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Kim Jong Il - Diktator in kommunistischen Gewändern
POLITIK | ZUR LAGE IN NORDKOREA (15.02.2005)
Von Sebastian Bonse
Nichts ist sicher im nördlichen Teil der Halbinsel Korea.Vor allen Dingen nicht die etwa 23 Millionen Nordkoreaner, die Geschichtsschreibung des Landes und nicht einmal das genaue Geburtsdatum eines der letzten kommunistischen Despoten der Welt - Kim Jong Il. Offiziellen Angaben zufolge ist sein Geburtstag, der sich demnach diese Woche zum 63. Mal jährt, der 16. Februar 1942.

Obwohl es so aussieht, als habe Kim Jong Il selbst dieses Datum in Relation zu seinem Vater Kim Il Sung (* 15. April 1912) gewählt, lässt sich der Diktator in dieser Woche imposant feiern. Schenkt man der einzigen nordkoreanischen Nachrichtenagentur KCNA glauben, so feiert man den Geburtstag des "dear leaders" auch außerhalb der "Choson", der Demokratischen Volksrepublik Nordkorea. Aber was genau gibt es eigentlich zu feiern? Glaubt Kim Jong Il, der etwa 1,60 Meter große toupierte Mann mit seiner merkwürdigen Vorliebe für Plateausohlen und riesige Sonnenbrillen, mit der Entwicklung der Atombombe endlich aus dem Schatten seines Vaters, des "ewigen Präsidenten", herausgetreten zu sein? Feiert er den Schrecken, die Herausforderung, die seine neuerliche Bedrohung nunmehr den südkoreanischen Nachbarn und der Weltgemeinschaft bietet? Klar ist jedenfalls, dass der "Meister der cinematischen Kunst" (KCNA) seine Vorlieben und Vorhaben zu jedem Zeitpunkt nach seiner Inauguration 1994 über das Wohlergehen seines Volkes gestellt hat und, mehr noch, akzeptiert, dass sein Volk an ihm und seinem stoischen Unwillen zu Reformen zugrunde geht.

Die Schlagzeilen in Nordkorea werden dieser Tage eher von Präsentationen einheimischer Kunstzirkel und Auftritten russischer Tänzer bestimmt, als vom akuten Bedrohungspotential, das in der übrigen Welt diskutiert wird. So überraschend wie die westlichen Medien das Thema der nordkoreanischen Atombombe jetzt darstellen, ist die Nachricht aber eigentlich nicht. Seit nordkoreanische Terroristen 1987 bei einem Bombenanschlag auf ein Flugzeug der Korean Airlines 115 Menschen töteten, wirft die US-Regierung Nordkorea offiziell Unterstützung terroristischer Aktivitäten vor. Bekanntermaßen wird Nordkorea schon seit 2002 auf der "Achse des Bösen", der terroruntersützenden Staaten geführt und steht darüber hinaus seit Oktober 2002 auf der Liste der de-facto-Atommächte. Überraschend dagegen ist schon eher die Art der Bekanntgabe. Ein einfaches Zugeben des Besitzes ist bislang ein absoluter Einzelfall. Selbst Israel hält sich noch immer bedeckt, was Existenz, Anzahl und Zeitpunkt der Entwicklung angeht. In Pakistan gaben zunächst nur Tests Hinweise auf militärische Kapazitäten. Zwar bezweifeln einige Seiten, dass Norkorea in Besitz der Bombe ist. Hauptsächlich weil es noch keinen Test einer solchen Bombe gegeben hat. Vieles, vor allem der Handel von militärischen Informationen und Material mit Pakistan spricht aber für den Wahrheitsgehalt der Behauptung. Wahrscheinlich also sind es vor allem PR-taktische Gründe, die Kim Jong Il dazu bewogen haben, den Besitz der Atombombe jetzt zuzugeben. Der Norden betont, aus Gründen des Schutzes vor Übergriffen der Amerikaner und des Südens. Nordkorea ist vielleicht mehr als jedes andere Land von der Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit abhängig. Ohne die Hilfslieferungen der Vereinten Nationen und auch Südkoreas wären die Menschen im Norden wohl verloren.

Aktuell betont die amerikanische Außenministerin Condoleeza Rice, dass Amerika nicht vorhabe Nordkorea anzugreifen. Weiterhin ist auch Südkorea nicht an militärischen Auseinandersetzungen mit dem Norden interessiert. Seit der Wahl des Friedensnobelpreisträgers Kim Dae Jung im Jahr 1998 versucht der Süden in der sogenannten "Sonnenscheinpolitik" sanft Reformen im Nachbarland zu fördern. Dies geschieht hauptsächlich mit finanziellen und wirtschaftlichen Mitteln. Ein plötzlicher Zusammenbruch des Regimes in Pjöngjang würde den gesamten süd-ost-asiatischen Raum destabilisieren und in ein wirtschaftliches Vakuum treiben. Vergleiche mit der Wiedervereinigung Deutschlands sind dabei müßig, da der Osten Deutschlands nur ein Fünftel der deutschen Gesamtbevölkerung ausmachte. In Nordkorea ist es ein Drittel, das zudem wirtschaftlich noch wesentlich schlechter gestellt ist, als es der Osten Deutschlands trotz sowjetischer Planwirtschaft war. Die Hungersnöte in der Bevölkerung sind groß. Vor allem, seit Mitte der 90er Jahre wird Nordkorea immer wieder von schweren Naturkatastrophen heimgesucht, die beträchtliche landwirtschaftliche Anbauflächen unnutzbar machten und das Land in die Armut trieben.

