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Die Partei und der König
POLITIK | POLITIK IN LAOS (15.02.2005)
Von Oliver Tappe
Im Jahre 2003 wurde die Bevölkerung Vientianes Zeuge eines im ersten Augenblick widersprüchlichen Schauspiels.

Initiiert von der seit der kommunistischen Revolution von 1975 allein regierenden Laotischen Revolutionären Volkspartei (LRVP) wurde eine riesige Statue des ersten laotischen Königs Fa Ngum, der 1353 das erste gesamtlaotische Reich Lan Sang ("Land der Million Elefanten") begründet hatte, eingeweiht. Zu diesem Anlass fand eine Prozession statt, in welcher der Heerzug Fa Ngums von Schauspielern dargestellt durch die Straßen zog - mit dem König auf einem Elefanten thronend an der Spitze. Was hier überrascht ist die Tatsache, dass ausgerechnet die ehemaligen Revolutionäre, die nach ihrer Machtübernahme die Monarchie abgeschafft und den letzten König Sisavang Vatthana in ein Umerziehungslager deportiert hatten, eine königliche Figur in ihre Hauptstadt einmarschieren ließen.

Zum Verständnis dieser Episode, in welcher sich der Facettenreichtum der laotischen Kultur und Geschichte widerspiegelt, muss ein wenig weiter ausgeholt werden - bis in die Ära Fa Ngum. Aus seiner Heimat Müang Sua, dem späteren Luang Prabang, als Kind verstoßen, genoss er seine Erziehung am Hofe des Khmer-Königs in Angkor. Später heiratete er dessen Tochter und stellte mit seiner Unterstützung eine Armee auf, um den Thron von Müang Sua zu erobern. Auf dem Weg dorthin unterwarf er verschiedene laotische Gemeinwesen (Lao: müang) und vereinigte sie schließlich zum gesamtlaotischen Königreich Lan Sang mit der Hauptstadt Müang Sua. Aus seinem Exil im Reich der Khmer hatte er außerdem buddhistische Mönche und Gelehrte mitgebracht, um den Buddhismus in Lan Sang zu verbreiten. Seither war in Laos Königtum und Buddhismus nicht mehr voneinander zu trennen. Der König ließ Tempel und Stupas errichten und protegierte den Mönchsorden. Im Gegenzug erhielt er Legitimation als rechtschaffener buddhistischer Herrscher, zumal auch Prosperität und Kriegsglück auf positives Karma des Königs zurückgeführt wurde.

Viele der legendären Könige von Laos genießen noch immer Respekt und Verehrung in der gegenwärtigen Laotischen Demokratischen Volksrepublik. Neben Fa Ngum vor allem Sai Setthatirat, der im 16. Jahrhundert die Hauptstadt nach Vientiane verlegte und zu diesem Anlass den That Luang ("Großer Stupa") errichten ließ, das bis heute wichtigste Nationalheiligtum der Lao.

Das führt uns geradewegs zur Problematik der Kommunisten, nach 1975 ihre Macht zu legitimieren. Sie verfolgten marxistisch-leninistische Richtlinien, in denen der Buddhismus, der durch seine symbolische Nähe zur laotischen Monarchie in gewisser Weise ideologische Gefahren barg, keinen Platz mehr hatte. Buddhistische Festivitäten galten als Ressourcenverschwendung und Mönche als Sozialparasiten, die nichts für den nationalen Fortschritt taten. Stattdessen wurden Gleichheit und Solidarität betont, gerade im Hinblick auf die ethnischen Minoritäten, die einen großen Anteil am Erfolg des Kampfes der Revolutionäre gegen die königliche Regierung hatten. Die ethnischen Lao stellen nur wenig mehr als die Hälfte der Bevölkerung von ca. 5,5 Millionen. Nebenbei bemerkt: ca. 20 Millionen ethnischer Lao leben heute im Nordosten Thailands. Dieses historische Kuriosum ist ein Erbe der Zeit, wo ein Großteil des zu Beginn des 18. Jahrhunderts zerfallenen Lan Sang zum Vasallen Bangkoks wurde - bis die französische Kolonialmacht 1893 die Gebiete östlich des Mekong für sich reklamierte. Der bevölkerungsreichste Teil des ehemaligen laotischen Großreichs gehörte weiterhin zu Bangkok, so dass 1954 nur ein verhältnismäßig kleiner, dünn besiedelter und wirtschaftlich schwacher laotischer Nationalstaat neben Vietnam und Kambodscha aus Französisch-Indochina hervorging und das Licht der internationalen Staatengemeinschaft erblickte.

Es sollte sich jedoch herausstellen, dass sich die Politik der LRVP durch Misswirtschaft und weiterhin soziopolitische Marginalisierung der ethnischen Minoritäten ad absurdum führte und spätestens nach dem Zusammenbruch der UdSSR unter akuten Legitimationsdefiziten litt. Die Hochstilisierung des langjährigen Parteichefs Kayson Phomvihan als nationale Vaterfigur und Königsersatz fand kaum Resonanz in der Bevölkerung. Der "Stupa des unbekannten Soldaten" mit Kommunistenstern auf der Spitze ist das bekannteste gescheiterte Experiment zur Behebung der symbolischen Armut des Regimes. Heute begegnet man ihr mit einer Rückbesinnung auf buddhistische Werte und auf die Heldentaten vergangener Könige. Es wurde eine klare Trennung gezogen zwischen den "Verrätern" des 20. Jahrhunderts und den wahrhaft "patriotischen" Königen, die gegen siamesische "Imperialisten" und birmanische "Feudalisten" für die laotische Unabhängigkeit fochten. Könige wie Fa Ngum wurden von der offiziellen Historiographie als Proto-Revolutionäre interpretiert - die LRVP entsprechend als legitime Nachfolger dieser Könige im Kampf für die Souveränität des laotischen Volkes und als Beschützer des Buddhismus.

So schließt sich der Kreis und wir sehen gegenwärtig kommunistische Kader, die Opfergaben vor Buddhastatuen ablegen, das buddhistische Kulturerbe von Laos betonen und Statuen vergangener Könige enthüllen. Gleichzeitig sind anachronistisch anmutende Symbole wie Hammer und Sichel immer noch präsent und die Staatszeitungen zeichnen sich vor allem durch Relikte marxistisch-leninistischer Rhetorik aus. Es ist dieser ideologische Spagat, der mit all seinen Widersprüchlichkeiten das faszinierende Wesen der laotischen Gesellschaft ausmacht.
   






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