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Bob Dylan zum 65. Geburtstag - Ein persönlicher Kanon (Teil 2)
KULTUR | JUKEBOX (15.07.2006)
Von Robert Laude
Nach dem in der letzten Ausgabe Meisterwerke von Bob Dylan aus den Jahren 1963-1975 vorgestellt wurden, folgen nun die 1980er und 1990er Jahre.

Komposition

Robert Laude (c) Komposition


Slow Train Coming (1979) - Die Gegenrevolution

Es geschah am 17. November 1978 in San Diego. Gegen Ende einer langen, anstrengenden und künstlerisch unbefriedigenden Tournee warf ein Fan ein silbernes Kreuz auf die Bühne. Dylan hob es auf. Als er es am folgenden Abend in Tuscon auf dem Hotelzimmer eingehend betrachtet, passiert es plötzlich: Die Hand Gottes legt sich auf seine Schultern. Bob Dylan hat ein Erweckungserlebnis. Zwei Wochen später spielt er in seinem Programm zwei neue religiöse Stücke, im Januar 1979 nahm Dylan Abstand von seiner jüdischen Religion und ließ sich evangelikalisch taufen. Nach dem Besuch einer Bibelschule stand er schon im Mai 1979 im Studio und spielte in fünf Tagen mit Slow Train ein Album ein, das seine Fans noch einmal ratlos, wütend und voller Hass zurückließ. Ein Sturm der Entrüstung brach los.
Ausgerechnet Bob Dylan, die Ikone der Gegenkultur, die Stimme gegen falsche Führer und Ideologien, gegen Dogmen und Dummheit, ausgerechnet Bob Dylan sang nun voller Inbrunst Lieder über Gott, eine Gesellschaft, die gegen seine Gebote handelt, und den Glauben als den einzigen Weg. Und der Gott, über den Dylan nun sang, war kein Gott der Vergebung, der Hoffnung, der Liebe. Nein, der Gott über den Dylan sang, kam aus dem Alten Testament, war streng und strafend. Der Gott des Fegefeuers, in dem alle die landen, die seinem Wort nicht folgen. Das war zuviel für die meisten seiner Anhänger und führte zu einer weitgehenden Isolation Dylans. Zumal er sich bei seiner Herbst-Tournee weigerte, auch nur ein Lied zu spielen, dass älter als ein Jahr war.

Rückblickend ist jedoch festzuhalten, dass Slow Train bis heute eines der engagiertesten und überzeugendsten Alben von Bob Dylan ist.
Dank Produzentenlegende Jerry Wexler, der schon Ray Charles und Aretha Franklin aufnahm, Gitarristen Mark Knopfler, der sehr effektvoll aber nie aufdringlich spielt, und einer topp Session-Band ist es auch eine der am besten klingenden Platten von Bob Dylan. Der singt seine Texte mit einer Überzeugung und Hingabe, die einen auch heute noch aufhören lässt. Doch betrachtet man die Texte, so wird deutlich, dass Dylans Glaubensbotschaft recht eindimensional ist. "You either got faith or you got unbelieve and there is no neutral ground" heißt es in Precious Angel, das ansonsten ein wunderbares Lied ist. I Believe In You ist wie eine Vorwegnahme der harschen Reaktionen auf Dylans missionarischen Lieder und Konzerte: "They show me to the door / They say don't come back no more / 'Cause I don't be like they'd want me to, / And I walk out on my own / A thousand miles from home / But I don't feel alone / 'Cause I believe in you". Leise und verhalten beginnt Dylan diesen Song, um sich dann immer mehr in einen Rausch zu steigern, der vielleicht nicht unbedingt schön anzuhören ist, dem man aber anhört, das er erlebt, gefühlt und gelitten wurde. Einzig bei Man Gave Names To All The Animals, einer Art Kinderlied im Raeggae-Rythmus, taucht so etwas wie Humor und Freude auf. Slow Train und Gotta Serve Somebody sind großartige, kraftvolle Rock-Gospel Stücke, die auch heute noch überzeugen. Dylans Überzeugungen erwiesen sich jedoch nicht als so dauerhaft. Nach eineinhalb weiteren religiösen Alben wurde das Missions-Kapitel geschlossen und Dylan näherte sich wieder dem jüdischen Glauben an.

