Zur aktuellen Ausgabe    
   
 
   
Alles für alle – und zwar umsonst!
WIRTSCHAFT | ZUR DISKUSSION (15.04.2007)
Von Jan Hendrik Matthey
In den vergangenen sechs Monaten hat eine Debatte schleichend den Einzug in den politischen Diskurs gehalten: Das "Bedingungslose Grundeinkommen". Behandelt wird es sehr kontrovers. Gewertet als perfekte Symbiose aus sozialistischem Verantwortungsbewusstsein und kapitalistischer Interessenvertretung.

Götz Werner, Professor des Instituts für Entrepreneurship der Universität Karlsruhe (TH) sowie Gründer und Inhaber der international agierenden Drogeriekette dm, hat es in den vergangenen zwei Jahren durch Vortragsmarathons geschafft, eine Theorie aus den kleinen Stuben ideeller Weltverbesserer ans mediale Tageslicht zu bringen, um dem unmündigen Bewusstsein der Gesellschaft, sowie dem Machtinstrument Politik vor Augen zu führen, dass Alternativen möglich sind. Dies belegen nicht nur die positive Resonanz seiner auf Mitbestimmung basierenden Arbeitgeberpolitik, sondern auch die Bilanzen seines Unternehmens: alleine im vergangenen Jahr erwirtschaftete dm einen Umsatz von 3,7 Millionen Euro.

Keine Kritik bitte – Autogramme gibt's später

Pünktlich zur Veröffentlichung seines neuen Buches "Einkommen für Alle" tourt er wieder. Mit „Vortrag, Diskussion: 'Das Bedingungslose Grundeinkommen' incl. Buchpräsentation 'Einkommen für alle' mit Prof. Götz W. Werner“ locken derzeit Buchhandlungen und Verlag in die kulturellen Einrichtungen deutscher Städte. Und auch ich folgte dem Ruf des vermeintlichen Messias sozialer Reformen nach Karlsruhe, um mich dort zu dem Eintrittspreis von acht Euro (ermäßigter Studentenpreis) im gut besuchten Karlsruher Theatersaal einzufinden.
Nach ein paar Blicken ins Publikum wurde schnell ersichtlich, dass die Klientel der anwesenden Zuhörerschaft keinesfalls Bedürftige eines Grundeinkommen-Models waren. In pflichtgemäßer Perlenkettengarnitur und Hosenanzug traf man sich zum Happening. Trotzdem freute ich mich nicht nur auf den Auftritt Götz Werners, sondern auch auf weitere Informationen und detailliertere Ausführungen des Modells, vor allem aber auf eine Auseinandersetzung mit der Kritik, die ihm entgegengebracht wird. Zudem hoffte ich auf einen inhaltlich fundierteren Vortrag, als ihn letztes Jahr im Rahmen einer Vortragsreihe in Tübingen einer seiner Hilfsassistenten vorweisen konnte. Dieser Vortrag nämlich bestach neben dem permanenten Satz "Götz Werner könnte das jetzt viel besser erklären" vor allem dadurch, dass kritischen Nachfragen von Studenten keinerlei Argumente entgegengesetzt wurden. Vielleicht begann Götz Werner gerade deshalb auch an diesem Abend seinen Vortrag mit der Aufforderung, (seinen?) Ideen immer positiv entgegen zu treten und ihnen die Chance einer Entwicklung zu geben und sie nicht direkt „mit dem Taschenrechner denkend“ kritisch zu hinterfragen und zu verwerfen.
Dass die Theorie des bedingungslosen Grundeinkommens in unserem ökonomisch konditionierten Gedankengut zuerst auf Skepsis stößt, ist nicht verwunderlich. Die herrschende ‚was nichts kostet ist auch nichts wert’-Mentalität sieht sich hier jedoch nicht nur mit einer ökonomischen Fragestellung konfrontiert, sondern mit einem normativen Wertewandel. Warum sollen Menschen mit einem bedingungslosen Grundeinkommen noch arbeiten wollen? Wer übernimmt noch unattraktive und nicht weiter zu automatisierende Jobs? Kann man eine durch Freiräume ermöglichte Kreativität und steigende altruistische Handlungen und Engagement postulieren, wenn man gleichzeitig die aktuellen sozialen Missstände und das Scheitern des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens mit der egoistischen Natur des Menschen begründet? Statt mit einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesen facettenreichen Problematiken begann jedoch ein in allen Belangen peinlicher Auftritt Götz Werners.
Ansgar Lorenz

(c) Ansgar Lorenz

"Wie viele Frauen leben in einer furchtbaren Partnerschaft, nur weil sie es sich nicht anders leisten können. Wenn Frauen ein Grundeinkommen hätten, würden die Männer auch wieder freundlicher und höflicher werden."

