissen heranwachsen lässt.

Weiterführende Links
http://www.tvri.co.id/Televisi Republik Indonesia
   

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