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Weltmeister ohne Perspektive
SPORT | SPORTSOLDATEN (11.09.2011)
Von Daniel Drepper
3000 Euro im Monat, etwa so teuer ist die Stelle jedes deutschen Sportsoldaten. Insgesamt kommen etwa 30 Millionen Euro im Jahr zusammen. Mit dem Geld könnte man die Sportler viel sinnvoller fördern.

Picture- Alliance

Die frühere Weltklasse-Biathletin und Sportsoldatin Kati Wilhelm studiert heute "Internationales Management". Viele ihrer Sportskameraden von der Bundeswehr stehen nach Beendigung ihrer Laufbahn allerdings ohne berufliche Perspektive da. (c) Picture- Alliance

Jeden Monat Geld aufs Konto, hart trainieren und hin und wieder antreten: Das Leben als Sportsoldat könnte so einfach sein, wäre nicht mit Mitte 30 Schluss. Ein paar Medaillen im Schrank, kaum militärische Kenntnisse und im Zweifel auch keine Ausbildung: Der Start ins Leben danach ist wenig komfortabel. Experten glauben, dass das Leben als Sportsoldat zum Rumhängen verleitet – auch nach der sportlichen Karriere.

Jetzt haben sich Bundeswehr und Verteidigungsministerium nach den Empfehlungen der Strukturkommission neu organisiert. Es gibt immer wieder Überlegungen, die rund 750 Sportsoldaten-Stellen bei der Bundeswehr abzuschaffen. Der Sport gehört nicht zu den Kernaufgaben des Ministeriums. Angeblich gibt es keine Denkverbote. Verteidigungsminister Thomas de Maizière war jedoch noch vor Kurzem als Innenminister auch für den Sport zuständig und gilt eher als Freund des Systems Sportsoldat.

Der Sportsoldat, er dürfte vorerst bleiben. Dabei gibt es einiges, was gegen das fest etablierte System spricht. Der Bundesrechnungshof hatte schon Ende 2009 die Sportabteilung der Bundeswehr kritisiert. Sie führe ein Eigenleben, es gebe keine Erfolgskontrolle und kein Konzept. Außerdem fehle es an "Haushaltsklarheit und -wahrheit", weder Höhe noch Dauer der Förderung sei erkennbar. Die Ausgaben gründeten auf einem Parlamentsbeschluss von 1968 und es fehlten Belege, "dass diese Förderung effektiver sei als etwa die Vergabe von Stipendien".

Daraufhin nahm das Innenministerium Anfang Dezember 2010 Stellung zur "Einbindung der Spitzensportförderung in die Kernaufgabe der jeweiligen Gastbehörde". In dem 15-seitigen Papier an den Rechnungsprüfungsausschuss, das iley.de vorliegt, verteidigt das Ministerium das System Sportsoldat. Angeblich schafft es "die notwendigen Rahmenbedingungen zur Ausübung des Spitzensports auf einem international wettbewerbsfähigen Niveau und bewirkt zugleich die berufliche und soziale Absicherung".

Viele Fragezeichen nach der Karriere

Berufliche Absicherung? Während die etwa 200 bei Zoll und Bundespolizei angestellten Sportler eine Ausbildung absolvieren und zum Großteil später tatsächlich in diesen Behörden arbeiten, finden Sportsoldaten bei der Bundeswehr nur in Ausnahmefällen einen Job. Zwar werden den Athleten Weiterbildungen angeboten, doch statt eine konkrete berufliche Zukunft in der Bundeswehr geboten zu bekommen, müssen die Betroffenen nach ihrer Zeit als Sportsoldat versuchen, sich für andere Berufe zu qualifizieren.
Viel zu spät, sagt der Sportpsychologe Dieter Hackfort: "Die Sportler sollten bedrängt werden, sich schon während der Zeit als Sportsoldat, um ihre Ausbildung zu kümmern". Hackfort lehrt an der Bundeswehr-Universität München. Seit fast drei Jahrzehnten betreut Hackfort Sportsoldaten psychologisch. Auf die Zeit nach der Karriere würden diese kaum vorbereitet. "Bislang haben die Sportsoldaten zwischen den Trainingseinheiten sehr viel Zeit, rumzuhängen. Das ist weder für die Persönlichkeitsentwicklung gut, noch für den Sport".

