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Aus für staatliche Studienkollegs
POLITIK | ENTWICKLUNG IN NRW (15.10.2007)
Von Michael Billig
Als die Landesregierung in NRW verkündete, die staatlichen Studienkollegs schließen zu wollen, war es für Widerstand zu spät. Obwohl die Lehranstalten seit Längerem in der Diskussion stehen, haben sich ihre Verantwortlichen im Existenzkampf wohl zu sicher gefühlt.

Ab dem Jahr 2009 machen die Einrichtungen, an denen junge Leute aus Entwicklungs- und Schwellenländern auf ein Studium in Deutschland vorbereitet werden, dicht. Dieser Beschluss ist auf Initiative der FDP und mit Unterstützung der CDU Anfang September im nordrhein-westfälischen Landtag durchgestimmt worden. Erst wenige Tage zuvor haben Leiterinnen und Leiter der insgesamt sieben staatlichen Studienkollegs im größten Bundesland nahezu panisch Protestnoten versandt. „In großer Sorge wenden wir uns an Sie, weil die Landesregierung von NRW im Begriff ist eine Entscheidung zu treffen, die in krassem Widerspruch zu übergeordneten Zielsetzungen steht.“ Mit diesen Worten beginnt ein Schreiben von Marianne Merbeck, Direktorin des Studienkollegs an der RWTH Aachen, an die Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sechs Tag später fiel in Düsseldorf schon die Entscheidung – gegen staatliche Studienkollegs.

Jewgenij Arefiev

Rund 500 Menschen demonstrierten in Düsseldorf gegen die Schließung der Studienkollegs. Leider auch zu spät. (c) Jewgenij Arefiev

Ihr Ende hat sich aber schon zu Beginn des Jahres angebahnt. „Das Land hat mit dem Hochschulfreiheitsgesetz, dem Zukunftspakt und der Einführung von Studiengebühren die notwendigen Spielräume und Voraussetzungen geschaffen, damit die Hochschulen ihre jeweils zu ihrem Profil passende Strategie verwirklichen können.“ So heißt es im Kabinettsbeschluss. Ein Studienkolleg, wo Internationale jeglicher Herkunft die Zugangsberechtigung zu einer deutschen Hochschule bekommen können, passt da womöglich nicht ins Bild. Zu allem Überfluss lieferte der Landesrechnungshof ein weiteres Argument: Die Einrichtungen seien unwirtschaftlich.
„Die Abschaffung der Studienkollegs war eine überfällige Entscheidung“, sagte Andreas Archut, Sprecher der Uni Bonn, dem General Anzeiger. „Wir sind überzeugt, dass die Betreuung ausländischer Studierender besser von den Universitäten vorgenommen werden kann.“ So ähnlich hat sich auch Prof. Marianne Ravenstein, Prorektorin an der Uni Münster, geäußert. Und es ist stark anzunehmen, dass auch andere Uni-Leitungen mit Studienkollegs „am Bein“ im Zuge des ausgerufenen Wettbewerbs der Hochschulen so denken.

Jemand, der bereits im Januar von solchen Gedankenspielen abriet, ist Lothar Jansen. Er ist nicht nur Leiter des Studienkollegs in Münster, sondern auch Vorsitzender des konservativen Philologen-Verbands NRW und CDU-Mitglied. Allein schon aus moralischen Gründen hielt er Bildungseinrichtungen für junge Menschen aus Entwicklungsländern für unantastbar. Doch argumentierte Jansen vor allem mit dem Standortfaktor: „Wenn wir wirklich die besten Köpfe wollen, dürfen wir den attraktivsten Weg nicht versperren“, mahnte er und ließ sich von Parteifreunden besänftigen. Doch das Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes NRW ist nun einmal fest in FDP-Hand.
Und daraus stammt die Idee, die Aufgaben der Kollegs künftig auf private Trägervereine zu übertragen. Sie sollen in Kooperation mit den Hochschulen die Internationalen fit für die „Feststellungsprüfung“ zur Alma Mater machen. Dabei soll die Konzentration auf Bewerber aus dem Subsahara-Afrika liegen. Während das Ministerium bereits diese Eckpunkte ausgearbeitet hatte, mühten sich die staatlichen Studienkollegs vergebens, ihre guten Seiten heraus zu stellen. „Hier werden internationale Studienbewerber sprachlich, fachlich und methodisch auf ein Fachstudium vorbereitet“, so Marianne Merbeck. In der Regel dauert das zwei Semester. Eine Studie (2004) des Hochschulinformations-Service belegt, dass Absolventen der Studienkollegs im Studium besser abschneiden als ausländische Studierende, die direkt an die Hochschule gekommen sind.

ASten für Erhalt, aber Umstrukturierung

Trotzdem gab es in der Vergangenheit immer wieder Bedenken an dem seit beinah 50 Jahren bestehenden Konzept. Selbst Studierendenvertreter fordern eine Reform der Studienkollegs. Es bestand also Handlungsbedarf. Doch passiert ist lange Zeit nichts. Dennoch ergreifen die meisten Allgemeinen Studierenden Ausschüsse (AStA) in der Not Partei. Das Know-How müsse erhalten bleiben. „Durch die Schließung der Studienkollegs wird das Studium für ausländische Bewerber nur noch mit einem gut gefüllten Geldbeutel möglich. Denn die kostenpflichtigen Eignungsprüfungen können sich nur Wenige leisten“, sagte Andreas Weber, Integrationsreferent des AStA der Uni Köln.
Tatsächlich: Es ist momentan zu befürchten, dass noch weniger Menschen, insbesondere Frauen, aus ökonomisch schwachen Regionen dieser Welt, sich ein Studium in Deutschland werden leisten können. Außerdem wird von mehreren Seiten kritisiert, dass die Bewerber aus der Subsahara bevorzugt und somit vor allem islamische Länder ausgegrenzt werden würden. Zudem seien noch keine ausgereiften neuen Konzepte zur Betreuung ausländischer Studierender vorhanden. Hinsichtlich der Behebung des Fachkräftemangels und der Entwicklungszusammenarbeit könne das nicht im Interesse der Bundesregierung sein, schrieb Merbeck an die Bundeskanzlerin. „Bitte helfen Sie, diese unselige Entwicklung zu stoppen.“ Das Ergebnis ist bekannt: CDU und FDP stimmten für die Abschaffung der Studienkollegs, die SPD für den Erhalt und die Grünen enthielten sich.


Info: Herkunftsländer und Anzahl von Besuchern der Studienkollegs in NRW, Wintersemester 2006/2007 (Quelle: Statistisches Bundesamt)
1. Marokko 371, 2. China 368, 3. Türkei 296, 4. Russische Förderation 156, 5. Bulgarien 110, 6. Iran 107, 7. Polen 96, 8. Libanon 95, 9. Ukraine 93, 10. Südkorea 79, 11. Tunesien 79, 12. Kamerun 76, ... Peru 73, ... Nordkorea 3, Afghanistan 3, ... Somalia 1, Myanmar 1
   

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