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Heute schon gerodet?
UMWELT | WÄLDER IN KANADA (15.06.2005)
Von Vera Bellenhaus
Wenn heutzutage von der Abholzung der Wälder die Rede ist, denkt man zuerst an die großen Tropenstaaten Brasilien und in Zentralafrika.

Umweltbewusste Verbraucher achten auf entsprechende Umweltsiegel, welche Holzprodukte als "Tropenholzfrei" kennzeichnen, wie zum Beispiel für Papier "Aqua pro Natura" und "Weltpark Tropenwald". Dass die Produzenten dieser Produkte jedoch nur den Urwald gewechselt haben, weiß kaum jemand.

Denn Ausbeutung von Urwäldern gibt es nicht nur am Äquator, sondern auch im hohen Norden, in den großen Urwäldern Kanadas und Sibiriens. Sie erstrecken sich noch immer über Tausende von Quadratkilometern und konnten bisher aufgrund ihrer Größe und Lage der Zivilisation erfolgreich trotzen und ihre Natürlichkeit bewahren. So gibt es in Kanadas Urwäldern noch rund 140.000 Arten von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen, die an den Urwald als Lebensraum angepasst sind. Viele von ihnen sind wissenschaftlich kaum erforscht. Grizzlybären, Pumas und Wölfe durchstreifen noch ungehindert die Weiten der nördlichen Wälder.

Doch das Heulen der Wölfe musste schon in vielen Teilen Kanadas dem Knattern der Kettensägen weichen. Kanadas Urwälder sind von der Abholzung bedroht. Die Holzindustrie als einer der größten Arbeitgeber frisst sich beständig weiter nach Norden vor. Während in Deutschland der Kahlschlag schon bei einem Hektar verboten ist, werden in Kanada noch ganze Landstriche von 60 Hektar und mehr weiträumig abgeholzt. Die Folgen sind Bodenerosion und verschlammte Flüsse.

Das Land ist jedoch abhängig von den Erträgen aus der Holzwirtschaft. Sie trägt 20 Prozent des gesamten Exportwertes und stellt jeden zehnten Arbeitsplatz. Im Bundessaat British Columbia arbeitet jeder zweite in der Industrie Beschäftige in der Holzindustrie! Doch nicht nur die Arbeitsplätze, sondern auch Infrastruktur und Sozialwesen finanzieren sich durch diesen Wirtschaftszweig. So sind die Holzkonzerne in den Gebieten, für die sie die Einschlagslizenzen erworben haben, zusätzlich verantwortlich für die erforderliche Infrastruktur und lokale Holzweiterverarbeitung, sprich die Errichtung von Sägewerken und Holzlagerstätten. So entstehen im Herzen Kanadas um kleine Sägemühlen ganze Dörfer. Vice versa kann die Regierungen mit den Pachteinnahmen Schulen und Krankenhäuser bauen. Hier schließt sich der Kreis: Da die Verwaltungen der Bundesstaaten abhängig sind von ihren Pachteinnahmen aus der Holzindustrie, haben diese politisch großen Einfluss. Jede Anstrengung einer gesetzlichen Regelungen, welche die Holzindustrie einschränkt, wird so im Keim erstickt.

Und doch beschreibt sich die kanadische Holzwirtschaft gern selbst als nachhaltig und umweltschonend, nicht zuletzt wegen der Tatsache, dass auf den Kahlschlagflächen sofort wieder Neubepflanzungen stattfinden. Diese sind ökologisch jedoch ohne jeden Wert. Aufgeforstet wird primär mit ausländischen Gehölzen wie der Hybrid Pappel, Norwegischer Fichte, Sibirischer und Japanischer Lärche sowie Europäischer Weißtanne. Diese haben den Vorteil, dass sie schnell wachsen und eine Ernte schon nach 30 - 40 Jahren ermöglichen. Außerdem sind sie unempfindlich gegen die heimischen Parasiten. Auch die biotechnologische Forschung stellt mittlerweile einen großen Sektor in der Forschung der kanadischen Holzunternehmen dar. So wurden bereits mehrere Patente auf gentechnisch veränderte Baumarten angemeldet. Neben extrem hohen Wachstumsraten haben diese den Vorteil, dass sie Resistenzen gegen Baumschädlinge tragen. Baumschädlinge im Sinne der Forstwirtschaft sind jedoch Waldnützlinge im Sinne der Ökologie.
Wenn es sie nicht mehr gibt, so fällt auch die gesamte Nahrungskette, welche von ihnen abhängig ist, weg. Das Anpflanzen nicht heimischer Baumarten verdrängt auch die Spezialisten: Insekten, welche sich über Jahrhunderte hinweg an eine Baumart angepasst haben. So gibt es zum Vergleich in Deutschland fast 300 Insektenarten, die auf die Eiche spezialisiert sind. Und die Tiere, die ihren Lebensraum in alten oder toten Bäumen haben, wird es hier auch nicht geben. Das Ergebnis dieser Überlegungen beschreibt die neu aufgeforsteten Flächen als extrem artenarme "Holzäcker". Wer in Deutschland schon einmal versucht hat, durch einen eng gepflanzten Fichtenforst zu gehen, kann sich ein ungefähres Bild von kanadischer Forstkultur machen.

Doch gibt es eine Lösung des Dilemmas, in welchem Umwelt- und Naturschutz gleichermaßen mit wirtschaftlichen Einbußen einhergeht? Kanada hat erkannt, dass die Holzreserven seiner Urwälder endlich sind. Um jedoch die wirtschaftlichen Einnahmen nicht zu verlieren, wird sogar der ökologische Gau der Anpflanzung von fremdländischen Gehölzen und gentechnisch veränderten Bäumen hingenommen. Während Umweltschützern bei solchen Methoden die Tränen kommen, zeigen die kanadischen Forstwissenschaftler stolz auf ihre neuen biotechnologischen Errungenschaften.

Genau hier liegt das Problem: Bevor eine Veränderung in der kanadischen Holzpolitik stattfinden kann, muss sich die kanadische Bevölkerung bewusst werden, dass ihre aktuelle Forstpolitik falsch ist. Ansätze hierfür gibt es, wie sich in der Einrichtung von Nationalparks und Naturschutzgebieten sowie dem wachsenden Sektor des Naturtourismus zeigt.
Doch dass auch Umweltschutz außerhalb von Schutzzonen betrieben werden kann, scheint dem kanadischen Gedankengut völlig fremd zu sein.

Konzepte zur naturnahen Waldbewirtschaftung für die Urwälder Kanadas wurden schon von einigen Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace entworfen. Zudem gibt es kleine Projekte mit indigenen Völkern zu alternativen Waldnutzungsformen. Doch die Erfolge dieser Bewegung sind nur die Spitze der Pyramide und können die Ausbeutung der kanadischen Urwälder nicht aufhalten. Bis die Bedeutung des Urwaldes für Mensch und Tier auch den Politikern und Wirtschaftsmächten klar geworden ist, wird nur noch wenig Urwald stehen, der schützenswert ist. Und dann werden wie hier in Deutschland auch die kanadischen Kinder ihre Eltern fragen, wie denn Urwald eigentlich aussieht. Wo kann man dann noch hinfahren, um ihn sich anzuschauen?


Weiterführende Links
http://www.raincoast.org/Raincoast Conservation Society
http://www.vws.org/Valhalla Wilderness Society
   






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