Zur aktuellen Ausgabe    
   
 
   
Journalist von Selbstmord an rechtem Professor frei gesprochen
GESELLSCHAFT | VERHANDLUNGSSACHE (15.03.2008)
Von Torsten Schulz
Wegen der tendenziösen österreichischen Rechtsprechung musste der frühere Redakteur der jüdischen Gemeinde Wien einen Schutz vor Verleumdungen aus der rechten Ecke beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) durchsetzen.

"Ich bin dem EGMR dankbar, dass ich nicht mehr dieser Justiz ausgeliefert bin". Für Karl Pfeifer bedeutet das Urteil aus Straßburg eine große Erleichterung. Über viereinhalb Jahre war seine Beschwerde gegen die Republik Österreich anhängig, mit bis zuletzt ungewisser Aussicht auf Erfolg. Dann die Entscheidung im November: der Vorwurf, er habe einen Menschen in den Tod getrieben, ist ohne eine faktische Grundlage kein zulässiges Werturteil, sondern eine haltlose Diffamierung. Die gegenteilige Bewertung durch das Oberlandesgericht Wien war ein grobes Fehlurteil. Österreich muss ihm die Auslagen für jahrelange Prozesse und den immateriellen Schaden ersetzen.

Ausgangspunkt des Rechtsstreits war ein Artikel in Zur Zeit, einer von dem FPÖ-Europa-Abgeordneten Andreas Mölzer herausgegebenen Wochenpostille, die den österreichischen Jungnazi mit Abitur wie auch die schon etwas vorgerückteren Semester bedient. Zur Zeit bildet nahezu 1:1 das Pendant zur deutschen Junge Freiheit, aus der sie auch hervorgegangen ist, sich aber wegen eines Bündnisangebots Mölzers an NPD, DVU und diverse rechte Splittergruppen im September letzten Jahres mit ihr überworfen hat.

Rechte Wochenzeitung nimmt "Jagdgesellschaft" ins Visier

Im Juni 2000 hatte Zur Zeit in reißerischer Manier eine angebliche "Menschenhatz" auf den Politikwissenschaftler Werner Pfeifenberger angeprangert. Pfeifenberger war drei Wochen zuvor auf dem Untersberg bei Salzburg unter nicht restlos geklärten Umständen, aber allem Anschein nach durch eigene Hand zu Tode gekommen. Seinen Suizid habe er aber nicht etwa selbst zu verantworten, meinte Zur Zeit. Vielmehr hätte sich eine "Jagdgesellschaft" aus acht namentlich benannten Personen aus Medien, Wissenschaft und Politik der Alpenrepublik zu einer konzertierten Hetzjagd auf den Professor mit Wohnsitz in Münster in Westfalen zusammengefunden, so dass ihm überhaupt kein anderer Ausweg mehr geblieben sei. Pfeifenberger hätte sich Ende des Monats wegen "Betätigung im nationalsozialistischen Sinn" vor Gericht verantworten müssen. Nach österreichischer Gesetzeslage ist das eine Straftat, was österreichischen Nazis verständlicherweise ein Dorn im Auge ist, auch wenn eine Verhängung von Haftstrafen die absolute Ausnahme darstellt.

Zur Zeit konnte nicht nur mit bemerkenswertem Insiderwissen über das anhängige Verfahren aufwarten - so wurde die komplette Anklageschrift mit abgedruckt - Herausgeber Mölzer war selbst tief in den inkriminierten Tatbestand verwickelt. Zusammen mit Lothar Höbelt und Brigitte Sob zeichnete er sich 1995 für das Jahrbuch für politische Erneuerung der "Freiheitlichen" verantwortlich, in dem auch ein Beitrag Pfeifenbergers erschien.

Sympathie für nationalsozialistisches Gedankengut und das südafrikanische Apartheid-Regime

Dass der Dozent für Politik eine Sympathie für nationalsozialistisches Gedankengut hegte, war kein Geheimnis an der Fachhochschule Münster, wo er den Studierenden im Fach Sozialwesen politische Bildung vermitteln sollte. Pfeifenberger hatte zu diesem Zweck gleich zu Beginn seiner Lehrtätigkeit eine ganze Reihe von Büchern aus diversen einschlägig bekannten Altnazi-Verlagen beschafft, die zwischen den übrigen Beständen der Fachbereichsbibliothek standen - bis Studierende ihre Entfernung durchsetzten. Noch stärkeren Protest erregte sein fortgesetztes Engagement für das südafrikanische Apartheid-Regime, dem er sich mehrfach als Gastprofessor zur Verfügung stellte. Von den südafrikanischen Vertretungen in Bonn und Wien wurde er als Ansprechpartner für Referate und Interviews benannt. In seinem Beitrag für die Jahresschrift des "Freiheitlichen Bildungswerks" der FPÖ konstruierte Pfeifenberger nunmehr eine "jüdische Kriegserklärung" an das Deutsche Reich als Auslöser des Zweiten Weltkriegs und diskutierte Vernichtungspläne bei Adolf Hitler und Kurt Tucholsky. Tucholsky erschien ihm schlimmer.

