Zur aktuellen Ausgabe    
   
 
   
Durch die Blume gesprochen
KULTUR | AUSSTELLUNG IN BASEL (15.04.2005)
Von Lena Kraemer
"Auf seinem Gemälde fliegt ein Vogel, umflutet von leuchtendem Rot, auf eine Blüte zu, als sei er unwiderstehlich von ihr angezogen. Doch Vorsicht! Man sollte sich von dem festlichen Rot nicht täuschen lassen, denn die Blüte ist ganz dunkel. Sollte die Blüte etwa nicht nur schön sein?"

Blumenmythos - Unwissentlich hat Paul Klee mit seinem Bild von 1918 das Thema der Ausstellung der Fondation Beyeler in Basel nicht nur namentlich, sondern auch thematisch geprägt. "Paul Klees Gemälde ist ein gutes Beispiel, um die Intention der Ausstellung zu erklären. Da ist zum einen der Überschwang, die verschwenderische Freude, ja sogar die Wollust, die von den Farborgien der Blüten ausgehen", erklärt Ulf Küster, einer der Kuratoren der Fondation Beyeler. Doch ist es nicht nur der rein ästhetische Augenschmaus, der hier vermittelt wird. Ebenso wird anderen Fragen nachgegangen: Was findet sich hinter der lieblich-unschuldigen Schönheit der Blume wieder? Wohin führt ihre Anziehungskraft? Welche Assoziationen erweckt sie beim Betrachter? Diese Überlegung kann als Leitfaden durch die Ausstellung dienen: Was passiert also, wenn das liebliche Motiv Blume auf die radikale Kunst der Moderne stößt?

War das Blumengemälde bis zur Romantik bloß eine Untergruppe des eigentlichen Stilllebens, so konnte es sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts als eine den anderen Genres gleichwertige Gattung etablieren. In der Antike bis zum Mittelalter erfüllte die Blume innerhalb eines Gemäldes eine allegorische Rolle, sprach somit also seine ganz eigene Sprache. Die Lilie zum Beispiel versinnbildlicht Dreifaltigkeit, in den Händen Marias unbefleckte Empfängnis aber auch die Passion Christi. In der Epoche der Romantik kann sich die Blume nun zusehends verselbständigen, sie wird nicht nur mystisches Symbol für Natur und Schöpfung, sondern auch für die Dichtung an sich.
Spätestens im Impressionismus nun macht van Gogh sie zum Experimentierfeld der Malerei und teilt ihr somit eine neue Rolle zu. Van Gogh ist nur der Anfang. Für viele andere Maler wird die Blume zum Schlüsselmotiv, zur idealen Projektionsfläche für den Ausdruck der unmittelbaren Wahrnehmung des Künstlers.
Bei van Gogh und Folge-Künstlern wie Chaïm Soutine, Lovis Corinth und nicht zuletzt Jeff Koons lässt sich eine große emotionale Identifikation mit dem Dargestellten, also in diesem Fall mit der Blume feststellen. Während andere Künstler es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Blume so darzustellen wie sie ist, scheint van Gogh mehr ein Portrait seines Seelenzustandes zu malen, oder mehr noch, seine Existenz auf die Blume zu projizieren, sie in ihr wiederzusehen. Sind seine früheren Bilder noch von dunklen Farben geprägt, so gelingt es ihm mit der Zeit, immer "heller zu werden". Das letzte seiner Bilder dieser Reihe ist der Blühende Kastanienzweig.
"Selbstportraits" finden sich ebenso bei Corinth wieder. Doch dient die Malerei hier weniger dem therapeutischen Zweck im erhellenden Sinne, sondern ist sie nur Instrument zur Darstellung des Seelenlebens. Seine Chrysanthemen sind 1918 nach einem Schlaganfall entstanden. Sie zeichnen sich in erster Linie durch den wilden Pinselstrich aus, der die Blumen dominert und das Motiv fast verschwinden lässt.
Als neuestes Beispiel zum Thema Identifikation und Selbstportrait ist Koons Blumenvase von 1988 zu nennen, eine zweidimensionale Montage aus kleinen Spiegelstücken zu einem Blumenstrauß zusammengesetzt. Hier wird die Blume zum Spiegel des Künstlers.

Weitere zentrale Thematiken, die sich in der Ausstellung Blumenmythos auffinden lassen, sind Schönheit und Tod. Nicht nur im pharmazeutischen Sinne ist es von Bedeutung, dass einige Blumen oder auch Pflanzen in der rechten Dosierung derart giftig sind, dass sie zum Tode führen, sondern auch als Symbol der vergänglichen und eitlen Schönheit innerhalb der Vanitas-Gemälde. "Denn nach kurzer Glanzzeit verwest die wunderbare Blütenkrone schamlos in der Sonne und wird so für die Pflanze zu einer grellen Brandmarkung. Aus stinkendem Mist gezogen scheint die Blüte zu ihrem ursprünglichen Schmutz zurückzukehren, obwohl sie den Eindruck erweckte, dem in einem Impuls engelhafter und schwärmerischer Reinheit zu entkommen." (George Bataille in "Language des Fleurs"). Dies greift James Ensor in seinem Stilleben von 1909 Totenköpfe mit Blumen auf. Die drei Totenköpfe, ebenfalls eine Anspielung auf die altmeisterliche Symbolsprache der Vanitas-Stilleben, wirken allerdings in Zusammenhang mit den farbenfrohen Blumen eher skurill.
Auch die Künstlerin María Fernanda Cardoso, die zu den jüngeren Positionen innerhalb der Ausstellung gehört, wendet sich in ihrer Installation Cementerio - jardín vertical (Friedhof - Vertikaler Garten) von 1999 der Todesthematik zu. Hierbei nimmt sie Bezug auf die Begräbnisriten ihrer kolumbianischen Heimat, bei denen Plastikblumen eine große Rolle spielen. Als wichtigster Beweggrund diente ihr die sogenannte Kultur der Gewalt in Kolumbien.

