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Vom jüdischen zum touristischen Viertel
REISE | STADTPLAN KRAKAU (15.09.2007)
Von Christoph Klockau
Fröhlich klingende Stimmen gepaart mit leicht berauschender Musik. Aus dem Luftgemisch, kann man süßliches Parfüm und gutes Essen herausfiltern. Clubs, Bars und Restaurants im dekadenten Stil gefüllt mit entsprechendem Publikum.

Unterhalten wird sich auf Deutsch, Spanisch, Italienisch, Englisch oder Polnisch. Meterlange beigefarbene Golfwagen, die man von dem ein oder anderen Golfplatz kennt, schlängeln sich durch die engen Gassen und Straßen. Sie sind bestückt mit internationalen Touristen, die im Eiltempo an den zahlreichen Sehenswürdigkeiten vorbeirauschen. Man könnte nun schlussfolgern, man wäre in Rom oder einer anderen Metropole, jedoch ist es der ehemalige jüdische Stadtteil „Kazimierz“ der Stadt Krakau, in dem wir uns befinden.

Kazimierz ist ein Viertel, welches von und mit der Vergangenheit lebt und offenbart damit seinen ganz eigenen Charme. Benannt ist es nach Kasimir dem Großen, der es im Jahr 1335 als einst eigenständige Stadt gegründet hatte. Als in der Zeit um 1494 die jüdische Bevölkerung aus Krakau vor Pogromen fliehen musste, siedelte sie nach Kazimierz um, wo sie sich soziokulturell entfalten konnte. Knapp 400 Jahre später holt sie die Geschichte wieder ein: 1867 wurde Kazimierz durch die Stadt Krakau eingemeindet.

Unter den Nationalsozialisten wurden sie erneut vertrieben, diesmal im Nachbarviertel Podgórze rechts der Weichsel in einem Ghetto zusammengepfercht. Später erfolgte ihre Deportation ins Konzentrationslager nach Auschwitz. Kaum jemand kehrte jemals zurück.
Einzig die alte Baustruktur erinnert an das ehemalige jüdische Viertel. Denn Krakau blieb im Zweiten Weltkrieg von Zerstörung und Bombardements weitgehend verschont. Steven Spielberg machte sich diese prunkvolle architektonische Landschaft in den 90er Jahren für den Film „ Schindlers Liste“ zu nutze und katapultierte den Stadtteil Kazimierz weltweit in den Fokus.

Die Konsequenzen internationaler Aufmerksamkeit sind nicht zu übersehende Investitionen, die von finanzstarken Geldgebern getätigt wurden. Denn neben den stetig neueröffneten Lokalitäten entstanden gut situierte Einkaufszentren und Bürokomplexe. Demnach bleibt dem Besucher der westliche Einfluss nicht verborgen. Ganz im Gegenteil: er wird ihm keine 20 Jahre nach Zusammenbruch des Ostblocks in vollen Zügen präsentiert und vorgelebt. Man hat sich in Kazimierz dem internationalen Standard angepasst, die Geschäfte buhlen um die Gunst der gut betuchten Touristen und die polnische Mittelklasse repräsentiert mit stylischen Outfits und schicken Accessoires „the new way of life“.

So bewegt sich der Stenotourist zwischen Hollywood, der Judendeportation und den schicksten Edel-Boutiquen sowie Szenekneipen umher. Welche Intention nun die Menschen in die Straßen Kazimierz zieht, ist spekulativ. Diese inszenierte Stimmung wirkt in keiner Weise kongruent. Es verbreitet sich ein Gefühl von Unsicherheit, wenn man all diese Dinge versucht, in Einklang zu bringen und letztendlich den eigentlichen Sinn dieser Entwicklung hinterfragt.

Inwieweit nun die Neugestaltung des Viertels durch Bars, Kneipen und Einkaufszentren in den historischen Rahmen passt, ist eine abschließende Frage die im kreativen Diskurs weiter bearbeit werden kann. Es ist auch in Deutschland keinerlei Seltenheit mehr, dass historische Kulturgüter mit touristischen Konsum und wirtschaftlichen Interessen verknüpft werden.
   




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