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Parallelgesellschaft Bundeswehr ? Der nächste Fall einer Bastion des Gemeinwesens
POLITIK | STANDPUNKT (25.11.2010)
Von Frank Fehlberg
An einer weiteren Front tritt der Staat als organisatorische Einheit seiner Bürger den Rückzug an. Der Wehrdienst soll demnächst aus der Wahrnehmung der Staatsbürger verschwinden. Wo einige neue Möglichkeiten der regulären Beschäftigung sehen, wird am Ende wieder nur ein Prinzip obsiegen: die Privatisierung und betriebswirtschaftliche Regelung öffentlicher Zuständigkeiten, die für ein demokratisches Gemeinwesen unverzichtbar sind.

Wie sähe die öffentliche Diskussion in Deutschland aus, wenn junge Wehrpflichtige direkt von der Schulbank nach Afghanistan eingezogen würden? Schon jetzt ermöglichen nur Berufssoldaten und Freiwillige den deutschen Waffengang am Hindukusch. Das erleichtert den Regierenden die Begründung und Fortführung des „humanitären Einsatzes“ ungemein. Vor der Öffentlichkeit weitestgehend verborgen, kann sie einen Einsatz fortsetzen, der höchst umstritten und in aller Munde sein sollte. Bürger protestieren zu tausenden gegen Stuttgart 21 und die Verlängerung der Atomlaufzeiten, weil sie ein breites gesellschaftliches Interesse nicht von der Politik umgesetzt, ja durch Privatinteressen unterlaufen sehen. Es geht um ihre Steuergelder und die Zukunft der kommenden Generation. Nur, dass ihr Land an fernen Orten „Schutztruppen“ mit zunehmender privatwirtschaftlicher Unterstützung stationiert hat und in Kämpfe verwickelt ist, bringt komischer Weise niemanden auf die Barrikaden. Das liegt vor allem daran, dass sie sich selbst nicht von den Konsequenzen solcher Engagements berührt fühlen und allenfalls in unverbindlichen Umfragen ihr Missfallen zum Ausdruck bringen.

Die Wehrpflicht hatte ursprünglich auch zum Ziel, den Bürger die Politik des Staates direkt umsetzen zu lassen, und zwar an einer Stelle, an der es letztlich um Leben und Tod gehen kann. Die Wehrpflicht von Söhnen und Vätern verwickelte einmal den Ottonormalverbraucher in Fragen von Krieg und Frieden. Sie konnte ihm Kritik und blockierenden Widerstand ermöglichen, verschaffte ihm Einfluss auf die Politik, weil seine Tatkraft und Unterstützung gefordert war.
Bundeswehrsoldaten in Afghanistan
Die Proteste während des Vietnamkrieges in den USA und Russlands Vereinigung der Soldatenmütter waren und sind vor allem deshalb zustande gekommen, weil Wehrpflichtige in einen schlecht begründeten Krieg ziehen mussten, die Wehrpflicht also den Krieg mitten unter die Bevölkerung getragen hatte. Jetzt soll die Wehrpflicht in Deutschland endgültig eingestampft werden. An ihre Stelle treten finanziell attraktive Professionalisierung und – wohl in noch größerem Ausmaß wie schon bisher – die Privatisierung ganzer Aufgabenbereiche eines wichtigen Teils der Staatsgewalt.

Die langfristige Marschrichtung scheint vorgegeben: aus der deutschen Wehrpflichtarmee soll eine „effiziente“, „flexible“ und dabei in allen Belangen „verschlankte“ Berufsarmee von eingefleischten Profis werden. Die Vergangenheit lehrt, dass man bei Verwendung solcher Vokabeln tunlichst kritisch zu beurteilen hat, welche Absichten hinter derartig angekündigten „Reformen“ stecken. Mit weiteren Worthülsen wie der „vernetzten Sicherheit“ und dem „zivil-militärischen Comprehensive approach“ gespickte Sätze können nicht darüber hinwegtäuschen, dass wohl nur eine gesellschaftliche Interessengruppe wirklich weiß, wohin der Marsch führen soll: die an Einfluss gewinnende „Sicherheitsindustrie“. Diese umfasst von Transport- über Technologieunternehmen bis zur Söldnertruppe so ziemlich alles, was der „vernetzten Sicherheit“ von „zivilen“ und militärischen Maßnahmen dient.

Begriffsmonstrum "Vernetzte Sicherheit"

Die „vernetzte Sicherheit“ steht im Verdacht, durch einseitige Interessenprägung als umfassendes und gerade deshalb ausgehöhltes Begriffsmonstrum zu dienen, mit dem alles und nichts erklärt wird. Prima lässt sich auf diese Art ein „level of ambition“ formulieren, bei dem die Zielsetzung möglichst verschleiert werden soll. Auch das vorrangige Ziel von „Sicherheitsunternehmen“ ist es, Geld zu verdienen. Und ihr Geld verdienen sie, wenn die „Friedenseinsätze“ in aller Welt möglichst weiterlaufen, ja „expandieren“, und sie als Teil der „vernetzten Sicherheit“ vom Geschehen profitieren.

