Der Spätberufene
POLITIK | FRANZ MEHRING (30.10.2013)
Von Frank Fehlberg | |
Bevor er zur Sozialdemokratie stieß, war er von ihr abgestoßen. Franz Mehring fand erst auf Umwegen zur SPD. Er wurde Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung und der erste marxistische Historiker. Franz Mehring war Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung. (c) Wikipedia Als Korrespondent in Berlin Als politischer Korrespondent und Parlamentsreporter machte Mehring sich in der demokratischen Presse einen Namen. Er beschäftigte sich verstärkt mit der Arbeiterbewegung und verfasste 1875 gegen den Historiker und "Sozialistentöter" Heinrich von Treitschke eine "sozialistische Replik". Als Mitarbeiter der Frankfurter Zeitung deckte Mehring 1876 auf, dass der Demokrat Leopold Sonnemann, dem das Blatt gehörte, aus undurchsichtigen Geschäften in der Gründerzeit nach dem Krieg Gewinn geschlagen hatte. Da Bebel und Liebknecht Sonnemann aus tagespolitischen Gründen verteidigten, wandte sich Mehring entrüstet von ihnen ab. Nun versuchte er, die Entlarvung der "heuchlerischen" Sozialdemokraten ins Werk zu setzen. 1877 veröffentlichte er eine in konservativ-liberalen Kreisen populäre Geschichte der Sozialdemokratie, in der er die führenden theoretischen und politischen Köpfe scharf angriff. Er machte ihnen den Vorwurf des "Vaterlandshasses" und schreckte auch vor persönlichen Spitzen - etwa gegen den "keifenden, kleinlichen, versteckten, widerwärtigen Zug" von Karl Marx - nicht zurück. Die moralische Entrüstung verhinderte jedoch nicht die weitere aufgeschlossene Auseinandersetzung Mehrings mit der Arbeiterbewegung und ihrer Theorie. Vor allem Ferdinand Lassalle und Karl Rodbertus schenkte er seine Aufmerksamkeit. Letzterer war ihm als "wissenschaftlicher Sozialist" noch 1879 der "epochemachende Vorläufer von Marx, Lassalle und Engels". Annäherung an Sozialdemokratie Unter dem Eindruck des "Sozialistengesetzes" (1878-1890) und eingehender Marx-Lektüre näherte sich Mehring der Sozialdemokratie in den 1880er Jahren wieder an. Weiterhin journalistisch auf politischem und kulturellem Gebiet tätig, wurde er zu einem der entschiedensten Gegner der repressiven anti-sozialdemokratischen Politik unter Reichskanzler Bismarck. Nach erneuten Konflikten mit Vertretern der bürgerlichen Presse, denen er Interessenverstrickung und Verteidigung der "Börsendemokratie" vorwarf, kehrte er ihr den Rücken. Dabei war der empfindliche und moralisch unerbittliche Schreiberling mehr als einmal mit jüdischen "Soldschreibern" und Zeitungsbesitzern zusammengestoßen. Eine Nähe Mehrings zu wirtschaftlichem Antisemitismus ist auch bei späteren Äußerungen nicht von der Hand zu weisen. 1888 schrieb Mehring erstmals für die Neue Zeit, der theoretischen Zeitschrift von Karl Kautsky. Mehrings politischer Wankelmut fand in der Zuwendung zum Marxismus sein Ende, 1891 trat er in die SPD ein. Anfänglich stieß er bei führenden Parteimitgliedern noch auf Argwohn. So schrieb Bebel 1892: "Man befürchtet immer wieder, er bekäme einen Rückfall." Doch bereits 1891 wurde Mehring ständiger Mitarbeiter der Neuen Zeit, seine publizistische Arbeit für die Sozialdemokratie bewertete Bebel als "ausgezeichnet". 1902 wurde Mehring schließlich Chefredakteur der Leipziger Volkszeitung, die zu jener Zeit ein Organ der Parteilinken um Rosa Luxemburg war. Hausdurchsuchung im Rahmen des Sozialistengesetzes, um 1879 (c) frei Mit geschichtlichen Arbeiten über die Sozialdemokratie, die seine früheren Schriften revidierten, entwickelte er sich zum ersten marxistisch durchgebildeten Historiker. Er erarbeitete sich zudem auch den Ruf des ersten Literaturkritikers, der auf dem Boden der Klassentheorie des historischen Materialismus stand. Als Anhänger der revolutionären Parteilinken distanzierte sich Mehring vor allem nach Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 von der reformorientierten Parteimehrheit. 1916 gründete er die Spartakusgruppe um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg mit. 1918 war er hoch betagt noch an der Gründung der KPD beteiligt. Franz Mehring starb am 29. Januar 1919. |