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Politisch aber kurzweilig
POLITIK | LEKTÜRE (15.04.2006)
Von Robert Laude
In dieser Ausgabe von iley lesen Sie Rezensionen zu einem Politik-Thriller und zu einem politischen Sachbuch.

GOLDMANN

Frank Schötzing - Lautlos (c) GOLDMANN

Lautlos - Frank Schätzing (Goldmann)

Thriller haben im Moment Hochkonjunktur in unseren Buchläden. Doch auch wenn es so scheint - es gibt nicht nur Dan Brown und seine Epigonen. Nein, auch Deutschland hat mit Frank Schätzing einen veritablen Thriller-Autoren zu bieten. Der Durchbruch gelang ihm 2004 mit seinem Öko-Thriller Der Schwarm, auch auf internationalem Parkett. Nach Auflagen in Millionenhöhe soll bald auch die Verfilmung in Hollywood anstehen.

Seit kurzer Zeit liegt nun mit Lautlos die Taschenbuchausgabe eines bereits 2000 veröffentlichten Romans vor. Es fällt bei Thrillern schwer, den Handlungsverlauf wiederzugeben, ohne zuviel Spannung zu verraten. Daher sei hier nur so viel verraten: während des G8-Gipfels 1999 in Köln soll ein Attentat auf US-Präsident Clinton verübt werden. Einzig ein dem Alkohol sehr zugetaner, egozentrischer irischer Physiker und Bestsellerautor kann den Plan noch vereiteln. Es dauert etwas, bis die Personen eingeführt sind und sich die Story entwickeln kann, doch dann legt Schätzing los und zeigt, dass er ein Händchen fürs Kompositorische hat. Die Story entwickelt sich rasant, immer neue Komplikationen tauchen auf, Doppelbödigkeiten und Hakenschläge nehmen zu.

Doch geschieht das alles nicht zur reinen Hetzjagd von einer Actionszene zur nächsten. Schätzling nimmt sich Zeit, ausführlich die Hintergründe des Attentatsplans zu entwerfen. Dabei geht es um aktuelle Themen wie Nationalismus und Terrorismus, einflussreiche reaktionäre rechte Gruppierungen in den USA, die Informationsflut in unserer Mediengesellschaft und das Ablösen politischer Prinzipien durch populistische Parolen. Und das alles vor dem Hintergrund der Kriege auf dem Balkan und dem umstrittenen, da völkerrechtswidrigen, Krieg der NATO gegen Serbien, dem damals in Köln der Friedensschluss folgen sollte.

Man merkt, hier schreibt kein reaktionärer Konservativer wie etwa Tom Clancy. Schätzling breitet die Informationen aus, sorgt dafür, dass sie die Spannung nicht abflauen lassen und überlässt es dem Leser sich sein eigenes Urteil zu bilden. Sein aufklärerischer Standpunkt scheint durch, aber dominiert nicht sein Schreiben. Dazu passt auch die sehr schöne Idee, dem Roman noch einen Anhang mitzugeben, in dem Schätzing nochmals die wichtigsten thematischen Hintergründe der Geschichte ausführt. So bleibt dem Leser ein über die Suspense hinausgehender Gewinn. Und spannend und gut geschrieben ist dieser Roman. Daran sollte man keinen Zweifel lassen.

Die ziellose Republik. Gezeitenwechsel in Gesellschaft und Politik - Franz Walter (Kiepenheuer & Witsch)

Franz Walter, Politikwissenschaftler und Parteienforscher an der Universität Göttingen, ist einer der profiliertesten Beobachter deutscher Innenpolitik. Die Zeit, Der Spiegel, die Süddeutsche Zeitung, die taz, sie alle veröffentlichen seine Essays und Analysen. Das ruft natürlich Neider auf den Plan. Akut hat der Professor aber mit seinen publizistisch ebenfalls sehr engagierten Kollegen Christian von Krockow, Claus Leggewie und Bassam Tibi gegen Pläne zur Auflösung des renommierten Göttinger Politikwissenschaftlichen Seminars zu kämpfen. Ihre Drittmittelquote ist nicht hoch genug.

Gegenwind aus anderer Richtung kommt von Kollegen, die ihm "Feuilletonpolitologie" vorwerfen. Ganz anders als in den USA oder Großbritannien hat der deutsche Wissenschaftler ja noch immer so trocken und kompliziert wie möglich zu schreiben, will er in der 'Scientific Community' ernst genommen werden. So etwas wie erzählerisches Talent oder ein Sinn fürs Stilistische sind da eher suspekt. Wenn dann jemand wie Walter erklärt, die Anregung zu seinem verständlichen Stil sei ihm bei Märchenvorlesen für seine Kinder gekommen, so kann das nur Widerspruch hervorrufen.

In seinem neusten Buch Die ziellose Republik. Gezeitenwechsel in Gesellschaft und Politik. versammelt Walter 32 Texte aus der Zeit von 2004 bis 2006, die er in unterschiedlichsten Zeitungen und Zeitschriften veröffentlich hat.