Wolfgang Maennig, Ruder-Olympiasieger von 1988 und heute Sportwissenschaftler an der Uni Hamburg, argumentiert ähnlich. "Ich vermisse ein systematisches Konzept mit Ausbildungspflicht für Sportsoldaten", sagte Maennig schon Anfang 2010 in einem Interview bei Zeit online. „Manche Athleten, die sich für viele Jahre verpflichten, lassen sich einlullen und stehen nach der Karriere vor dem beruflichen Nichts." Zudem kritisierte der Sportwissenschaftler, es entstehe der Eindruck, man könne nur als Sportsoldat in Deutschland Erfolg haben. "Ein System, welches signalisiert, dass man, um sportlichen Erfolg zu haben, Sportsoldat werden muss, wird langfristig denkende, bildungsaffine Jugendmilieus zukünftig vom Spitzensport abhalten", sagte Maennig der taz.

Forderung nach neuen Fördermodellen

Also Stipendien statt Sportsoldaten? Das Geld für neue Ideen wäre da. Eine einzige Sportsoldaten-Stelle kostet bislang im Jahr fast 40.000 Euro. In der erwähnten Stellungnahme an den Rechnungsprüfungsausschuss sollte das Innenministerium daher prüfen, ob andere Modelle – zum Beispiel über Stipendien – den Zweck der Sportförderung besser erfüllen könnten. Das Ministerium untersuchte das aktuelle Modell der Deutschen Sporthilfe sowie Stipendien aus Kanada, den USA, Norwegen und Russland. Jedes der erwähnten Modelle bleibt der Stellungnahme zufolge hinter den Fördermodellen des Bundes zurück.
Die fremden Modelle böten keine berufliche Perspektive über den Sport hinaus. Doch ist es wirklich besser, nach der Sportkarriere eine Weiterbildung zu beginnen – oder mit Hilfe eines Sportstipendiums im Idealfall einen Uni-Abschluss in der Tasche zu haben?
Ein eigenes Modell für Stipendien rechnete das Ministerium im Übrigen erst gar nicht durch. Niemand durchdachte mögliche Alternativen. Offiziell, weil der Rechnungsprüfungsausschuss in seinem Prüfauftrag an das Ministerium "keine Aussagen über eine mögliche inhaltliche Ausgestaltung alternativer Fördermodelle" getroffen habe.

Ein neues Sportstipendium würde der Münchner Psychologe Hackfort definitiv begrüßen. "Das wäre auf jeden Fall besser. Den Sportlern müssen attraktive Angebote gemacht werden." Die Möglichkeiten seien da, er nennt zum Beispiel die Bundeswehr-Unis in München und Hamburg sowie Fernstudiengänge. Doch kaum ein Verantwortlicher bemühe sich um Verbesserungen, obwohl das System davon auch langfristig profitieren könnte. "Die für unabhängige Stipendien zuständige Organisation ist die Deutsche Sporthilfe", sagt Hackfort. "Und wenn die Sporthilfe ihre Sportler zu guten Ausbildungen anstiften könnte, hätte sie später wiederum auch potente Spender."

Als sich der Sportausschuss des Bundestages Mitte Dezember vergangenen Jahres mit den Sportsoldaten befasste, bügelte das Innenministerium in Person von Sport-Referatsleiter Gerhard Böhm die Forderung nach neuen Modellen ab. Für die Oppositionsfraktionen ist das Thema aber noch nicht vom Tisch. "Der Staat als Geldgeber muss neben den sportlichen Erfolgen die Gesamtentwicklung der Athletinnen und Athleten im Auge behalten und dazu gehören eben auch die notwendigen Anpassungen hin zu einer möglichst erfolgreichen dualen Karriere", sagte die SPD-Ausschussvorsitzende Dagmar Freitag.
Auch das ehemalige Sportausschuss-Mitglied Winfried Hermann von den Grünen, heute Stuttgart 21-Minister in Baden-Württemberg, hält eine Reform der Sportlerfinanzierung für nötig. Falls man am System festhalte, sollte es eine Qualifizierungspflicht für das Ministerium, aber auch für die Sportler geben. Allerdings: "Wer mit dem Angebot der Bundeswehr nichts anfangen kann, weil er zum Beispiel studieren oder eine andere Ausbildung machen will, der ist im Vergleich benachteiligt. Das ist ungerecht, damit verspielen wir Talente." Ein Stipendienmodell hält Hermann deshalb für eine gute Lösung.
Nun bleibt aber erstmal alles wie gehabt. Die Argumente liegen auf dem Tisch. Vielleicht wird nach Olympia 2012 noch einmal drüber geredet.

BMI Stellungnahme Einbindung Spit Zen Sport Danieldrepper.de
   

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