Schuldig durch Freispruch

Dass sich die Staatsanwaltschaft mit dem Aufsatz befasste, der grundlegende Parallelen zu Schriften des NS-Ideologen Alfred Rosenberg aufweist, war laut Zur Zeit aber ausschließlich Schuld des Redakteurs Karl Pfeifer. Er habe die "Menschenhatz" eröffnet, mit einer knappen Rezension im Gemeindeorgan der jüdischen Gemeinde, die sich weitgehend auf Originalzitate der "Nazi-Töne" beschränken konnte. Von dieser hätte allerdings kaum jemand Notiz genommen, hätte der Professor die Kultusgemeinde und ihren Redakteur nicht mit Prozessen und horrenden Schadenersatzforderungen überzogen, mit der Folge, dass die Beklagten in einer über zwei Jahre sich hinziehenden Justizgroteske den Beweis zu führen hatten, dass der Zweite Weltkrieg nicht auf eine bis heute andauernde Konspiration jüdisch beeinflusster Geheimbünde zurückgeht. Der gerichtlich bestellte Historiker, dessen Expertise sie schließlich entlastete, wurde selbstverständlich ebenfalls in die "Jagdgesellschaft" eingereiht.

T. Schulz

Karl Pfeifer (c) T. Schulz

Justitias falsche Gewichte

Dass ein Mitarbeiter der jüdischen Gemeinde überhaupt von einem österreichischen Gericht in einer vergleichbaren Sache verurteilt werden könnte sei, eine Illusion, giftete Zur Zeit. Bedürfte diese eigentümliche Obsession noch einer Widerlegung, der weitere Gang der Angelegenheit hätte sie geliefert: Karl Pfeifer, mittlerweile längst im Ruhestand, wollte den Vorwurf nicht hinnehmen, ein kleiner Artikel aus seiner Feder hätte noch Jahre später den Tod eines NS-Wiedergängers verursacht, von dem niemand sagen kann, ob er sich tatsächlich aus Angst vor der Bestrafung für sein Tun oder aus ganz anderen Motiven umgebracht hat. Er versuchte, Zur Zeit diese Behauptung untersagen zu lassen. Obwohl nun selbst Kläger musste er sich verurteilt vorkommen. Denn die österreichische Justiz entschied in letzter Instanz, dass es eine zulässige Wertung sei, ihm die Verantwortung für den Selbstmord Pfeifenbergers zuzuweisen.

Die Straßburger Richter beanstandeten die Entscheidung mit Verweis auf Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention ("Achtung des Privat- und Familienlebens"). Die Pflicht des Staates, die Privatsphäre zu respektieren, beschränke sich nicht ausschließlich darauf, willkürliche Übergriffe zu unterlassen, urteilte der Gerichtshof. Vielmehr sei gegebenenfalls auch ein wirksamer Schutz vor Verletzungen durch Dritte zu gewährleisten. Bei einer etwaigen Konkurrenz mit anderen Grundrechten wie zum Beispiel der Pressefreiheit müsse zwischen den betroffenen Gütern abgewogen werden. Insofern lasse das Urteil des Oberlandesgerichts Wien die Ausgewogenheit vermissen.

Vergleich Hannover gegen Deutschland

In ihrer Urteilsbegründung beriefen sich die Richter nicht zuletzt auf den Fall von Hannover gegen Deutschland. Beschwerde führte hier nicht die gleichnamige Stadt, sondern die Frau des Ernst August, im Volksmund nach wie vor als Caroline von Monaco bekannt. Sie hatte vergeblich gegen die Veröffentlichung von Fotos in diversen Klatschblättern geklagt. Während das höchste deutsche Gericht nämlich einerseits - sehr zum Leidwesen der Boulevardpresse und unter dem Wehgeschrei weiter Teile auch des übrigen Mediengeschäfts - endgültig klargestellt hatte, dass das ungefragte Ablichten ihrer neugeborenen Tochter keine Meinungsäußerung darstellt, an der die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse haben könnte, war sie selbst als "absolute" Person der Zeitgeschichte eingestuft worden, mit der Konsequenz, in nahezu jeder Lebenslage abgebildet werden zu können. Diese Konstruktion bemängelte der Europäische Gerichtshof und forderte für jeden Einzelfall eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse und dem Schutz der Privatsphäre.

