Schritte auf dem Weg - zum Frieden?
GESELLSCHAFT | ENTWICKLUNG IN ISRAEL (15.12.2006)
Von Magnus Enxing | |
Der Tag beginnt heute erst um 5.40 Uhr - wir verschlafen um eine halbe Stunde. Das aus Keksen bestehende Frühstück futtern wir beim Laufen. Der M 1 von Abu Gosh nach Tel Aviv ist auch um diese Zeit schon stark befahren. Er ist die Verkehrsschlagader Israels schlechthin, ... ...die Hauptverbindung durch bergiges Gelände zwischen Jerusalem und der Küste. Der Seitenstreifen ist äußerst knapp bemessen, und auch auf dem Weg nach »Neve Shalom/Wahat al Salam« sind einige letzte Hindernisse zu bewältigen. Die finale Pause auf unserem Weg von Münster in die »Oase des Friedens« machen wir an einer Stelle, an der die israelische Bevölkerung dem Befreiungskrieg von 1948 gedenkt. In der Gegend um Latrun gab es wegen der Hauptverkehrsstraße, die zu beiden Seiten von Gebirgsausläufern umgeben ist, besonders schwere Kämpfe. Seinerzeit mussten die Israelis aufstecken und die Isolation Jerusalems hinnehmen. Das Tor zur ewigen Stadt konnte seinerzeit nicht von ihnen geöffnet werden. Der Wegweiser zum Ziel ist in hebräischer und arabischer Sprache geschrieben. Die beiden Brüder Ruben (l.) und Magnus Enxing haben es mit eigenen Augen gesehen. (c) Magnus Enxing Als mein Bruder Ruben und ich gegen Mittag im Ort angelangen, liegen Häuser, Wege und der zentrale Platz verschlafenen Hunden gleich in gleißender Hitze. Im Gebäude mit dem Hinweis Public Relations finden wir schließlich Ahmad, unseren Ansprechpartner im Dorf. Doch er hat sich scheinbar von der lähmenden Stimmung im Ort anstecken lassen. Er erkennt uns zunächst nicht, obwohl wir mit ihm für heute verabredet sind. Doch auch nachdem der Groschen gefallen ist, bleibt der Empfang verhalten. Müde und wenig organisiert wirken die Verantwortlichen. Doch erliegen wir, wohl mit Gedanken schon wieder zu Hause (oder womöglich gar nicht erst mit ihnen fort gewesen?), der deutschen Organisationssucht. Einmal mehr müssen wir erkennen: Die Welt besteht mehr als aus Deutschsein. Sind wir etwa verletzter Eitelkeit erlegen? Auf dem Fuße dieser Überlegungen folgt ein ausführliches Gespräch mit Howard, der uns in Geschichte und Idee des Dorfes einführt - wir werden eines besseren belehrt. Wir essen mit ihm zu Mittag und nehmen danach Quartier in zwei kürzlich frei gewordenen Zimmern, die üblicherweise den Volontären vorbehalten sind. In der Wohnküche der Volontäre läuft uns Wissam über den Weg. Er lädt mich prompt ein, mit ihm an seinem ganz persönlichen Aussichtspunkt mit Blick über die Talebene und das unweit gelegene Trappistenkloster bei einer Narghila (hiesige Bezeichnung für Wasserpfeife) den Feierabend zu begehen. Wissam ist ein palästinensischer 22-jähriger junger Mann. Sein Aufenthalt im Dorf ist illegal. Schon mehrfach wurde er von israelischen Polizisten aufgegriffen und des israelischen Staatsgebiets verwiesen und hinter die neue Errungenschaft des acht einhalb Meter hohen Zauns zurückgeschickt. Allerdings gefallen ihm das Leben im Dorf und der vorbehaltlose Umgang miteinander dort so sehr, dass ihn die sämtliche israelische Polizeibehörde nicht davon abhalten könnte, in die Oase des Friedens zurück zu kehren. Hier ist er Mädchen für alles, vorwiegend für gärtnerische Tätigkeiten, und ist viel mit den Freiwilligen zusammen, die, meist aus Europa, für eine längere Zeit in das Friedensdorf kommen, um dort ihrerseits ein bisschen zum großen Gesamtkunstwerk beizutragen. Nur manchmal besucht er seine Familie, die auf autonom palästinensischen Gebiet jenseits des Zauns lebt. Ruben, Wissam und ich genießen Bananentabak, die schöne Aussicht und lassen den Abend ausklingen. Am nächsten Tag sprechen wir mit Achmad und der hat einen Termin mit Dorit, der Frau Howards und Leiterin des Spiritual Centers, für uns gemacht. Mit ihr führen wir ein interessantes Gespräch über das Zusammenwirken von persönlicher Spiritualität und Politik, über ihre persönlichen Motive, in diesem Dorf zu leben. Wir reden über Toleranz, die eben gerade nicht mit Ignoranz zu verwechseln sei, was sich letztlich in bedingungsloser Akzeptanz des Gegenüber äußere, ungeachtet dessen eigenen Glaubens oder auch Unglaubens. In Neve Shalom/Wahat al Salam ist demzufolge ein konfessionelle Gebundenheit jedweder Art vollkommen unerheblich. Weil aber dennoch viele Menschen eine ganz persönliche Spiritualität spüren, soll das erst in der ersten Jahreshälfte gegründete »Pluralistic Center« diesen als