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Das Leuchten des Meeres
UMWELT | TIERISCH (15.09.2005)
Von Janita Tönnissen
Die untergehende Sonne bewirkt unter der Oberfläche des Meeres eine unglaubliche Verwandlung. Während sich die Dunkelheit ausbreitet, offenbart sich das Leben im Wasser durch Ausstrahlung von biologischem Licht.

Der erste Naturwissenschaftler, der diese Erscheinung beschrieb, war Anixinemenes im Jahre 500 vor Christus. Er berichtete von Licht, das vom Meerwasser emittiert wurde, wenn ein Ruder es strich. Seitdem wurde das Leuchten des Ozeans hundertfach geschildert, wobei diesem "mysteriösen Strahlen" viele Geistergeschichten von Matrosen entspringen. Welche Seeungeheuer sind das, die sich da in den Tiefen der Meere bemerkbar machen?

Funkelnde Algen

Nachts bietet sich ein wundervolles Spektakel: sich brechende Wellen erstrahlen in blauem Licht, schwimmende Fische hinterlassen leuchtende Spuren. Das Phytoplankton reagiert auf mechanischen Reiz mit der Aussendung von Licht, um sich vor Fraßfeinden zu schützen. Der beleuchtete Feind wird dadurch für andere Räuber des Meeres sichtbar. Wer also nicht vorsichtig genug durch das lumineszierende Plankton schwimmt, landet schnell im Rachen eines anderen Tieres. Der Ozean wird zum lumineszierende Minenfeld, jede schnelle Bewegung löst eine Explosion von Licht aus. Bestimmte Arten einzelliger Algen, wie z.B. Noctiluca miliaris, können sich in warmen Gewässern massenhaft vermehren. Während dieser so genannten "Roten Tiden" zählt man über zwei Millionen der braungefärbten Algen pro Liter Meerwasser. Myriaden von Organismen "biolumineszieren".

Angeln in der Tiefsee

In der ewigen Dunkelheit der Tiefsee dient die Biolumineszenz der Jagd. Anglerfische (Lophius piscatorius) besitzen an der Spitze eines aufgerichteten angelartigen Fadens eine Art Laterne, in der leuchtende Bakterien wachsen. Das ausgestrahlte Licht dieser symbiontischen Bakterien dient ihm als Köder, um Beute anzuziehen. Angelockte kleine Fische versuchen, nach einem leuchtenden Krebschen zu schnappen und werden dabei selbst verschlungen. Fische der Gattung Equula ersparen sich den Umweg über die Angel. Ihr Leuchtorgan befindet sich direkt im Inneren des Maules. Dies ist wohl die bequemste Art der Nahrungsbeschaffung.

Unsichtbare Scheinwerfer

Drachenfische (Malacosteidae) nutzen ihre Leuchtorgane als Scheinwerfer. Dabei bedienen sie sich eines Tricks: sie senden Licht aus, das für andere Tiefseetiere unsichtbar ist. Langwelliges rotes Licht wird schnell vom Wasser absorbiert, grünes und vor allem blaues dagegen dringt wesentlich tiefer vor. Dementsprechend besitzen die meisten Tiefseetiere nur Rezeptoren für blaues Licht, alle anderen Farben sind für sie unsichtbar. Nur die Drachenfische besitzen einerseits Organe, die rotes Licht aussenden, und andererseits rotempfindliche Lichtrezeptoren. Damit sind sie in der Lage, ihre Beute zu sehen, doch der Räuber bleibt für sein Opfer unsichtbar.

Strahlende Wangen

Der nachtaktive Korallenfisch Photoblepharon palpebrosus beherbergt in seinen paarig unter den Augen gelegenen Leuchtorganen lumineszierende Bakterien. Nach hinten abgeschlossen ist dieses Leuchtorgan durch eine reflektierende Pigmentschicht, die wie ein Hohlspiegel wirkt (Tapetum). Dadurch wird der Lichtstrahl gebündelt und somit die Leuchtwirkung verstärkt. Um das unablässige Leuchten der Bakterien kontrollieren zu können, besitzt der Fisch eine Art Augenlid und kann somit seinen Artgenossen "Morsezeichen" geben und Beute anlocken.

Leuchtender Schleim

Zu den zahlreichen anderen leuchtenden Meerestieren gehören Borstenwürmer, Schnecken, Tintenfische, Krebse, Seesterne, Muscheln und Quallen, wobei jede dieser Arten ihre Fähigkeit zur Lichtproduktion anders nutzt. Die Tiefseegarnele Acanthephyra beispielsweise stößt bei Gefahr eine Wolke leuchtenden Schleimes aus, hinter der sie sich dem Auge des Feindes entziehen kann. Durch Einlagerung von Farbstoffen in die Linsen- oder Reflektorzellen der Leuchtorgane kann das normalerweise bläulich-weiße Licht auch eine rote, blaue, grüne oder gelbliche Färbung erhalten. Beim Tintenfisch Enoploteuthis diadema erstrahlen die Leuchtorgane um die Augen herum teils blau, teils perlmuttfarben, die der Bauchseite rot, weiß und himmelblau.

