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Kontrolleure außer Kontrolle
POLITIK | HOCHSCHULRÄTE (05.11.2010)
Von Michael Billig
Sie haben die schier uneingeschränkte Macht an den Hochschulen: die Damen und Herren Hochschulräte. Einem Aufsichtsrat gleich kontrollieren sie die Geschicke der höchsten deutschen Bildungsstätten. Ihre Legitimation hat zuletzt jedoch arg gelitten.

Thomas Middelhof sitzt im Hochschulrat der Universität Münster. Dort ist der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Pleite-Konzerns Arcandor im Finanzausschuss tätig. Während die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen Untreue im Fall Arcandor ermittelt, kontrolliert er die Finanzen der Hochschule. Doch wer kontrolliert eigentlich Herrn Middelhoff?
iley.de

Senatssaal der Uni Münster - hier wurde der Hochschulrat inthronisiert. (c) iley.de

Eine mögliche Kontrolle scheitert schon an fehlender Transparenz. Beispielsweise ist nicht klar, wem genau Middelhoff diesen Posten zu verdanken hat. Eine Uni-Kommission hat den Hochschulrat bestimmt. Neben Middelhoff haben weitere Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Wirtschaft ihren Platz darin bekommen, darunter der Physiknobelpreisträger Johannes Georg Bednorz. Sie sind für fünf Jahre im Amt. Und was viele gar nicht wissen: Hochschulräte können sich – so legt es das neue Hochschulgesetz fest – vor Ablauf ihrer Amtszeit nur selbst absetzen. Unbekannt ist häufig auch, wie oft sich die grauen Eminenzen treffen und was sie für ihre Tätigkeit im Hochschulrat bekommen.
In Münster lagen die Namen der "Großen Acht" dem Senat der Uni zur Abstimmung vor. Alles, was danach geschah, geschah unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Es handele sich um eine Personalangelegenheit, begründete nicht nur die Uni Münster die Geheimniskrämerei. Nach iley-Informationen wurden im Jahr 2008 fast alle Hochschulräte in Nordrhein-Westfalen in nicht-öffentlichen Sitzungen gewählt.*

Konfrontation im Senatssaal

Die Hochschulen in NRW haben kurzen Prozess gemacht und die Studierenden vor vollendete Tatsachen gestellt. Mit welcher Sturheit sie zum Teil vorgingen, zeigt auch das Beispiel Münster. Studierende drängten auf eine öffentliche Wahl des Hochschulrates. Ein Dutzend kamen am Tag der Entscheidung zur Senatssitzung und wollten diese nicht ohne zu protestieren wieder verlassen. Erst mit Hilfe der Polizei konnten sie zum Gehen bewegt werden. Kurze Zeit später flatterte einigen von ihnen eine Anzeige ins Haus - wegen Nötigung der Uni-Mitarbeiter und Sachbeschädigung (eine Tür sei zu Bruch gegangen). Für ein paar hundert Euro haben sie sich von den Vorwürfen freikaufen können. Wer bezahlt hat, für den war die Sache aus der Welt. Doch zwei Studenten ließen es auf ein Verfahren ankommen - und wurden freigesprochen. Zwei Jahre darauf ist die juristische Schlappe der Uni komplett: Das Oberverwaltunggericht (OVG) Münster unterstützt die Ansicht der Studierenden, dass die Wahl des Hochschulrates hätte öffentlich stattfinden müssen.

Hochschulräte vor Gericht

Die nicht-öffentliche Ernennung des Hochschulrates sei rechtswidrig, sagte jüngst das OVG und erteilte damit besonders all den Juristen, die in den Hochschulräten thronen, eine schallende Ohrfeige. Es handele sich um eine Wahl und die hätte zwingend öffentlich erfolgen müssen, so das Gericht weiter. Ein Urteil aus Münster gibt es allerdings nicht. Denn der Student, der gegen die geheime Wahl vorgehen wollte, war gar nicht klageberechtigt. Es hätte jemand aus dem Senat, dem Gremium, das den Hochschulrat abgenickt hat, vor Gericht ziehen müssen.
Das letzte Wort ist aber nicht gesprochen. Es gibt schließlich noch den Fall in Düsseldorf, wo drei studentische Senatoren die Hochschulratswahl an ihrer Fachhochschule anfechten. Das Verfahren dort ist mit Blick auf Münster anhängig. Ohne ein Urteil vorwegnehmen zu wollen: Künftige Hochschulratswahlen werden mit ziemlicher Sicherheit öffentlich stattfinden. Andernfalls riskieren die Hochschulen ein neues Verfahren.
Was aus den zurückliegenden Wahlen wird, hängt davon ab, wie das Verwaltungsgericht Düsseldorf konkret entscheidet. Studentenanwalt Wilhelm Achelpöhler rechnet damit, dass alle Hochschulräte neu gewählt werden müssen. Studierendenvertreter wirken beim Thema Hochschulräte zuweilen überfordert und fordern vorsichtshalber gleich die Abschaffung dieser Gremien.


*Update (11.11.): Die Hochschulratswahl an der Uni Bielfeld war öffentlich.
   






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