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Publizieren oder untergehen
GESELLSCHAFT | WISSENSCHAFT (11.05.2011)
Von Michael Billig
Negative oder unklare Forschungsergebnisse sind oft nicht erwünscht. Deshalb werden Fehlversuche verschwiegen oder sogar verfälscht. Derweil sieht es so aus, als eile die Wissenschaft von Durchbruch zu Durchbruch.

Es war einer der größten Skandale der jüngeren Wissenschaftsgeschichte: Der deutsche Physiker Jan Hendrik Schön berichtete in Fachjournalen wie Science und Nature über seine Forschung und stellte bahnbrechende Ergebnisse zu Hochtemperatursupraleitern und Molekül-Transistoren in Aussicht. Die Fachwelt staunte. Manche seiner Kollegen sahen in Schön einen kommenden Nobelpreisträger. Doch der gefeierte Forscherstar war ein Betrüger. Seine Messdaten waren frei erfunden. 2002 flog er auf. Bis dahin hatte er die Fachwelt drei Jahre lang an der Nase herum geführt. Niemand vermochte seine Experimente zu wiederholen und auf vergleichbare Resultate zu stoßen.
iley.de

Negative Forschungsergebnisse landen häufig im Papierkorb - oder jetzt im Journal für ungelöste Fragen. (c) iley.de

Dabei hätte der Betrug früher auffallen können, sagt Leonie Mück von der Uni Mainz. Hätten die anderen Forscher ihre Fehlversuche nur publiziert. Doch ein solches Vorgehen ist in der Wissenschaft unüblich. Für Chemikerin Mück ist der Fall Schön ein Beispiel dafür, welche Folgen das Verschweigen negativer Forschungsergebnisse haben kann. Mück tritt deshalb für ein Umdenken in der wissenschaftlichen Publikationspraxis ein. Eine mögliche Plattform liefert die 25-Jährige gleich mit. Gemeinsam mit anderen Nachwuchswissenschaftlern hat sie jüngst das Journal of Unsolved Questions (Journal für ungelöste Fragen), kurz JUnQ, gegründet.
Die richtigen Fragen zu stellen, sei wichtiger, als Antworten zu finden, schreibt Mück im Vorwort von Heft Nummer eins. Ungeklärte Fragen in der Wissenschaft und Forschungsergebnisse, die auf den ersten Blick keine sind und deshalb auch nicht den Weg in die etablierten Journale finden – daraus schustern Mück und ein Team von vier Mitstreitern ihr Fachblatt. 250 Exemplare pro Auflage, komplett in englischer Sprache, interdisziplinär und im Internet präsent.
Die Idee für das Journal entstand an der Graduiertenschule für Materialwissenschaften an der Uni Mainz. Das Heft fülle eine echte Lücke, wird die Mainzer Chemie-Professorin Angelika Kühnle darin zitiert. "Die wissenschaftliche Kommunikations- und Publikationskultur lässt nur wenig Raum, um unklare Ergebnisse zu präsentieren und zu diskutieren", so Kühnle. Unerwünschte Nebeneffekte dieser Kultur häufen sich: Spektakulär war der Fall des südkoreanischen Forschers Hwang Woo Suk, der im Fachblatt Science vorgab, menschliche embryonale Stammzellen geklont zu haben – eine glatte Lüge, wie sich 2005 herausstellen sollte.