Was eindeutig ehrenrührig ist

Im Fall Pfeifer gegen Österreich hat das Gericht Artikel 8 nun erstmals auf den "guten Ruf" beziehungsweise "das Ansehen" einer Person angewandt, die als Bestandteil ihres Privatlebens ebenfalls ausreichend gegen ungerechtfertigte Angriffe zu schützen seien. Eben dies hatte die österreichische Justiz in grober Weise unterlassen. "Es war schon schlimm genug, drei Jahre vor österreichischen Gerichten zu stehen, weil ich nicht glauben wollte, dass die Juden Deutschland 1933 den Krieg erklärt haben", so Karl Pfeifer, der selbst 1938 aus Österreich fliehen musste und durch die Nazis den größten Teil seiner Familie verloren hat. "Aber zu sehen, wie Frau Dr. Trieb mit dem Finger auf mich zeigt und mir bescheinigt, 'nur moralisch' für den Tod eines Menschen verantwortlich zu sein, war sogar noch schlimmer." Noch kurz zuvor hatte die Richterin am Oberlandesgericht Wien in einer anderen Mediensache der Beschwerde eines langjährigen politischen Weggefährten Mölzers stattgegeben. Eine Karikatur nachzudrucken, die Jörg Haider mit Teufelshörnchen zeigt, das sei tatsächlich "grob ehrenrührig".

Weiterführende Links
http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_99/37/10b.htmAltlast entsorgen - Jungle World, 8. September 1999
http://www.nadir.org/nadir/periodika/jungle_world/_2000/26/11a.htmFehltritt mit Folgen - Jungle World, 21. Juni 2000
   





Unsere Texte nach Ressorts
GESELLSCHAFTPOLITIKKULTURREISEUMWELTWIRTSCHAFTSPORT
Ein sächsisches Dorf kann auch andersNewtons zweiter SiegWo Nachbarn zur Familie gehörenNur kein zweites KreuzviertelLiebe über den Tod hinausJede Fahrt eine DrogenfahrtEine Million Euro für die Cannabis-LobbyArmutszuwanderung? Eine Untergrunddebatte!Mails verschlüsseln leicht gemachtVerschlüsseln - eine Notlösung Soziale Demokratie geht auch ohne SPDBedingt verhandlungsbereitDas vergessene Massaker von AndischanDas Ende von Lüge und SelbstbetrugGeteiltes Volk einig im Kampf gegen IS-TerrorDie Urkatastrophe und wirDas Ende rückt immer näherNeue Regierung, neue Krisen, neue FehlerMerkels neues WirHausfotograf der deutschen Sozialdemokratie Liebeserklärung eines Linksträgers. Oder...Mit der Lizenz zum AusrastenDer beste Mann für Afghanistan"Weil sie auch nur Opfer sind"Gestatten, Gronausaurus!Missratenes PashtunenporträtDie Band LilabungalowWo Leibniz und Wagner die Schulbank drücktenHitler in der Pizza-SchachtelDie Freiheit des Radfahrens In der Wildnis vergessenStau in der FahrradhochburgMitfahrer lenken selbstÜber Wroclaw nach Lwiw - eine verrückte TourIm Frühjahr durch den Norden Polens - Teil 2Im Frühjahr durch den Norden Polens - Teil 1Sounds of KenyaDie 41-Euro-SündeRive Gauche vs. Rive DroiteOranje im Freudentaumel Drei Naturerlebnisse in einemDas Gegenteil von KollapsDas Gift von KöllikenDas große Pottwal-PuzzleBio bis in die letzte FaserDer WonnemonatKlimakiller sattDer Monsun - vom Quell des Lebens zum katastrophalen NaturphänomenR136a1 - Schwerer und heller als die SonneDie Rückkehr zur Wildnis Wie die Hausverwaltung GMRE ihre Mieter abzocktWachstum und BeschäftigungSo schmeckt der SommerMakler der LuxusklasseGeburtshelferinnen vom Aussterben bedrohtVersenkte Milliarden und eine verseuchte BuchtWohnungen als WareAufstieg, Krise und Fall der AtomwirtschaftDie längste Brücke Deutschlands entstehtDie Geschichte der 'Alternativlosigkeit' - Teil 2 Fußballtempel MaracanãGlanz und Niedergang der Fanclubsiley.de drückt Maschine Münster die DaumenUnsere Veranstaltungsreihe im Web TVFrankreich ist ein heißer Kandidat fürs FinaleSpanien wird den Titel verteidigenFür Deutschland ist im Halbfinale SchlussPolen hat das Zeug für eine ÜberraschungForscher, Fans und PolizeiFußball im Würgegriff der Mafia
 
Ja, auch diese Webseite verwendet Cookies. Hier erfahrt ihr alles zum Datenschutz