Kein Zufall ist daher, dass maßgebliche Branchenvertreter der Sicherheitsindustrie wie Rheinmetall Defence und Thales eine Schriftenreihe mit dem Namen „Vernetzte Sicherheit“ unterstützen. Oder dass Dirk Niebel als Entwicklungshilfeminister eine stärkere Verschränkung – natürlich: Vernetzung! – von militärischer und „ziviler“ Arbeit in Krisengebieten vorantreibt. Man übersieht schwerlich, dass sein Ministerium offensichtlich hauptsächlich für die „wirtschaftliche Zusammenarbeit“ in seinem Titel zuständig ist. Die „strategische“ Phraseologie der Bundeswehr nimmt, sicherlich zeitgemäß, eine stramme betriebswirtschaftliche Note an. Für die neue Bundeswehr heißt das: auch bei „knappen Ressourcen“ sollen ihre Aufgaben als „einheitliches Leistungspaket“ verstanden werden. Die Nähe von Begrifflichkeit und Argumentation zu typischen Sprachregelungen der Interessenvertreter von Unternehmen der angeblich „gemeinsamen Branche“ ist frappierend. Bei den Reformern unserer Armee heißt es auf der Netzseite der Bundeswehr: „Der anstehende Veränderungsprozess wird so gestaltet, dass die Bundeswehr in ihren Kernfähigkeiten erhalten und die laufenden Einsätze nicht gefährdet werden.“ Von den „Kernkompetenzen“ redet man auch beim Umstrukturieren von Konzernen. Um diese in bester Qualität erhalten zu können sind denn auch Ausgliederungen nötig. Was heute schon bei Fuhrpark und technischer Wartung praktiziert wird, ist wohl nur ein kleiner Vorgeschmack darauf, was unserer einstigen Parlamentsarmee in Zukunft blüht.

Am Volk vorbei

Private Unternehmen wittern ihre Chance, sich ein großes Stück vom finanziellen Kuchen der Sicherheitspolitik des deutschen Staates zu sichern. Wo privates Interesse direkt im Verbund mit dem politischen Interesse die Richtung vorgibt, bleibt das öffentliche Interesse der Gesamtheit der Staatsbürger oft auf der Strecke. Wo die sicherheitspolitischen Maßnahmen eines Staates zu einem großen Teil in private Hände gelegt werden, wo eine Armee als „Parallelgesellschaft“ aus der Mitte des Volkes herausgetrennt und mit der Rationalität betriebswirtschaftlicher Veräußerung „reformiert“ wird, ist es um die Legitimität militärischer Einsätze nicht gut bestellt. Der Verdacht kommt auf, dass die Militärgewalt durch die Verbindung von undurchsichtigem politischem und privatwirtschaftlichem Kalkül am Volk vorbei missbraucht wird. Die Armee wird in einer Demokratie eben nicht nur durch das Parlament legitimiert. Der Beitrag der Staatsbürger in Form der Wehrpflicht ist vor allem deshalb unabdingbar, weil er die Politik auf breiter Basis daran erinnert, wer der erste Profiteur ihrer Anstrengungen sein soll: der Staatsbürger. Die Wehrpflicht ist zugleich ein Wehrrecht, hört man bei ihren überzeugten Anhängern. Sie zeigt der Politik ihre Verantwortlichkeit gegenüber dem Bürger und diesem seine Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft. Die möglichst breite gesellschaftliche Beteiligung an der militärischen Gewalt des Staates ist ebenso Pflicht wie, idealer Weise, Korrektiv des politischen Prozesses.

Schon heute haben Landsleute ein gespaltenes Verhältnis zu den Soldaten, die in Afghanistan für die deutschen Interessen fallen oder verwundet werden. Nicht selten ist zu hören: „Die sind doch freiwillig dort und werden für den Job gut bezahlt.“ Eine ernsthafte gesellschaftliche Diskussion um Sinn und Ziel des Einsatzes gibt es nicht. Sieht so die demokratisch legitimierte Berufs-Bundeswehr der Zukunft aus? Eine „Fremdenlegion“ im eigenen Land? Ein Landsknechtstross? Nein, die Ökonomisierung und Teilprivatisierung eines so essentiellen Bestandteiles des staatlichen Gemeinwesens darf nicht voranschreiten.Die Welt lässt sich nicht betriebswirtschaftlich erfassen und mit ein paar Worthülsen in den Griff kriegen. Ein „Job“ ist immer noch eine Arbeit, der Soldat immer noch ein Staatsbürger in Uniform und keiner, der einen „Job macht“. Eine Frage wird neben der staatspolitischen Beurteilung immer wichtiger und sollte den Kritiker zusätzlich beschäftigen: Wer profitiert wie von welcher „Reform“?
   










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