Nach einer flotten Einführung eines führenden Mitarbeiters des Kultur- und Theaterkreises Karlsruhe fiel der Startschuss für einen Exzess an öffentlich vorgetragenem gegenseitigem Anbiedern. Die einander überheblich zustimmenden und kopfnickenden Pseudobedürftigen der "leidenden" Bürgerschaft kommentierten jeden zweiten Satz mit bejahenden Zustimmungsäußerungen – wahlweise bestehend aus „da hat er Recht“, „mhh stimmt“ und orgasmusartigem Aufstöhnen. Passend hierzu wurden die rhetorisch absolut überzogenen Redepausen – hatte Herr Werner seinen Text vergessen? – dazu benutzt, in ekstaseartige Beifallbekundungen zu fallen, schlimmer als in Parteiveranstaltungen populistischster Natur. Es bekamen aber wirklich alle während des eineinhalbstündigen Vortrages, der abzüglich der oben genannten Pausen jedoch auf ein Nettoredeanteil von einer halben Stunde zurückzuführen ist, die Gelegenheit, in einen mentalen Zustand der Selbstbefriedigung zu verfallen, um sich nach der dilettantischen Berieselung durch ein Panoptikum populistischer Phrasen ein handsigniertes Buch jenes "Stars" am sozialen Himmel der Ideenwelt zu kaufen.
Werner konnte sich eines hundertprozentig sicher sein: In seinem zuvor im Vortragsstil eines Nachwuchskabarettisten auf RTL2 vorgetragenem Potpourri jeglicher Missstände bestand statistisch gesehen überhaupt keine Chance, nicht mindestens ein potentieller Betroffener zu sein. Aber sind wir nicht alle schon jetzt Betroffene, Herr Werner? "Wenn Sie morgen nicht mehr zu dm kommen, bin auch ich übermorgen bei Hartz IV! Und Hartz IV ist offener Strafvollzug.“
Der an verschiedenen Stellen zudem mit falsch eingesetzten Zitaten bespickte Vortrag und die Nicht-Vollendung mehrerer Sätze rundeten die miserable rhetorische Qualität hervorragend ab, die diesen Vortrag ausmachte, der mit folgenden Worten auf dem Klimax der Eintönigkeit endete: "Am Ende der Philosophie des Friedens Rudolf Steiners steht: ......[Pause von ca. 20 Sekunden]......... 'Ja wo isser denn jetzt?' ".
Letztlich wurde der Monolog des Visionärs, in dem weder Thesen noch Inhalte seiner Theorie einmal angesprochen wurden, ohne den Raum für Fragen mit dem Überreichen eines Blumenstraußes und weiteren von einem Darm in den anderen wandernden warmen Worten beendet.

"Das bedingungslose Grundeinkommen ist die Barauszahlung des Steuerfreibetrages."

Der nach eigenen Angaben seit den 80er Jahren an diesem Thema forschende Unternehmer Götz Werner konnte sich zumindest dazu durchringen, öffentlich eine soziologische Studie zu fordern, um das Arbeitsverhalten und die mentale Einstellung der Arbeiterschaft zu ihrer Arbeit als Fundierung seiner (leider nicht vorgetragenen) Thesen empirisch zu erforschen. Unabhängig des Faktes, dass nach 20 Jahren eine solche Untersuchung schon längst hätte erfolgen können, ließ der Wirtschafts-“Wissenschaftler“ auch in keinster Weise einen Finanzierungsansatz durchblicken. Verpflichtungen mit international bestehenden Systemen und mögliche sich daraus ergebende Probleme und ein möglicher Zwang zur Wiedereinführung von Zollgebühren, da man zu 100 Prozent auf die Konsumsteuer angewiesen wäre, wurden genauso unerwähnt gelassen wie der Wegfall jeglicher sozialen Absicherungen und Förderungen abseits der 345 Euro Existenzminimum Hartz-IV.
Enttäuscht und sauer war ich also darüber, gerade mit acht Euro eines ohnehin monatlich knapp bemessenen Studentensalärs eine reine Werbeveranstaltung eines Multimilliardärs finanziert zu haben - laut eines kürzlich veröffentlichten Rankings der 77-reichste Deutsche. Eben jene acht Euro wären sicherlich in der Hand eines bedürftigen Harz IV-Empfängers (die, neben „den Ackermännern“, von Götz Werner deklarierte Symbolfigur der in Deutschland herrschenden Missstände) und dem dadurch finanzierten Alkoholkonsums zur erträglicheren Gestaltung seiner Suche nach Essbaren in den immer häufiger verschlossenen Mülleimern um die Hauptbahnhöfe deutscher Städte durchaus sinnvoller eingesetzt worden – um die plakative Sprache seines Vortrages nur peripher aufgreifen zu wollen.