Quallen, so zart, dass sie bei Berührung fast zerfallen, erstrahlen in brillanten Farben, wenn sie gestört werden. Diese Botschaft bedeutet: "Lass mich in Ruhe!".
Die leuchtende Tiefseequalle Periphylla periphylla wagt sich in ihrer Heimat, dem norwegischen Lurje-Fjord, nur selten an die Oberfläche. Sie ist ein 500 Millionen Jahre altes Urtier - und kann das Meer zum Glühen bringen. Quallen der Gattung Aequorea lassen nachts nordatlantische und nordpazifische Küsten erstrahlen. Wenn man diese Medusen nachts in die Hand nimmt und vorsichtig schüttelt, wird man am Rand des durchsichtigen Körpers einen Ring grüner Biolumineszenz erblicken. Das Leuchten wird einige Sekunden anhalten und ein paar der glitzernden Partikel bleiben an der Hand kleben.

Optische Auflösung zur Tarnung

Viele Fische und Tintenfische nutzen ganze Batterien von Leuchtorganen, um das Tageslicht nachzuahmen und sich damit potentiellen Räubern zu entziehen. Das von Drüsen am Bauch nach unten strahlende Licht löst die Körpersilhouette ihres Trägers für einen tiefer schwimmenden, ins helle Oberlicht blickenden Räuber optisch auf. Dabei kann der Fisch die Intensität des nach unten abgestrahlten Lichts durch neuronale Steuerung so genau an die vom Auge gemessene Intensität des Oberlichts anpassen, dass er - von unten gesehen - stets im Oberlicht verschwindet. Der Effekt wird deutlich wenn man einmal seine Hand gegen das Licht hält und sich vorstellt, wie gut getarnt sie wäre, würde sie die selbe Farbe und Helligkeit des entgegenstrahlenden Lichtes annehmen.

Der Tintenfisch Abralia veranyi ist sogar in der Lage, die Farbe des abgestrahlten Lichtes in Abhängigkeit von der Wassertemperatur zu variieren. Tagsüber hält sich dieser Kopffüßler in tiefen und kühlen Schichten des Meeres auf. Bis hierhin dringt nur noch blaues Licht, und dementsprechend strahlt die Unterseite des Tieres blaues Licht ab. Nachts, im Schutze der Dunkelheit, wandert Abralia zur warmen Wasseroberfläche und reagiert auf die Temperaturänderung durch "Anknipsen" der grünen Leuchtorgane.

Biochemischer Hintergrund

In den meisten Fällen von Biolumineszenz handelt es sich um Eigenleuchten, das heißt um die eigene Produktion eines Leuchtstoffes. Bei anderen Arten, etwa dem Anglerfisch, haben sich Organe ausgebildet, in denen Leuchtbakterien als Symbionten lebe. Die leuchtende Substanz ist nicht in allen Bakterien- und Tierarten die gleiche. Meist handelt es sich um das Protein Luciferin, das auch Glühwürmchen besitzen. Das Enzym Luciferase wandelt einen Teil der chemischen Energie des Proteins durch eine Oxidationsreaktion in Lichtquanten um. Jede Organismengruppe besitzt ihr spezifisches Set an Luciferin und Luciferase, was darauf hindeutet, dass die Biolumineszenz im Laufe der Evolution viele Male "neu" entdeckt wurde.

Die Qualle Aequorea victoria hingegen besitzt ein Photoprotein, das durch Calcium-Ionen angeregt wird. Das grüne Leuchten dieser Quallen entsteht durch die Kombination von GFP (green fluorescent protein) mit dem so genannten Aequorin.

Biolumineszenz ist in den Ozeanen sehr verbreitet. In der so genannten mesopelagischen Zone, in einer Tiefe von 200 bis 1000m, sind 90 Prozent aller Tiere biolumineszent. In Küstengewässern besitzen nur noch 5 Prozent der Arten die Fähigkeit, Licht zu produzieren.

Wer Biolumineszenz hautnah erleben möchte, lege einen frischen toten Salzhering für einige Zeit offen an einen kühlen Ort. Mit etwas Glück und Geduld beginnt dieser stellenweise im Dunkeln zu leuchten. Verursacher dieser Erscheinung ist Vibrio fischeri, ein im Meerwasser lebendes Leuchtbakterium, das auf dem toten Fisch einen optimalen Nährboden findet.
   




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