"Trotzdem war diese Liebe ein Gefängnis, denn ich sah Equilibre am liebsten in ihrem Garten sitzen, auf ihrer Steinbank zwischen den zwei Pappeln, und stundenlang, wie eine Schlafende, dem Plätschern der Springbrunnen, dem leisen Rieseln der Rosenblätter und dem Rauschen des Windes nachhorchend."
Das Buch, das ich vorstellen möchte, ist eine Liebesgeschichte, aber eine ungewöhnliche - obwohl zugegebenermaßen sicherlich viele Geschichten diese Eigenschaft für sich beanspruchen, oder zumindest meinen beanspruchen zu müssen. "Der verschlossene Garten" von Undine Gruenter ist keine dramatische Geschichte mit großer Handlung, vielmehr zeichnet sich dieser Roman durch die Sprache, die Ideen, die Poesie aus. Das klingt nach Kitsch, dabei ist es sehr nüchtern geschrieben, sofern ein Schreibstil poetisch und nüchtern-sachlich zugleich sein kann.
Soudain, der Ich-Erzähler, ist ein Sechzig-jähriger, der Pariser Intellektuellen-Szene entspringend, der rückblickend sich in eine junge Frau Anfang zwanzig verliebt: Equilibre. Um ihre gemeinsame Liebe zu zelebrieren, ziehen sie sich in ein kleines einsames Haus mit Garten am Stadtrand von Paris zurück und verschließen sich vor der Welt. Equilibre gibt ihr Studium, Soudain sein philosophisches Magazin auf.
Der Garten wird zum Sinnbild ihrer Liebe. Soudain entwirft ihn, so wie er sich seine Liebe mit der jungen Frau vorstellt: ein "Hortus conclusus".
Als sie sich begegnen, kommt sie ihm wie die Venus von Botticelli vor. Sie inspiriert ihn, ihr einen Garten zu bauen an dessen Fluchtpunkt eine Bank steht, auf der sie sitzen soll. Keine Venus-Statue, Equilibre ist die Hauptfigur des Gartens. "Ohne es vielleicht zu wollen, bin ich eher Equilibres Liebesarchitekt geworden als ihr Mann". Und das scheint der Knackpunkt der Geschichte zu werden: Soudain ist ein zu beschäftigter Regisseur in seiner Liebe, als dass er selbst zum Akteur werden könnte. Der Garten versinnbildlicht Sodains Liebe: "Der Garten ist also von allen Seiten nach außen hin abgeschlossen und nur durch das Haus betretbar. Ich ließ die alten Mauern aus rotem Backstein doppelt so hoch ziehen, fast bis in die Höhe des ersten Stocks." Anfangs teilt Equilibre seine Auffassung von einer Liebe als absolutem Refugium noch, doch dann kommt es zur Ablösung.
Es beginnt damit, dass die junge Frau "verrückte Zustände" bekommt, wie Soudain es nennt. Sie wird von einer Euphorie gepackt und möchte den gemeinsamen Garten zu einem Schauplatz moderner Kunst umgestalten.
Dann tritt Saint-Polar auf. Ein Anwalt und Bekannter Soudains, der, vom Alter her zwischen Equilibre und Soudain stehend, sich immer häufiger im Hause des Paars einfindet. Aus diesen Besuchen bildet sich eine allabendliche Gewohnheit heraus, die später zum Daueraufenthalt wird.
Er wird nun Equilibres Gegen- bzw. Mitspieler. War es vorher eine eingespielte Rollenverteilung in dem Haus, in der Soudain die Inszenierung übernahm, während Equilibre die vom Regisseur geführte Hauptfigur darstellte, so kristallisiert sich hier eine Umstellung der Wohn- und Lebeverhältnisse heraus: In wachsendem Interesse an der jungen Frau nimmt Saint-Polar nun die Position des männlichen Akteurs ein, der sich an die Seite der Frau stellt, was Soudain immer weiter in den Hintergrund drängt. Der Ältere nimmt es tatenlos hin.
Die Dreiecksgeschichte entwickelt sich zusehends ins Abstruse. Saint-Polar und Equilibre haben ein Verhältnis, aus dem sie auch vor Soudain keinen Hehl machen. Dieser tritt scheinbar bewusst als Beobachter zurück und analysiert sachlich, man erfährt hier nichts über seine Gefühlswelt. Als der Anwalt zur Heirat drängt, kommt es zur finalen Splittung.
Die junge Frau trennt sich von beiden Männern mit der Begründung, dass ihrer dreier Schicksal nun zu eng verknüpft sei, als dass sie nur einen von ihnen verlassen könne...
Abschließend resümiert Soudain: "Schuld, Untreue, Liebe? Die Rollenverteilung definiert uns so: Soudain ist: die Liebe als Entwurf. Equilibre ist: die Liebe zur Liebe. Saint-Polar ist: die Liebe als Passion.
Der Garten bleibt verschlossen. Ich habe ihn kaum noch betreten."
Ein Roman voller Poesie und auch Ironie. Eine Aufbereitung der Paradies-Thematik, in der Eva sich emanzipiert und den Garten Eden alleine verlässt. Ein vergeblicher Versuch, die Liebe zu inszenieren.
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