Außer den hier besprochenen Künstlern sind in der Ausstellung Blumenmythos noch vertreten: Cuno Amiet, Nobuyoshi Araki, Hans Arp, Max Beckmann, Karl Blossfeldt, Pierre Bonnard, Samuel Buri, Paul Cézanne, Gustav Courbet, Imogen Cunningham, Silvie Dafraoui, Jonathan Delafield Cook, Keith Edmier, Max Ernst, Jean Fautrier, Erik A. Frandsen, Paul Gauguin, Gabriella Gerosa, Augusto Giacometti, Andy Goldsworthy, Natalja Sergejewna, Gontscharowa, David Hockney, Dorette Huegin, Gary Hume, Anselm Kiefer, Ernst Ludwig Kirchner, Gustav Klimt, Wolfgang Laib, Fernand Léger, Edouard Manet, Robert Mapplethorpe, Henri Matisse, Joan Miró, Piet Mondrian, Claude Monet, Adolphe Monticelli, Gabriele Münter, Emil Nolde, Georgia OŽKeeffe, Max Pechstein, Pablo Picasso, Odilon Redon, Auguste Renoir, Pippilotti Rist, James Rosenquist, Henri Rousseau, Edward Streichen, Yoshihiro Suda, Wolfgang Tillmanns, Fred Tomaselli, Andy Warhol und Uwe Wittwer.
Die Ausstellung der Fondation Beyeler in Basel ist noch bis zum 22. Mai geöffnet, umfasst immerhin gut 160 Werke, darunter nicht nur Gemälde, sondern auch Installationen, Videos und erstmalig in diesem Umfang auch Photografien aus den letzten hundert Jahren. Die Ausstellung beschreibt den Zeitraum vom Impressionismus bis heute und bietet dem Publikum einen Anblick auf die Werke bekannter und unbekannter Künstler der Neuzeit.

Weiterführende Links
http://www.beyeler.comFondation Beyeler
   

Unsere Texte nach Ressorts
GESELLSCHAFTPOLITIKKULTURREISEUMWELTWIRTSCHAFTSPORT
Ein sächsisches Dorf kann auch andersNewtons zweiter SiegWo Nachbarn zur Familie gehörenNur kein zweites KreuzviertelLiebe über den Tod hinausJede Fahrt eine DrogenfahrtEine Million Euro für die Cannabis-LobbyArmutszuwanderung? Eine Untergrunddebatte!Mails verschlüsseln leicht gemachtVerschlüsseln - eine Notlösung Soziale Demokratie geht auch ohne SPDBedingt verhandlungsbereitDas vergessene Massaker von AndischanDas Ende von Lüge und SelbstbetrugGeteiltes Volk einig im Kampf gegen IS-TerrorDie Urkatastrophe und wirDas Ende rückt immer näherNeue Regierung, neue Krisen, neue FehlerMerkels neues WirHausfotograf der deutschen Sozialdemokratie Liebeserklärung eines Linksträgers. Oder...Mit der Lizenz zum AusrastenDer beste Mann für Afghanistan"Weil sie auch nur Opfer sind"Gestatten, Gronausaurus!Missratenes PashtunenporträtDie Band LilabungalowWo Leibniz und Wagner die Schulbank drücktenHitler in der Pizza-SchachtelDie Freiheit des Radfahrens In der Wildnis vergessenStau in der FahrradhochburgMitfahrer lenken selbstÜber Wroclaw nach Lwiw - eine verrückte TourIm Frühjahr durch den Norden Polens - Teil 2Im Frühjahr durch den Norden Polens - Teil 1Sounds of KenyaDie 41-Euro-SündeRive Gauche vs. Rive DroiteOranje im Freudentaumel Drei Naturerlebnisse in einemDas Gegenteil von KollapsDas Gift von KöllikenDas große Pottwal-PuzzleBio bis in die letzte FaserDer WonnemonatKlimakiller sattDer Monsun - vom Quell des Lebens zum katastrophalen NaturphänomenR136a1 - Schwerer und heller als die SonneDie Rückkehr zur Wildnis Wie die Hausverwaltung GMRE ihre Mieter abzocktWachstum und BeschäftigungSo schmeckt der SommerMakler der LuxusklasseGeburtshelferinnen vom Aussterben bedrohtVersenkte Milliarden und eine verseuchte BuchtWohnungen als WareAufstieg, Krise und Fall der AtomwirtschaftDie längste Brücke Deutschlands entstehtDie Geschichte der 'Alternativlosigkeit' - Teil 2 Fußballtempel MaracanãGlanz und Niedergang der Fanclubsiley.de drückt Maschine Münster die DaumenUnsere Veranstaltungsreihe im Web TVFrankreich ist ein heißer Kandidat fürs FinaleSpanien wird den Titel verteidigenFür Deutschland ist im Halbfinale SchlussPolen hat das Zeug für eine ÜberraschungForscher, Fans und PolizeiFußball im Würgegriff der Mafia
 
Ja, auch diese Webseite verwendet Cookies. Hier erfahrt ihr alles zum Datenschutz