Oh Mercy (1989) - Eine Art Comeback

Die 1980er Jahre waren kein gutes Jahrzehnt für Dylan. Die Alben tendierten meist zwischen nicht schlecht und ganz schlecht, seine Konzerte klangen mehr und mehr lustlos und unfokussiert. Am Ende ließ ihn auch die Muse im Stich und an neue Lieder war nicht zu denken. Dylan dachte ans Aufhören, so schreibt er es im ersten Teil seiner Autobiografie Chronicles, Volume 1. "Ich fühlte mich erledigt, ich war ein ausgebranntes Wrack. In meinem Kopf rauschte es zu laut, und ich konnte nicht abschalten. Wo ich auch hingehe, bin ich ein Troubadour der Sechziger, ein Folkrock-Fossil, ein Verseschmied aus vergangenen Tagen, ein fiktives Staatsoberhaupt aus einem Land, dass keiner kennt. Ich bin in den bodenlosen Sumpf der kulturellen Vergessenheit gestürzt. Das stimmte alles. Ich kann's nicht ändern." Doch dann eines Nachts, Dylan war durch eine schwere Handverletzung wochenlang matt gesetzt, kam die Inspiration zurück und es gelang ihm, den ersten Song seit Jahren zu schreiben. Noch 19 weitere sollten in den nächsten Monaten folgen. Das Ergebnis war Oh, Mercy, ein Album das schon bald als sein bestes seit Blood On The Tracks (s. Teil 1) gelten sollte. Dylan hatte es geschafft, das Ruder noch einmal herumzureißen. Fans und Kritiker zeigten sich begeistert und langsam wurden auch die Live-Auftritte wieder besser. Auch wenn es noch Jahre harter Arbeit mit neuen Rückschlägen dauern würde bis Dylan zurück auf dem Olymp ankam, der Grundstein war gelegt.

Ein wichtiger Grund für den künstlerischen Erfolg von Oh Mercy war zweifellos Produzent Daniel Lanois, der Dylan von U2s Bono empfohlen wurde. Lanois kreierte eine Atmosphäre, die wie geschaffen war um Dylan, seine Stimme und seine Songs in Szene zu setzen. Ein Kritiker schrieb damals, das Album würde klingen, als säße Dylan neben einem gedrängt auf dem Rücksitz eines Schrottautos. Gemeint war das als Kompliment. Der Klang ist zurückgenommen, sparsam aber höchst effektiv instrumentiert. Das passte hervorragend zu Dylans Stimme. die so überzeugend klang wie lange nicht mehr. Und doch ist das Album alles andere als triumphierend. Es ist auch keine der Platten, die einen nach einmaligem Hören packt und nicht mehr loslässt. Auch die ganz großen Hits fehlen. Oh Mercy ist kein Knalleffekt. Es brennt sich langsam ein. Die einzelnen Stücke verdichten sich zu einem reflexiven Stimmungsbild und wie bei einem impressionistischen Gemälde verschwimmen die Umrisse, bis man das Ganze klarer sieht als zuvor.


World Gone Wrong (1993) - Zurück zu den Wurzeln

"Strange things have happened, like never before. / My baby told me I would have to go. / I can't be good no more, once like I did before. / I can't be good, baby, / Honey, because the world's gone wrong."

Mit diesen Zeilen beginnt World Gone Wrong und sie machen gleich klar, worum es geht. Dylan findet sich nicht mehr zurecht in einer Welt, in der es falsch läuft. Nach dem kreativen Aufbäumen bei Oh Mercy schlug auch die Schreibblockade wieder zu. Was tun? Zum einen begann Dylan seine Never Ending Tour, die eigentlich bis heute anhält. Weit über tausend Konzerte hat Dylan in den letzten Jahren gespielt, immer on the road, auch in den abgelegensten Winkeln und Kleinstädten. Auf der Bühne werden die alten Stücke neu erfunden. Der Prozess ist wichtiger als das Ergebnis. Die Zuschauer werden Zeugen, wie aus altem Material etwas Neues, Anderes geschaffen wird. Das unaufhörliche Touren wurde zu Dylans Weg mit seinem Ruhm, den Ansprüchen und seiner Vergangenheit umzugehen. Statt alle paar Jahre als Legende längst vergangener Tage auf eine groß angekündigte Abschiedstournee zu gehen, sich dabei den Kritiker auszusetzen, immer unter Druck, das Gewünschte, etwas Definitives abzuliefern und zu gefallen - statt also das Leben eines Altrockers zu führen, entzieht sich Dylan dem Rummel, einfach weil er immer da ist.

Der andere Weg, sich neu zu finden, sich seiner zu vergewissern, war für Dylan der Weg in die Vergangenheit. 1992 veröffentlichte er mit Good As I've Been To You, ein Album, das nur aus alten Folksongs, manche aus dem 19. Jahrhundert oder noch älter, bestand. Wie schon bei seinen ersten Soloalben verzichtete Dylan auf eine Band und spielte die Stücke nur mit akustischer Gitarre und Mundharmonika innerhalb weniger Tage in seinem Heimstudio ein. Das Album wurde ein künstlerischer, wenn auch kein kommerzieller Erfolg. World Gone Wrong folgte diesem Konzept, auch wenn diesmal der Schwerpunkt nicht auf Folksongs lag, sondern auf ebenfalls uralten Bluesstücken. Und gerade in der Sparsamkeit und Rauheit der Musik zeigen sich die Stärken Dylans und der Lieder. Sein Gitarrenspiel ist dynamisch und komplex, Dylan ist voll engagiert und in den Liedern drin; von langweiliger Klampferei kann hier keine Rede sein. Seine Stimme klingt so alt wie die Lieder, mal resigniert, mal zärtlich, einsam, traurig, immer voller Emotion. So gelingt es Dylan, die alten, einfachen Texte, in denen doch so viele Weisheit steckt, zum Leben zu erwecken und sie als Zustandbeschreibung unserer heutigen Welt gültig zu machen.

