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Kaminvorteile
KULTUR | UNPOPGESCHICHTE (15.06.2007)
Von Andy Strauß
Gut, dass wir den Kamin haben, denke ich und nippe an meinem Drink. Aber gar nicht so gut, dass wir jetzt wieder neue Nachbarn haben. Das Haus, das etwa 500 Meter von unserem Haus entfernt steht, steht nie lange leer. Mitten im Westerwald, relativ einsam, nur unser Haus und eben das der Nachbarn.

Der Weg von der Hauptstraße bis zu unserem Haus ist nicht mal ansatzweise geteert, wenn es stark regnet muss mal Allradantrieb haben, sonst geht gar nichts. Zum nächsten Supermarkt sind es gute 30 Minuten, aber ich fahre die Strecke gerne. Man kommt an so schönen Bäumen vorbei und sieht verendete Füchse in den Fuchsfallen. Für den Kleinen kaufe ich dann Babynahrung und Windeln, er kommt nächstes Jahr in die 12. Klasse und macht gerade seinen Führerschein. Er weiß sehr viel und wird in der Schule sehr viel gehänselt. Aber das formt nur Bimbims Charakter, da sind Bärbel und ich uns einig.
Für Bärbel kaufe ich Anziehsachen, Gewürze und was sie mir sonst so auf den Zettel schreibt, mir selbst kaufe ich die Sachen, die in meiner Cocktailbar gerade fehlen. Hin und wieder lasse ich auch mal ein Glas fallen, weil ich so tue, als wäre ich ein dramatischer Schauspieler. Das Glas kaufe ich dann auch nach, während ich das gesamte Restgeld für Schminksachen ausgebe. Manchmal trage ich gerne knallroten oder pinken Lippenstift und sinniere dann über die Abdrücke an meinem Glas, manchmal will ich aber einfach nur Lipgloss auftragen. Im Winter nehme ich ein anderes Puder als im Sommer, denn da ist mein Teint heller.
Als Bimbim heute von der Schule kam, hatten seine Stufenkameraden ihm mal wieder ein blaues Auge gehänselt, das hab ich ihm dann schön übergeschminkt. Nachdem er dann aber erzählte, dass er nur eine drei in einer Politikarbeit bekommen hatte, habe ich ihm direkt ein symmetrisches blaues Auge geschlagen, und das wird nicht übergeschminkt. Während ich ihn wickelte, erklärte ich ihm, dass ich eine tagesformbedingte zwei noch verstanden hätte, aber mit einer drei in einer Politikarbeit wird er nie ein guter Förster. Er blutete leicht aus der Nase, was von meiner Sanktion kam, aber einen Tampon in den Rüssel und schon war das auch gegessen.
Jetzt bin ich hier mit Bärbel, wir haben unsere Drinks. Bärbel hat immer darauf zu achten, ob sich noch Getränk in meinem Glas befindet und wenn mein Glas leer ist, muss sie es wieder voll machen. Ich gehe schließlich immer einkaufen, weil sie sich nicht traut. Die Leute schauen sie immer so abwertend und abgeschreckt an, einmal wurde sie sogar von einer Polin gefragt, ob sie zuhause geschlagen werden würde. Nachbarn sind da besonders penetrant, das wissen wir aus der Zeit, in der wir noch in Dortmund gewohnt haben. Derer konnte man sich auch nicht entledigen, also sind wir hier in den Wald gezogen. Ja, hier ist es schön, besonders in den Wochen, in denen das Nachbarhaus nicht bewohnt ist. Bimbim kommt hier zwar auch ab und zu ramponiert nach Hause, aber in Dortmund haben die Kinder Messer. Außerdem haben wir den Kamin.
Gestern kamen die neuen Nachbarn ohne Vorankündigung vorbei, wir hatten gar keine Zeit Bärbel vorher zu schminken, was besonders schlimm war, denn vor drei Tagen ist sie am Kamin eingeschlafen und mein Drink war leer. Das konnte man ihr dann schon ansehen, vor allem das würgen, der Hals wird schnell blau, wenn man sich etwas kräftiger umarmt. Als Herr Nachbar mich fragte: „Oh was ist denn mit ihrer Frau?“ klang das für mich wie „bweeeheeebwheeehee“. Mir fiel keine bessere Antwort ein als: „Ja, Bärbel hat schon einen kräftigen Brustpanzer und ihr Busen ist auch nicht schlecht, aber hören sie mal auf da so hinzustarren!“ Nachts stand ich dann noch etwas auf unserem Haus. Immer, wenn ich da stehe, denke ich, dass das Haus vielleicht zu klein für drei Leute ist, unser Wohnblock in Dortmund war immerhin sechs-stöckig. Wenn ich Bimbim da runter geworfen hätte, dann würde ich jetzt das Geld für seinen Führerschein sparen und könnte mir selbst mal richtig was leisten. Aber das wird er mir alles zurückzahlen wenn er endlich Förster ist. Ich schicke ihn jetzt schon immer in den Wald zum Förstern üben.
Letzte Nacht auf dem Dach habe ich lange überlegt, wann ich es mit den neuen Nachbarn machen würde, aber erstmal muss ich noch die Reste der alten Nachbarn im Kamin verfeuert haben. Vor zwei Wochen habe ich beim Wickeln festgestellt, dass Bimbim Würmer im Stuhl hat, entweder hat er im Wald Fallobst gegessen oder sich über die verwesenden Reste der alten Nachbarn hergemacht. Seitdem darf er bei Bärbel und mir im Bett schlafen, bis die Parasiten wieder weg sind. Aber er ist so dick und ich habe kaum Platz. Aber wenigstens habe ich ein großes Herz und wenn ich wegen seiner Fülle nicht schlafen kann, wecke ich ihn und lass ihn ums Haus laufen bis er etwas weniger wiegt.
Die Würmer werden wir sicher auch in den Griff bekommen, ich habe da etwa folgendes geplant. Aus Bimbims nächsten Stuhl werde ich die kleinen Bösewichter entfernen und mit einem tödlichen Virus infizieren. Dann werde ich sie Bimbim in den Brei mischen und der Virus wird die gesamte Wurmkolonie epidemieartig befallen und sie werden sterben. Sowas kann ich, ich schaue schließlich viel Fernsehen so abends vor dem Kamin. Sollte es doch nicht so ganz funktionieren, kommt Bimbim auch in den Kamin. Dann hätte ich auch wieder viel mehr Zeit. Gut das wir den Kamin haben.
   



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