Soziales Verantwortungsbewusstsein – die Marketinglücke

Um Götz Werner abzufangen und ihn unsere Enttäuschung und Empörung mitzuteilen, verließ ich vorzeitig mit meiner Kommilitonin den Theatersaal. Die Bitte meiner Kommilitonin um zwei Minuten Aufmerksamkeit und die Gelegenheit, Götz Werner unsere Enttäuschung aus der Sicht von Studenten zu schildern, die sich mit dem Thema auseinandersetzen, beschäftigen und in einem eigenen Vortrag im Rahmen eines Symposiums damit arbeiten wollen, wurde mit den arroganten Worten "Ich habe jetzt keine Zeit - Ich muss meine Bücher signieren" abgetan.
Da wir nicht vollkommen unbeachtet stehengelassen werden wollten, trug sie unser beider Kritik im Weiterlaufen aus. Die einzige Reaktion Herrn Werners waren neben einem "ist doch toll, dass Sie jetzt kritisch über meine Ideen reflektieren" die blind einstudierten Gestiken eines Kommunalpolitikers auf Wahlkampf und das unverschämte abwimmeln mit der Gestik des "schön, dass Ihnen mein Vortrag gefallen hat, denken Sie am Sonntag daran das Kreuz an der richtigen Stelle zu setzen" – wahlweise ersetzbar durch: "und beehren Sie meinen dm-Markt bald wieder".
Nachdem der Andrang am Signiertisch gähnender Leere gewichen war, wagten wir einen weiteren Versuch der Kontaktaufnahme. Doch Werner - offenbar kein Multitasker - sah sich nicht in der Lage gleichzeitig seinen Namen zu schreiben und ein Gespräch zu führen: "Wie kommen Sie denn darauf, dass ich jetzt Zeit habe. Kaufen Sie doch einfach mein Buch und lassen Sie mich hier in Ruhe."
Die dann herannahende pseudointellektuelle Vertreterin unserer ‚gesellschaftlichen Elite’ bot hingegen einmal mehr Gelegenheit weitere perfekt einstudierte Gesten des Typus ‚Kommunalpolitiker’ an den Mann – oder die Frau – zu bringen und zugleich das lästige Fußvolk stehen zu lassen. Und so blieben wir zurück. Enttäuscht von dieser Persönlichkeit, die eine Ideologie, einen Mentalitätenwechsel und das vermeintliche Einsetzen für eine bessere Welt als riesige subtile Marketingkampagne für sich selbst als Person und seine Drogeriemärkte nutzt und sich, anstatt einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit einem ernsthaft zu überdenkenden Thema zu widmen, lieber als durch Deutschland tourender Popstar feiern lässt.
   








Unsere Texte nach Ressorts
GESELLSCHAFTPOLITIKKULTURREISEUMWELTWIRTSCHAFTSPORT
Ein sächsisches Dorf kann auch andersNewtons zweiter SiegWo Nachbarn zur Familie gehörenNur kein zweites KreuzviertelLiebe über den Tod hinausJede Fahrt eine DrogenfahrtEine Million Euro für die Cannabis-LobbyArmutszuwanderung? Eine Untergrunddebatte!Mails verschlüsseln leicht gemachtVerschlüsseln - eine Notlösung Soziale Demokratie geht auch ohne SPDBedingt verhandlungsbereitDas vergessene Massaker von AndischanDas Ende von Lüge und SelbstbetrugGeteiltes Volk einig im Kampf gegen IS-TerrorDie Urkatastrophe und wirDas Ende rückt immer näherNeue Regierung, neue Krisen, neue FehlerMerkels neues WirHausfotograf der deutschen Sozialdemokratie Liebeserklärung eines Linksträgers. Oder...Mit der Lizenz zum AusrastenDer beste Mann für Afghanistan"Weil sie auch nur Opfer sind"Gestatten, Gronausaurus!Missratenes PashtunenporträtDie Band LilabungalowWo Leibniz und Wagner die Schulbank drücktenHitler in der Pizza-SchachtelDie Freiheit des Radfahrens In der Wildnis vergessenStau in der FahrradhochburgMitfahrer lenken selbstÜber Wroclaw nach Lwiw - eine verrückte TourIm Frühjahr durch den Norden Polens - Teil 2Im Frühjahr durch den Norden Polens - Teil 1Sounds of KenyaDie 41-Euro-SündeRive Gauche vs. Rive DroiteOranje im Freudentaumel Drei Naturerlebnisse in einemDas Gegenteil von KollapsDas Gift von KöllikenDas große Pottwal-PuzzleBio bis in die letzte FaserDer WonnemonatKlimakiller sattDer Monsun - vom Quell des Lebens zum katastrophalen NaturphänomenR136a1 - Schwerer und heller als die SonneDie Rückkehr zur Wildnis Wie die Hausverwaltung GMRE ihre Mieter abzocktWachstum und BeschäftigungSo schmeckt der SommerMakler der LuxusklasseGeburtshelferinnen vom Aussterben bedrohtVersenkte Milliarden und eine verseuchte BuchtWohnungen als WareAufstieg, Krise und Fall der AtomwirtschaftDie längste Brücke Deutschlands entstehtDie Geschichte der 'Alternativlosigkeit' - Teil 2 Fußballtempel MaracanãGlanz und Niedergang der Fanclubsiley.de drückt Maschine Münster die DaumenUnsere Veranstaltungsreihe im Web TVFrankreich ist ein heißer Kandidat fürs FinaleSpanien wird den Titel verteidigenFür Deutschland ist im Halbfinale SchlussPolen hat das Zeug für eine ÜberraschungForscher, Fans und PolizeiFußball im Würgegriff der Mafia
 
Ja, auch diese Webseite verwendet Cookies. Hier erfahrt ihr alles zum Datenschutz