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Kuba "erfahren"
REISE | REISETAGEBUCH (15.02.2006)
Von Ronald Hild
Was macht der gestresste Student, wenn es in Deutschland anfängt kalt und ungemütlich zu werden? Richtig, er fährt ins Warme, am Besten in die Karibik. Zum Beispiel nach Kuba.

Und was macht er dann dort? Sich in die Sonne legen und Salsa tanzen? Vielleicht. Rum trinken und Zigarre rauchen? Auch möglich. Denkbar aber auch, dass er versucht Kuba zu "erfahren". Ein paar kleine Einblicke in ein Land, seine Menschen und seine Fortbewegungsmittel, gesammelt während einer vierwöchigen Radtour:

Aufgesattelt

Das Fahrrad ist in Kuba eines der wichtigsten Fortbewegungsmittel und somit nichts Ungewöhnliches. Vor allem in den alten, engen Straßen der Kolonialstädte st man mit dem Rad schneller, bequemer und billiger unterwegs als mit dem Auto. Radfahrer sind keine Seltenheit, wir
Ronald Hild

Die Nationalflagge von Kuba. (c) Ronald Hild

fielen ob unserer Erscheinung dennoch auf. Vorne und hinten hingen an unseren Rädern jeweils zwei Radtaschen, die Gepäckträger waren beladen mit Zelten und Wassersäcken, dazu kam eine kleine Lenkertasche. Zum Schutz vor der Sonne und vor Verletzungen trugen wir Helme und Sonnenbrillen, zwei Ausrüstungsgegenstände, welche für Einheimische eher untypisch sind. Wir konnten sicher sein, dass wir viele neugierige oder belustigte, aber auch neidische Blicke auf uns ziehen würden. Letzteres vor allem, da nur wenige Kubaner ein Trekking-Rad oder allgemein ein Rad mit Gangschaltung besitzen.

Die kubanischen Räder sind sehr einfach in der Bauweise: einen Gang, eine Vorderradbremse, selten Lampen oder Schutzbleche. Dafür hatte aber nahezu jedes Fahrrad einen massiven Gepäckträger hinten, einige auch eine selbst konstruierte, zusätzliche Halterung über dem Vorderrad. Denn für viele Kubaner ist das Rad auch das wichtigste Transportmittel.

Die ersten Tage gingen wir ruhig an, da wir uns an das Klima, an die Zeitumstellung und an die bepackten Räder gewöhnen mussten. Nach sieben Tagen waren wir so fit, dass wir die Schwierigkeit erhöhen konnten. Eine der interessantesten, aber für Radfahrer auch anstrengendsten Straßen begann etwa 13 km nach Barachoa, der bereits 1512 gegründeten ersten spanischen Siedlung auf Kuba. Im stetigen Wechsel von Anstiegen und Abfahrten windet sich La Farola auf 18 km Länge hinauf zum Alto de Cotilla, mit 500 m der höchste Punkt des Leuchtturms. Aber kurz darauf war alle Mühe schon vergessen. Über 10 km erstreckte sich die Abfahrt und bot uns wunderschöne Ausblicke auf die nahezu unberührte Landschaft Ostkubas.

Oldtimer prägen Stadtbild

Am Abend des 26.11. erreichten wir die "heimliche Hauptstadt" Santiago de Cuba. In Santiago begegnen dem Reisenden, wie auch sonst in den größeren Städten, überall die für Kuba so typischen Oldtimer. Amerikanische Fabrikate zumeist, welche schon vor dem Ende der Revolution 1959 nach Kuba verkauft wurden. Auf Grund des 1960 von US-Präsident Eisenhowers verhängten Handelsembargos der USA war den Kubanern die Modernisierung ihres Fuhrparks danach kaum möglich. Lediglich einige Ladas und Moskwitsch`aus der UdSSR konnten importiert werden.