In der Vergangenheit war es oft so, dass Nordkorea immer wieder Zusicherungen im Tausch gegen Hilfe aus dem Ausland gab, nur um diese dann wenig später wieder zurückzunehmen. Dabei war das Atomprogramm immer Dreh- und Angelpunkt der nordkoreanischen "Strategie". 1993 etwa, entschied Norkorea aus dem Atomwaffensperrvertrag auszusteigen, nur um 1994 gegen Öllieferungen und weitere Zusagen das Einfrieren des Atomprogramms mit sich auhandeln zu lassen. Inspektionen wurden erschwert und das Programm im geheimen vorangetrieben. Im Jahr 2000 erreichte Kim Dae Jung die teilnahme Nordkoreas am ersten inner-koreanischen Gipfeltreffen. Wie sich später herausstellte waren zuvor 400 Millionen US-Dollar auf das Konto Kim Jong Ils geflossen - sozusagen als Entscheidungshilfe. Obwohl wiederum viele der nordkoreanischen Zusagen ins Leere liefen, gibt es Maßnahmen, wie etwa die Lockerung der restriktiven Reisefreiheit und Familientreffen, die, zumindest von Außen gesehen, Annäherung versprechen. Zudem haben verschiedene Konzerne die Zusammenarbeit mit dem Norden verstärkt. Nach südkoreanischen Vorstellungen sollte aus Toleranz und Zusammenarbeit vor allem Vertrauen im Norden entstehen und eine wirtschaftliche, auf lange Sicht dann politische Öffnung des Landes nach chinesischem Vorbild möglich werden. Man darf aber nicht vergessen, dass sich die beiden Länder auch über 50 Jahre nach ihrer Trennung nicht von einem faktischen Kriegszustand getrennt haben. Die Demarkationslinie, der 38. Breitengrad, ist eines der größten Minenfelder der Welt und auf beiden Seiten stehen sich direkt riesige Armeen gegenüber, jederzeit bereit loszuschlagen.

Ganz im Stile Orwellscher Visionen eines totalitären Regimes ist es Kim Jong Il gelungen die eigenen Leute, über eine Millionen unter ihnen stehen permanent unter Waffen, auf seine Linie einzuschwören. Der Kult und die Verehrung, der um seine Person und seine Familie getrieben wird, ist unvergleichlich. Das Leben der Bürger aber ist ständig kontrolliert, ein Spionagenetzwerk macht es möglich. So werden in regelmäßigen Abständen Familien von beispielsweise als Handwerker verkleideten Agenten observiert. "Abtrünnige" werden nicht selten von Verwandten oder Nachbarn denunziert. Verletzungen des Menschenrechts reißen nicht ab. Aus Satellitenbildern geht hervor, dass es in Nordkorea riesige Anlagen zur Inhaftierung politischer Gefangener gibt. Die größte von ihnen, Yodok, erstreckt sich über 30 Kilometer und wird von über 1000 schwerbewaffneten Soldaten bewacht. Oft sind es ganze Familien, die gefangen genommen werden. Gerichtliche Urteile gibt es nur sehr selten, Haftbefehle beruhen meist auf Entscheidungen einfacher Polizisten. Hinrichtungen sind an der Tagesordnung. Sogar der Direktor der Schule in Yodok ist bewaffnet. Seine Schüler werden morgens indoktriniert und nachmittags zu schwerer Arbeit gezwungen. So erzählen ehemalige Häftlinge, denen es irgendwie gelungen ist zu entkommen.

Kim Jong Il, der Mann der, so erzählen es übergelaufene Parteimitglieder, schnelle Autos, blonde Frauen, rauschende Feste, guten Wein und Hollywood-Filme bevorzugt, ist wahrscheinlich im Besitz von bis zu vier nuklearen Sprengköpfen. Der Mann, dessen Familie in Nordkorea, Bücher, Lieder, Theaterstücke und nicht zuletzt mehrere zehntausend Statuten gewidmet sind, der Mann, über den sich die Welt in Filmen und Berichten gerne mal mehr, mal weniger lustig macht, gehört zu den gefährlichsten und unberechnbarsten der Welt. Es bleibt zu hoffen, dass Norkorea nicht wie angekündigt vom Verhandlungstisch mit China, Russland, Japan, Südkorea und den USA fernbleibt und sich der kommerzielle Know-How-Transfer, wie er mutmaßlich mit Pakistan, Lybien, dem Iran und anderen Ländern geschehen ist und geschieht, unterbinden lässt.
   



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