Wilde Tiere in der Stadt
UMWELT | AUFGEFALLEN (15.11.2006)
Von Janita Tönnissen | |
Was vom Abendessen übrig bleibt, schnappen sich nachts Küchenschaben, Fuchs und Waschbär. In unseren Betten schlafen nicht nur wir, sondern auch Milben, Flöhe und Wanzen. Wildschweine durchwühlen Vorgärten nach Blumenzwiebeln und Tauben brüten im Blumenkasten auf dem Balkon. Wir haben Untermieter - gefiederte, geschuppte, behaarte! Ein Waschbär in städtischen Gefilden ist keine Seltenheit. Ein Bild von ihm schon. (c) Diana Montillon 1978 häuften sich in Winterthur Anzeigen gegen unbekannt in Sachen Beschädigung von Personenwagen. Ruedi Muggler, Polizist und Jäger, legte sich nachts auf die Lauer und ertappte den Übeltäter - einen Steinmarder. Autohersteller und Kaskoversicherungen haben sich mittlerweile an den knabbernden Automarder gewöhnt. Und die Marder haben sich an das geparkte Auto als ständig verfügbaren, trockenen und sicheren Spielplatz gewöhnt. Ebenso wie der Fuchs ist der Marder ein sehr verspieltes, neugieriges und anpassungsfähiges Tier - die Grundvorraussetzungen, um einen neuen Lebensraum zu erobern. Die Füchse begannen irgendwann in den 80er Jahren, in die Städte einzuwandern. Seitdem leben sie in der Stadt, ohne jemals den Wald zu vermissen. Eine genetische Untersuchung der Züricher Stadtfüchse hat ergeben, dass Stadtfüchse nicht Landfüchse sind, die sich in die Stadt verirrt haben, sondern dass sie eine eigene Gruppe bilden. Die Züricher Füchse schlafen auf Baugerüsten und Garagendächern, finden Essbares auf den Straßen, in den Parks, in Gärten und Abfalleimern. Die Stadt ist für den Fuchs ebenso ein Biotop wie Wald und Wiese. 8 000 Wildschweine in Berlin Ein Zoologe konnte nachweisen, dass in München fünf bis sechs mal mehr Schmetterlingsarten als auf dem Land vorkommen. Hamburg ist voll von Dachsen und Waschbären, die die 75 ehrenamtlichen Stadtjäger auf Trab halten. Allein in Berlin leben rund 8 000 Wildschweine und mindestens 1 000 Füchse. Dafür, dass sich diese Tiere ausgerechnet in der Hauptstadt wohl fühlen, gibt es eine einfache Ursache: Aus Geldnot verzichtet die Stadt darauf, ihre Grünanlagen aufzuräumen und bietet den neuen Bewohnern so reichlich genießbares Futter. Die Gründe, weshalb immer mehr Tiere die Stadt als Lebensraum wählen, sind handfest und leicht nachvollziehbar: reichlich Nahrung, unzählige Verstecke und geschützte Kinderstuben. Für Ökologen ist das nicht überraschend, denn die Artenvielfalt hängt davon ab, wie viele unterschiedliche Nischen ein Lebensraum bietet. Auf dem Land überwiegen Monokulturen und "ordentliche" Wälder und Hecken. In der Stadt dagegen gibt es viele Grünflächen, die der Mensch nicht nutzen muss. Kleingärten, Parkanlagen, Friedhöfe und brachliegende Industrieareale bilden kleine Oasen. Stubenfliege, Hausratte und Silberfischchen bietet die Stadt vor allem durch den Bewohner Mensch einen reizvollen Lebensort. Als Nutznießer des geballten menschlichen Lebens sind sie uns längst vertraut. Doch die Grenzen zwischen Stadt und Land scheinen immer mehr zu verschwimmen. Vielleicht müssen wir uns wieder daran gewöhnen, unseren Lebensraum zu teilen. |