Den meisten Wagen sieht man die Jahre an. Notdürftig zusammen geflickt, zum Teil mit handgefertigten Ersatzteilen repariert ist es ein Wunder, dass die Autos noch fahren.
Daneben gibt es aber auch viele liebevoll gepflegte und auf Glanz polierte Wagen. Diese sind natürlich besonders für Touristen als Taxi reizvoll. In Santiago de Cuba nahmen wir solch ein Oldtimer-Taxi, um zur Festung El Morro zu fahren, die etwas außerhalb der Stadt liegt. Zum Schutz gegen Seeräuber zwischen 1640 und 1642 errichtet, thront sie über der Einfahrt zur Bucht von Santiago. Während der Fahrt wurde uns ein gravierendes Problem des kubanischen Verkehrswesens deutlich vor Augen geführt. Der Fahrer schaltete während der Fahrt ab und zu den Motor aus. Jeder deutsche TÜV-Prüfer wäre wohl einem Ohnmachtsanfall nahe. Auf Nachfrage erklärte uns der Fahrer, dass sein Wagen mit einem Liter Benzin nur 6 km weit fahren kann. Und Benzin ist in Kuba auf Grund des Embargos knapp.

Nachdem wir Santiago verlassen hatten, fuhren wir an der Küstenstraße entlang Richtung Westen. Die Landschaft ist dort einfach traumhaft. Linker Hand das Meer, eröffnen sich nach rechts Blicke auf phantastische Felsformationen. Einige sehr steile Anstiege wurden mit langen Abfahrten und tollen Ausblicken belohnt. Zu den Reizen der Landschaft kam, dass wir nahezu allein unterwegs waren. Keine LKWs, die uns mit ihren Abgasen einnebelten. Einen möglichen Grund für die niedrige Frequentierung sollten wir bald sehen. An einigen Stellen war die Straße bis zum Mittelstreifen weggebrochen oder abgesackt, an einer Brücke war ein Stützpfeiler geknickt - wahrscheinlich Zerstörungen infolge der Hurricans.

Mit Öffentlichen Verkehrsmitteln von Ort zu Ort

Vielleicht kommen wir jetzt zu einer Fortbewegungsmöglichkeit, die bisher keine Erwähnung fand: Öffentliche Verkehrsmittel. Nach 18 Tagen auf Kuba befanden wir uns noch immer im Ostteil der Insel. Die Strecke bis Havanna wäre in der verbleibenden Zeit nur zu schaffen, wenn wir von unseren Zielen Abstriche machen, oder einen Teil der Strecke überspringen. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln reisen zu müssen, hat in Kuba mit mobil sein allerdings wenig gemein. Es gibt auf Kuba drei Arten, überregionale öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen: die Bahn, Busse, und LKWs. Für Bus- bzw. LKW-Reisen gibt es zentrale Anmeldestellen, an denen die Plätze vergeben werden. Unter Umständen wollen sehr viele Kubaner in eine Richtung, so dass die Fahrzeuge bis auf den letzten (Steh-)Platz voll sind. Außerdem weiß man nur ungefähr, wann die Mitfahrgelegenheit kommt und wie lange man unterwegs ist. Diese Art zu reisen gestaltet sich zudem mit bepackten Fahrrädern eher problematisch. Für uns lag deshalb die Option Bahn am nächsten.

Auf Kuba gibt es eine wichtige Bahnstrecke, welche die Insel durchzieht und von der einige Verbindungsstrecken abgehen. In Manzanillo erreichten wir einen Bahnhof. Wir hatten Glück, dass noch am selben Tag ein Zug Richtung Havanna fahren sollte. Auch Tickets waren noch zu bekommen. Allerdings war der Bahnhofschef gerade nicht da, so dass wir nicht sicher sein konnten, ob wir die Räder mitnehmen durften, und wenn ja, zu welchen Konditionen. Alles kein Problem, der Chef der Gepäckabteilung würde sich kümmern. Gegen 18.00 Uhr verließ dann der Zug Manzanillo, mit uns und den Rädern. Wir hatten nichts extra bezahlen müssen - bisher. Auf der engen Vierersitzgruppe fühlten wir uns jedoch sehr schnell heimisch, wir konnten sogar alle Hinweisschilder im Zug lesen, was den meisten Kubanern wohl nicht möglich ist: "Wagen made in Waggonwerk Dessau".