Anlaufstelle dienen, ihrer Spiritualität auch Ausdruck zu geben. Auch die »Hall of Silence« ist diesem Zweck gewidmet. Opferrolle ablegen, Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen Am Nachmittag unterhalten wir uns mit Rayek, dem diesjährigen Hauptverantwortlichen für die Geschicke des Dorfs. In diese Position wird jedes Jahr turnusmäßig ein neuer Verantwortlicher gewählt. Rayek ist Mitte vierzig und hat eine unglaublich starke Ausstrahlung, die man ihm nicht ansieht, wenn man seine kleine schmale Figur in Augenschein nimmt. Er bringt uns seine Lebenseinstellung nahe, von der ich jeden Moment fest überzeugt bin, dass er sie auch mit der letzten Faser seines Körpers und Geistes lebt. Seiner Meinung nach gäbe es ein echtes Fortkommen im Konflikt zwischen Israel und Palästina, wenn jede der beiden Seiten ihre je für sich reklamierte Opferrolle ablegen und endlich bedingungslos Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen würde. Das beginne nicht erst auf einer übergeordneten Ebene, sondern schon im ganz alltäglichen Miteinander. Auch im Dorf selbst lebt es sich nicht immer in gütiger Eintracht. Doch den Konflikten, die hier herrschen, liegt vielmehr ein persönlicher Kontext zugrunde, nicht ethnische oder nationale Zugehörigkeit. Es dreht sich viel um Finanzielles, um Aufgabenverteilung - um praktische Dinge. Da ist dann ein Objekt wie der Swimming Pool ein echter »melting pot«, denn das Schwimmbecken ist für alle und jeden zugänglich. Rayek erzählt uns, welch völkerverbindende Funktion dieses Becken kühlen Nass' hat. Ob jüdischer oder palästinensischer Israeli, Jude oder Moslem, die Menschen kommen hier zusammen, um die Strapazen der übrigen Welt hinter sich zu lassen und ein paar schöne Stunden zu verbringen, ohne ihr Handeln politisch reflektieren zu müssen. Als wir am Abend gegen elf Uhr zu unseren Zimmern zurückkehren, werden wir gefragt, ob es uns nicht auch möglich ist, zu zweit in einem Zimmer zu schlafen? Soll das ein Scherz sein? Nichts anderes haben wir die letzten 150 Tage getan. Doch außergewöhnlicher als die Bitte an sich ist vielmehr, dass sie ein unmittelbares Resultat des Krieges gegen die Hisbollah wiedergibt, da das Friedensdorf Flüchtlinge aus dem Norden Israels aufnimmt, die der Bombardierung ihrer Häuser und Städte fliehen. Vor allem die zahlreich mitgekommenen Kinder sollen ein wenig Ruhe bekommen, damit sie nicht allzu traumatisiert werden. Die Friedensschule und Grundschule besuchen wir am Tag darauf und hören viel von den erzielten Erfolgen. Diese sind in der Tat mit den Händen zu greifen. Je höher der Durchlauf von Schülern an der Grundschule ist, desto mehr Menschen kommen überhaupt mit dem jeweiligen Gegenüber in Kontakt. Dies ist ein wichtiger Anfang, um deutlich zu machen, dass es sich immer um Menschen und nicht um eine anonyme und abstrakte Gruppe handelt, über die man redet. Am Abend, an dem Wissam ein Abschieds-Barbecue für uns gibt, überzeugen wir uns abermals von dieser unumstößlichen Wahrheit. Wir lernen ein, zwei andere Dorfjugendliche kennen und erfahren, dass sie durch ihre Erziehung besonders wenig von den üblichen stereotypen Denkmustern übernommen haben. In ihnen sehen wir den Beweis für das Funktionieren dieses Systems. Es sind weltoffene Menschen, die in ihrem Urteil über andere nicht auf Gruppenzugehörigkeiten schielen, was in dieser Gegend der Welt so selten geworden und doch so dringend notwendig ist. Apfeltabakduft erfüllt die nächtliche Luft als wir ein weiteres Mal zusammen an der Wasserpfeife ziehen. Der Blick geht nochmals über die einst so umkämpfte hügelige Region um Latrun. Das Kloster thront herrschaftlich am gegenüberliegenden Hang. Geht womöglich ausgerechnet vom einstigen Zankapfel, wo Ariel Scharon in den Befreiungskämpfen beinahe sein Leben gelassen hätte, tatsächlich der Impuls für einen möglichen Frieden aus? Der Krieg, der zum Zeitpunkt unseres Aufenthaltes im Friedensdorf den Norden des Landes und den Süden Libanons verwüstete, zeigt jedenfalls die dringende Notwendigkeit dafür. Und letztlich liegt wahrscheinlich genau in der Auffassung des diesjährigen Dorfchefs Rayek die Wahrheit verborgen: Wenn jeder bedingungslos Verantwortung für sein eigenes Handeln zu übernehmen bereit ist, dann können viele kleine Schritte zum großen Frieden führen. In Neve Shalom/Wahat al Salam gehen die Menschen im Wissen um einen richtigen Ansatz jeden Tag ein Stückchen weiter - in eine womöglich friedlichere Zukunft. |