World Gone Wrong klingt, als sei Dylan auf den Berg gestiegen und mit diesen Liedern zurückgekehrt. Lieder, die schon immer da gewesen sind, Lieder aus einer anderen Zeit. Zeitlose Lieder, wahre Lieder, die uns alles über die Menschen erzählen. Lieder, die einen nicht mehr loslassen, Lieder, zu denen man immer zurückkehren kann.



Unplugged (1995, DVD/CD) - Live und locker

1995 war es soweit: auch Bob Dylan nahm ein Konzert im Rahmen der MTV-Unplugged Reihe auf. Eigentlich ja eine Ironie.
Dylan stellte sich ein Programm mit alten Folk- und Bluesstücken wie auf seinen letzten beiden Alben vor und entsetzte damit die Manager von MTV und Sony. Die forderten etwas weniger obskure Stücke. Als Dylan nachfragte, welches Lied denn zum Beispiel nicht obskur sei, bekam er zur Antwort: Knockin On Heaven's Door. Es hätte nicht verwundert, wenn Dylans Reaktion ein liebloses, schlechtes Konzert gewesen wäre. Doch weit gefehlt. Dylan präsentiert sich in großartiger Spiellaune. Zusammen mit seiner eingespielten Band und der Unterstützung von Brendan O'Brian, der an der Hammond-Orgel schöne Akzente setzt, liefert er ein äußerst lebendiges Konzert ab, in dem sich alte Hits, neue Stücke und dann doch auch die ein oder andere Obskurität abwechseln. Dylan singt die Lieder nicht routiniert herunter, er spielt mit ihnen, frischt sie durch immer neue Nuancen und Phrasierungen auf. Wenn ihm dann noch die aufmerksame Band mit ihrem sensiblen Spiel folgt und Dylans Impulse aufnimmt, dann entstehen magische Momente.


Time Out Of Mind (1997) - Fulminante Auferstehung aus der Apokalypse

... ist das Album, welches Dylan wieder ganz nach oben katapultierte und das als eines seiner absoluten Meisterwerke gilt. Wenige Monate vor Veröffentlichung des neuen Albums gingen Schlagzeilen um die Welt, dass Dylan mit einer lebensbedrohlichen Herzerkrankung im Hospital liege. Die ersten Nachrufe wurden vorbereitet. Als Time Out Of Mind dann veröffentlich wurde, schien es, als hätte Dylan bei den Aufnahmen seinen drohenden Untergang bereits geahnt. Eine Welt in Trümmern, gescheiterte Lieben, der nahende Tod - das sind die Themen von Time Out Of Mind. Wie schon so erfolgreich bei Oh Mercy, arbeite Dylan auch diesmal wieder mit dem Produzenten Daniel Lenois zusammen. Und wieder gelang es Lenois, einen ganz eigenen, hoch effizienten und eindringlichen Klang zu schaffen, der die apokalyptischen Themen der Texte aufnahm und erdete. Die einzelnen Instrumente sind vielschichtig und zu dichten Klangteppichen verwoben, scharfe Rhythmusakzentuierungen und ein pulsierendes Zusammenspiel von Orgel und Bass sorgen für Antrieb, während Dylans Stimme im Vordergrund steht. Wahrscheinlich könnte man Texte und Musik bei den meisten Stücken austauschen und es würde trotzdem gut klingen. Und um den Klang geht es. Er sorgt für eine das ganze Album umfassende und prägende Stimmung. Er ruft das Bild eines Outlaws hervor, der nach einem Marsch durch die Wüste ausgedurstet durch die staubigen, verfallenen Straßen einer Geisterstadt stolpert, auf der Suche nach einer ganz bestimmten Frau. Gleich zu Beginn singt Dylan mit Grabesstimme, während die Band nach und nach zusammenfindet, "I'm walking through streets that are dead / Walking, walking with you in my head / My feet are so tired, my brain is so wired / And the clouds are weeping."
Die Welt löst sich auf, das Herz ist gebrochen, die Zukunft ist der Tod. Hoffnung gibt es nicht mehr, der Abgrund lauert.
"Well my sense of humanity has gone down the drain / Behind every beautiful thing there's been some kind of pain."

Fans und Kritiker überschlugen sich vor Begeisterung, Dylan gewann einen Grammy, Time Out of Mind wurde in den verschiedensten Listen als bestes Album des Jahres gefeiert und seither gilt er als Anwärter auf den Literatur-Nobelpreis. Die Welt hatte Bob Dylan wieder in ihr Herz geschlossen, feierte ihn, sein Überleben und seine große Kunst
   



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