Die Große Koalition hat er schon früh voraus gesagt. Entgegen den meisten Kritikern dieser Konstellation ist er der Meinung, in einer derart auf Konsens basierenden politischen Struktur wie wir sie in Deutschland haben, könnte alleine eine Kooperation der beiden großen Parteien die anstehenden Probleme lösen.
Als Parteinforscher liegt ein Fokus seiner Arbeit auf der Analyse der tief greifenden Veränderungen der Parteienlandschaft. Viele parteipolitische Manöver erscheinen in einem ganz anderen Licht, wenn man sich etwa die Mühe macht, die gravierenden Veränderungen in der Wählerstruktur anzuschauen. CDU und SPD verlieren immer mehr ihren Status als Volksparteien, ehemals geschlossene Wählergruppen lösen sich auf und sterben weg, die Bindungsfähigkeit der ehemals verschiedenste Schichten, Milieus und gesellschaftliche Gruppen umfassenden und aufnehmenden Volksparteien nimmt beständig ab. Gleichzeitig nähern sich die Parteiprogramme immer mehr an. Ehemalige Gegensätze haben sich weitgehend aufgelöst. Die Parteienlandschaft zersplittert, während die wahren Unterschiede zwischen den Parteien und die politischen Alternativen immer geringer werden.

Und auch Walter macht sich auf die Suche nach den Gründen für die immer wieder zitierte 'German Angst', die Unsicherheit, Mutlosigkeit und Verzagtheit weiter Bevölkerungsteile. Er stimmt nicht ein in den Chor der Reformhysteriker, ohne jedoch die Augen vor nötigen Veränderungen zu verschließen. So redet er von naiver bundespräsidentialer Hauruck-Rhetorik, wenn er auf die Forderungen nach raschen und radikalen Reformen und Einschnitten eingeht. Doch tief greifende, einseitigen Reformen, wie etwa die Maggie Thatchers im Großbritannien der 1980er Jahre, sind in unserem politischen System gar nicht möglich. Denn unser auf Konsens und Kooperation angelegtes Staatswesen lässt die Beteiligung vielfältiger, gegenläufiger Machtgruppen zu. Darin mag man des Öfteren ein Hindernis für wichtige Reformen sehen - gleichzeitig basierte darauf aber auch die stabile Entwicklung der deutschen Gesellschaft und ihres Wohlstandes. Schürt man aber den Anspruch auf verschärften Wandel ohne ihn dann auch durchsetzen zu können, leistet das dem Vertrauensverlust der Politik Vorschub. Hinzu kommt, dass Umfragen zufolge die Mehrheit der Deutschen sich seit Jahren der neoliberalen Reformrhetorik und einer allein auf die Markregeln ausgerichteten Lebensform verweigert. Diesem Volkswillen steht aber keine wirkliche politische Alternative entgegen, da alle Parteien im Bundestag dem unreflektierten Wachstumsfetisch verfallen sind. Ein Grund für die Parteinverdrossenheit und Wahlenthaltung.

Doch als das größte Problem diagnostiziert Walter die Ziellosigkeit der Deutschen:

"Die Sicherheit von Sinn und Ziel, die den politischen Alternativen früher kontrastscharf zu Grunde lag, ist verloren gegangen. Doch Sinn ist neben dem Drang nach Macht der primäre Treibstoff für den politischen Einsatz. Sinn ist die elementare Ressource für Engagement, Anstrengung, Leistung, Altruismus, Leidensfähigkeit, Solidarität, Ehrgeiz, Kreativität. [?]
Die klassischen Parteien - gerade die sozialdemokratischen und christlichen Parteifamilien - haben es ebenfalls, nahezu naturwüchsig, gewusst und daher rund 150 Jahre alle Zäsuren der Politik- und Gesellschaftsgeschichte unbeschadet überstanden. Denn sie hatten den Mörtel des die Gegenwart weit transzendierenden Sinns, der aus Individuen überhaupt erst handlungsfähige und verbindlich organisierte Assoziationen machte, die auch dann noch beieinander blieben, als die unmittelbaren (Materiellen) Interessen schon befriedigt waren."

Die Gründe für diesen Sinnverlust sind natürlich komplex. Doch scheinen wir in der Zukunft vor der Beantwortung der Frage zu stehen, wie wir die fortschreitende Individualisierung mit gesellschaftlicher Verbindlichkeit in ein Gleichgewicht bringen können.

Ein äußerst aufschlussreiches, interessantes und gut geschriebenes Buch, das die vielfältigen innenpolitischen Veränderungen der letzten Jahre in einen größeren Zusammenhang stellt und Entwicklungen aufzeigt, die im alltäglichen Nachrichtenrausch allzu oft übersehen werden.
Es liegen politisch interessante Zeiten vor uns.
   




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