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Böses Erwachen im Audimax
GESELLSCHAFT | STUDIUM (06.11.2009)
Von Olaf Götze
Es ist Hochschultag in Münster, rund 20.000 Schülerinnen und Schüler tummeln sich in der Stadt. Der Audimax an der Universität Münster ist voller junger Menschen – und seit zwei Tagen von Studierenden besetzt. (Heute räumte die Polizei den Hörsaal.)

O.Götze

Rund 500 Plätze hat der Audimax in Münster zu bieten. Die Protestler fordern einen Studienplatz für jeden und damit die Abschaffung der NC. (c) O.Götze

An der Wand hängen Transparente. Sie verkünden: "Wer nicht kämpft, hat schon verloren", "Soziale Unruhen" und "Zu Verkaufen: Unabhängige Forschung". Einige Nachzügler blicken am Eingang durch ein "Besetzt"-Transpi in den Hörsaal auf der Suche nach einer letzten Sitzgelegenheit. Der Audimax ist besetzt, um die Forderungen des Bildungsstreikes zu verstärken und – aus Solidarität zu den Streikenden an den Hochschulen Österreichs. Dort kämpfen die Studierenden gegen verstärkte Zugangsbeschränkungen.

Gründe für das Chaos im Hörsaal

Am Mikrofon vor der großen Tafel stellen einige Studierende den staunenden Schülerinnen und Schülern die Streikorganisation vor. Die geplante Veranstaltung für die angehende HochschülerInnen werde hier trotz Besetzung stattfinden, heißt es in einem Nebensatz. Doch erstmal haben die BesetzerInnnen das Wort: Bologna-Prozess, Studiengebühren und mehr Mitbestimmung. Die Anwesenden nehmen wohl nur die Hälfte von dem wahr, was ihnen als die Gründe für den chaotisch aussehenden Hörsaal genannt werden. Aber sie nehmen auch mit, dass hier etwas in Bewegung ist. Die jungen Menschen vor ihnen könnten auch aus ihrer Mitte stammen, so sehen sie jedenfalls aus. Tatsächlich präsentieren einige SchülerInnen aus dem Bildungsstreikbündnis Münster in geübter Routine das Problem von Kopfnoten und verkürztem G-8-Abitur.

Medienmacher und PR-Berater der Zukunft

Dann beginnt die Dozentin mit einem Vortrag. "Das Studium der Kommunikationswissenschaft" steht auf dem Plan. An der Leinwand leuchtet ein kreisrundes Modell auf, das Theoriegebäude hinter dem Wissenschaftsfeld "Kommunikation". BesetzerInnen wenden sich gelangweilt wieder der Volxküche zu. Währenddessen werden die SchülerInnen mit dem versorgt, was sie über das Studium offensichtlich wissen müssen, bevor sie sich dafür entscheiden. Welche Inhalte hält das Studium bereit. Wie sind diese aufgebaut? Wie sind die Studiengänge strukturiert? Welche Module werden belegt, welche Bachelor- und Mastervarianten gibt es? Viele Fragenzeichen stehen im Raum. Nach mehr als einer halben Stunde Daten und Fakten rauchen die Köpfe vor Informationen.

In diesem Fach werden künftige JournalistInnen in Print, Funk und Fernsehen, die Medienmacher und PR-Berater, die Pressesprecher, die Medienforscher und Marketingexperten ausgebildet. Jetzt leuchten die Augen der vielen hundert jungen Menschen auf. In der Kommunikationswissenschaft würden theoretische Grundkenntnisse und Praxiserfahrungen vermittelt und am Ende stehen Absolventen, von denen nach neuen Untersuchungen über 90 Prozent nach ihrem Studium in einem adäquaten Beruf tätig sind.

Zugang zur Kommunikationswissenschaft beschränkt

"Und nun zeige ich ihnen eine Folie, die ich am liebsten weglassen würde", sagt die Dozentin. Es ist mucksmäuschenstill im Saal. Der Studiengang der Kommunikationswissenschaften sei sehr beliebt, sagt sie. Deshalb gebe es mehr Bewerberinnen und Bewerber, als tatsächlich am Ende ein Studium aufnehmen können. "Der Numerus Clausus liegt bei 1,6 für den 1-Fach und 1,3 für den 2-Fach-Bachelor." Ein Raunen geht durch den Hörsaal: "Huuuh". Aufgeregt fangen die SchülerInnen an mit ihren Nachbarn zu kommunizieren. Die Dozentin versucht, mit einigen ergänzenden Worten zum Bewerbungsverfahren die Situation zu überspielen. Doch die Ersten erheben sich, um zu gehen. Immer mehr stehen auf und verlassen den Audimax. Als die Dozentin ihren Vortrag beendet hat, um jetzt eine Fragerunde anzuschließen, ist bereits mehr als ein Drittel gegangen. Erst als alle Fragen beantwortet sind, übernehmen wieder die BesetzerInnen das Mikrofon und weisen erneut auf soziale Selektion durch Zugangsbeschränkungen und ihre Proteste dagegen hin. Diejenigen, die bereits gegangen sind, erreichen sie damit nicht mehr.

Am darauffolgenden Tag (6.11.09) gegen sechs Uhr morgens ist der Audimax auf Anweisung des Rektorats von der Polizei geräumt worden. Etwa 50 BesetzerInnen sollen sich zu diesem Zeitpunkt im Hörsaal befunden haben.
   






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