In Bayamo hatten wir einen ersten außerplanmäßigen Halt von etwa zwei Stunden. Auf dem Bahnhofsvorplatz standen eine Unmenge von Pferdekutschen, meist mit einem Pferd, selten mit zweien. Beim Anblick der Kutschen fühlte man sich gleich ins 18. Jahrhundert versetzt.
Ähnlich wie damals dienen die Kutschen in Bayamo als Fortbewegungsmittel, oder besser als Taxi.

Schikane auf der Schiene

Gegen Mitternacht (wir waren endlich weitergefahren) hatten wir etwas Schlaf gefunden, der durch den hellen Schein einer Taschenlampe jäh unterbrochen wurde. Einige Männer liefen durch den Zug, strahlten die Fahrgäste an und versuchten belegte Brötchen und Getränke zu verkaufen. Speisewagen auf kubanisch. Toller Service eigentlich, aber gegen Viertel 1?
Wir wollten etwas mehr als 400 km mit dem Zug fahren, dafür war laut Plan eine Reisezeit von zehn Stunden eingeplant. Dann hätten wir allerdings gegen 4 Uhr nachts irgendwo aussteigen müssen. Zum Glück für uns hatte der Zug knapp sieben Stunden Verspätung, da soll noch mal einer auf die Deutsche Bahn schimpfen. Kurz vor dem Zielbahnhof wurden wir doch darauf hingewiesen, dass für die Fahrradmitnahme noch bezahlt werden muss. Alles Argumentieren half nichts. Zwei Polizisten der Nationalen Revolutionsarmee nahmen sich der Sache an und wir konnten den Zug verlassen - 64 Euro ärmer, dafür an Erfahrungen reicher.

Auf der Autopista mit dem Fahrrad Richtung Havanna

Nachdem wir uns von der Bahnfahrt erholt und neben Sancti Spiritus auch Trinidad angeschaut hatten, lagen noch 350 km Wegstrecke nach Havanna vor uns. Die letzten beiden Tage benutzten wir die Autopista. Ja, richtig, wir fuhren mit den Fahrrädern auf der Autobahn. Und dabei befanden wir uns in guter Gesellschaft. Wir trafen andere Radfahrer, überholten Pferdewagen und Ochsenkarren. Hin und wieder sahen wir einen PKW oder Lastkraftwagen. Ja näher wir der Hauptstadt kamen, umso mehr Fahrzeuge befanden sich natürlich auf der Autobahn. Ach ja, die Autopista. Sie war etwa so breit wie eine dreispurige deutsche Autobahn, allerdings fehlten die Spurmarkierungen. An einer Stelle, ohne ein warnendes Hinweisschild, kreuzte ein Schienenstrang die Strecke. Die Autobahnabfahrten erinnerten sehr an eine Dorfkreuzung auf dem Land.

Wir kamen dank des Rückenwindes auf der Autobahn sehr schnell vorwärts und am Abend des 10. Dezember tauchte die Skyline von Havanna vor uns auf. Der Berufsverkehr in der hektischen Hauptstadt stellte einen krassen Kontrast dar, zu der ruhigen Fahrt über die Landstraßen und die Autobahn. In Havanna wurden uns die unterschiedlichsten Verkehrsmittel in konzentrierter Form präsentiert. Oldtimer, moderne PKWs französischer Fabrikate, Fahrräder, Rikschas, Stadtbusse und Pferdewagen

Wir haben in knapp vier Wochen 1400 km auf dem Rad und 400 km mit der Bahn zurückgelegt, wir haben Kuba und einiges über das Land "erfahren". Es wirkt merkwürdig: der ganze Bericht erzählt über die Fortbewegung der Menschen in Kuba. Aber die Fortbewegungsmittel, die sie nutzen (müssen) sind anachronistisch. Sie stehen eigentümlicherweise für den Stillstand eines ganzen Landes.
   








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