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Wahre Liebe
GESELLSCHAFT | CHILE (15.03.2005)
Von Marcus Häußler †
An der Plaza de Juan Sebastian Bach in Santiago de Chile wird gespielt. Jugendliche laufen auf Stelzen. Kinder werfen bunte Bälle durch die Luft. Johannes jongliert. Er übt für seine Kunststücke auf den Straßenkreuzungen der Hauptstadt.

V
Marcus Häußler

In Santiago de Chile ist miteinander spielen unter Kindern und Jugendlichen noch hip. Wie hier auf der Plaza de Juan Sebastian Bach wird oftmals öffentlicher Raum lebendigen Spielplatz. (c) Marcus Häußler

or Laufenden Motoren wirbeln viele Kinder und Jugendliche im Verkehr der Sechs-Millionen-Einwohner-Metropole. Bei rot vollführen sie ihre wilden Akrobatiken und kunstvollen Jonglagen. Kurz bevor die Ampel grün zeigt, kassieren sie ihren Lohn von den wartenden Autofahrern. An guten Tagen kommt Johannes auf 16.000 Peso. Das sind über 20 Euro. "Damit kann man in Chile ganz gut überleben", sagt er so, als hätte er schon mit weniger auskommen müssen. Mit seinen Eltern in der Pfalz hat sich der 19-jährige erst kürzlich zerstritten und Ersparnisse hat er nicht. In Südamerika ist er auf sich allein gestellt, genauer auf sich und seine Freunde. Bei einem von ihnen wohnt er gerade.

Nach seinem Abitur in Deutschland entschied sich Johannes, anstelle seiner Wehrpflicht Ersatzdienst im Ausland zu leisten. In einem ländlichen Kinderheim im Süden Chiles fand er im August vergangenen Jahres eine Stelle als Pfleger und Betreuer. Hinzu kamen Arbeiten, die auf einem Bauernhof anfallen. Tiere füttern, Beete pflegen und das Haus instandhalten waren für Johannes sinnvolle Tätigkeiten. Seine zentrale Aufgabe sah er aber in der Betreuung der etwa 70 Heimkinder. Ein Jahr arbeitete der deutsche Wehrersatzdienstleistende für freie Unterkunft und Verpflegung auf dem Hof südöstlich der Stadt Concepción. Jetzt hat er einen Monat Urlaub und reist durch den Norden des Landes.

In zwei Wochen geht sein Rückflug nach Deutschland. Ob er mitfliegt ist ungewiss. Das Leben südlich des Äquators gefällt ihm zu gut. "Man arbeitet hier, um zu leben. Alles ist lockerer", erklärt der junge Pfälzer. Dass er diese Einstellung lebt, missfällt seinem Vater und so ist er von der elterlichen Unterstützung abgeschnitten. Ein zweites Einkommen hat Johannes deshalb vom Verkauf seiner selbstgefertigten Ketten und Armbänder. Aus Samen, Stricken und Draht stellt er dabei filigranen und modischen Schmuck her. Kunden findet er auf der Strasse, wenn er die Waren auf einem Tuch auf dem Bürgersteig ausbreitet.

Er fragt mich, wie spät es ist. Eigentlich wartet Johannes schon seit einer Stunde auf Paola. Leider ist ihm die genaue Zeit der Verabredung nicht ganz klar. Er hat Paola vergangene Woche auf einer Party kennengelernt. Als er von ihr zu schwärmen beginnt, nähert sie sich ihm von hinten. Mit ihren Händen bedeckt sie wortlos seine Augen. Er erkennt sie sofort. Sie tauschen Küsse und verliebte Blicke und ich ahne den vielleicht gewichtigsten Grund, nicht mehr heimkehren zu wollen.
   




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