Reputation und hoher Druck

Aus Publikationen ziehen Wissenschaftler ihre Reputation. Heute mehr denn je. Sie spielen bei der Vergabe von Lehrstühlen und Drittmitteln eine gewichtige Rolle. "Viele Institute schreiben ihren Mitarbeitern eine bestimmte Anzahl von Publikationen vor", sagt der Soziologe Andreas Diekmann. Der Professor von der ETH Zürich weiß aber auch, dass es nicht nur auf die Menge ankommt, sondern darauf, wo die Publikationen erscheinen. Ein besonders hohes Ansehen genießen Science und Nature. Wer in diesen Fachblättern veröffentlichen will, muss spannende Neuentdeckungen liefern. Wie diese manchmal zustande kommen, beschreibt Diekmann: "Test x ist nicht signifikant, Test y liefert das gewünschte signifikante Ergebnis. Also wird das Ergebnis von Test y berichtet.“ Nach außen hin sieht so aus, als eile die Wissenschaft von Durchbruch zu Durchbruch. Dabei fallen negative Forschungsresultate in den meisten Fällen einfach unter den Tisch. Diekmann: "Man spricht auch von einem Schubladeneffekt."
Raus aus der Schublade, rein ins Journal für ungelöste Fragen – so stellt es sich Leonie Mück vor. Allerdings gibt niemand gern offen zu, wenn Experimente scheitern. Dessen ist sich Mück bewusst. Sie ist dennoch optimistisch, dass Wissenschaftler in ihrem Blatt publizieren wollen. Mück geht voran und hat den ersten Beitrag selbst verfasst. "Eine organische Reaktion, die auf dem Papier gut aussieht, muss in der Praxis noch lange nicht funktionieren", sagt sie. "Wenn man darüber publiziert, stellt das für Chemiker auch eine wertvolle Information dar", ist sie überzeugt.
Das Zurückhalten negativer Ergebnisse halte die Wissenschaft auf, sagt JunQ-Mitbegründer Thomas Jagau. Sie bekannt zu machen, könne helfen, immer gleiche Fehler zu vermeiden. Von einem Scheitern will er gar nicht sprechen. Jagau regt an, den Blickwinkeln zu ändern. "Negative Ergebnisse können auch zu einem Erkenntnisgewinn führen."

Streit wegen Autorschaft

Neben dem Magazin haben die Nachwuchswissenschaftler aus Mainz eine Vorlesungsreihe initiiert. Mit dem Titel "Publish or Persish" (Publiziere oder geh unter) spielen sie auf den Publikationsdruck an, unter dem Forscher stehen. Ihr erster Referent war einer, der die Verhältnisse bestens kennt: Der Heidelberger Physik-Professor Siegfried Hunklinger ist Ombudsman für Wissenschaft. Eingesetzt von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) schlichtet er, wenn sich Forscher in die Haare kriegen. In den meisten Streitfällen geht es um Autorschaftsfragen. Insgesamt 50 bis 60 Anfragen gebe es im Jahr, die Hälfte sei ernster Natur, berichtete Hunklinger in Mainz. Hunklinger ist auch Ansprechpartner für Whistleblower, die wissenschaftliches Fehlverhalten aufdecken wollen.
"Dass es überhaupt einen Ombudsman gibt, ist in der Wissenschaft gar nicht groß bekannt", behauptet Leonie Mück. Dabei gibt es ihn seit 1997, seitdem ein anderer Skandal die Wissenschaft schockte: Der hoch angesehene deutsche Krebsforscher Friedhelm Herrmann war damals als Mitautor an einer ganzen Reihe von Publikationen mit frisierten Daten beteiligt. Der DFG, die Herrmanns Forschung mitfinanzierte, wurde klar: Das schlimmste ist der Vertrauensverlust. Um Fehlern künftig vorzubeugen, hat sie den Ombudsman installiert. Mittlerweile müsste jede Hochschule einen haben.
Der Fall Schön ist immer noch nicht zu den Akten gelegt. Die Uni Konstanz, an der der Physiker einst promoviert hatte, fürchtete um ihren Ruf und erkannte ihm deshalb seinen Doktor ab. Doch Schön wehrte sich vor Gericht und bekam nach jahrelangem Rechtsstreit im September 2010 seinen Titel zurück. Die Uni ging in Berufung. Eine endgültige Entscheidung steht bis heute aus.

Weiterführende Links
http://www.junq.infoJournal of Unsolved Questions
http://www.ombudsman-fuer-die-wissenschaft.deOmbudsman für die Wissenschaft
   





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