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Der Nazi-Vorwurf
POLITIK | POLITISCHE WAFFE (25.07.2011)
Von Frank Fehlberg
Ein absurder Streit an der Bundeswehr-Universität München zeigt beispielhaft einen rhetorischen Kunstgriff, der in Deutschland so schnell nicht aus der Mode kommen wird. Zeit für eine spitzzüngige Diskursanalyse.

Der bekennende „katholisch-konservative“ Student und Oberleutnant Martin Böcker wird von seiner Uni-Präsidentin Merith Niehuss in die rechtsextreme Ecke gestellt. Böcker betreibt mit zwei weiteren Kommilitonen eine eigene Netzseite, die Vertreter der sogenannten „Neuen Rechten“ zu Wort kommen lässt, und schreibt für die konservative Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Seine in der Studentenzeitschrift „Campus“ bekundete Meinung, die „frauenfeindlichen“ und konservativen Tendenzen unter seiner Leitung als Chefredakteur passen der Historikerin nicht. Sie drohte in einem Rundschreiben an die Angehörigen der Universität gar mit behördlicher Gesinnungsstrenge, forderte zudem die „Demission“ Böckers aufgrund seiner „Nähe zum Rechtsextremismus“. Nicht wenige Medien beteiligen sich unreflektiert an der Offensive der Präsidentin und sehen einen „rechten Aktivisten“ (Welt Online) am Werk.

Was läuft hier ab? In politischen Diskussionen und medialen Schaukämpfen sind sie die gröbste und zerstörerischste Waffe, die man ins Feld führen kann: Totschlagargumente. Meist sind das unbewiesene Behauptungen und persönliche Angriffe, welche die Debatte beenden oder in ein undifferenziertes Hauen und Stechen übergehen lassen. In Deutschland gibt es verschiedenste Kniffe, den Gegner dumm dastehen zu lassen. Einer davon soll anlässlich der Diskussion an der Bundeswehr-Uni einmal besonders gewürdigt werden.

Rhetorisches Totschlagargument

Der „Vorwurf-Nazi“ ist das personifizierte Ergebnis eines erfolgreichen Nazi-Vorwurfs. Dabei wird einem oder mehreren Andersdenkenden vorgeworfen, deutsch-national oder gleich rechtsextrem zu sein, auch wenn diese selber letzteres abstreiten und ihr Standpunkt tatsächlich kaum eine solche Bezeichnung rechtfertigt. Der Erfolg eines solchen Vorwurfs ist dann eingetreten, wenn der Adressat in aller Öffentlichkeit als „indiskutabel“ markiert und von den meisten Teilnehmern des öffentlichen Diskurses in diesem Sinne erkannt wird. Ein Vorwurf-Nazi ist nach erfolgreicher Kennzeichnung kaum noch in der Lage, seinen Argumenten in der breiten Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen. Alle seine weiteren Äußerungen werden lediglich im Lichte seines Nazi-Seins interpretiert und im Rückgriff auf zwölf tiefschwarze (auch: „braune“) Jahre der deutschen Geschichte dämonisiert und kriminalisiert.

Vorwurf-Nazis können sich aus allen gesellschaftlichen Schichten und Milieus rekrutieren. Vorrangig werden politisch rechts stehende Personen mit Nazi-Vorwürfen konfrontiert, aber auch „selbsternannte“ (sic!) Linke sind nicht selten derartigen Angriffen ausgesetzt. Das Recht zum Nazi-Vorwurf ist andererseits nicht allein die Domäne der „wirklich“ Linken. Er ist in Deutschland zunehmend zu einer Art Volkssport der Gesinnungsdenunziation geworden, die eine mehrheitlich gewünschte oder auch nur gebilligte Reinhaltung des Diskurses mit sich bringt.

Gesinnungshygiene

Gesinnungshygiene ist, wie jede Art von deutscher Hygiene, eine mit peinlicher Genauigkeit betriebene Maßnahme zur Bewahrung der Unbeflecktheit politischer Meinungsäußerung. Bekennende Rechte haben es insofern hierbei schwerer, als dass sie für den von Gesinnungshygienikern besonders verschmähten Rechtsextremismus schon vom Wortstamm her in besonderer Weise qualifiziert sind. Bei der freien Meinungsäußerung in Deutschland stehen sie unter besonderer Beobachtung, weil sie mit nur einem falschen Wort in den Extremismus ihrer ohnehin verdächtigen politischen Richtung abdriften können. Ein aktiver Konservativer kann als „rechter Aktivist“ bezeichnet und damit als „Rechtsextremist“ subtil und gerichtsfest vorangekündigt werden. Positionen zwischen rechts und links werden indes als hygienische Unmöglichkeit verleugnet und bei Gelegenheit ebenfalls mit dem Nazi-Vorwurf in eine stimmige Ordnung gebracht.

Der gezielte Ausschluss des Vorwurf-Nazis vom breiten gesellschaftlichen Diskurs hat oftmals seine langfristige Ächtung zur Folge. Ein chronischer Vorwurf-Nazi kann dann zu einem Rollen-Nazi werden, der in Debatten als Anschauungsmaterial seiner Gegner dient. Letztlich kann gar ein Rollen-Nazi in die Nähe „echter“ Nazis (etablierte und zusammengerottete Rollen-Nazis) geraten, weil er bei keiner anderen gesellschaftlichen Gruppe mehr Gehör findet. Der Fachmann spricht dann, ausgehend vom Vorwurf-Nazi, von einer selbsterfüllenden Prophezeiung.

„Kunstgriff 24: Die Konsequenzmacherei. Man erzwingt aus dem Satze des Gegners durch falsche Folgerungen und Verdrehung der Begriffe Sätze, die nicht darin liegen und gar nicht die Meinung des Gegners sind, hingegen absurd oder gefährlich sind: Da es nun scheint, dass aus seinem Satze solche Sätze, die entweder sich selbst oder anerkannten Wahrheiten widersprechen, hervorgehn; so gilt dies für eine indirekte Widerlegung.“ (Arthur Schopenhauer, Eristische Dialektik. Die Kunst, Recht zu behalten)

Weiterführende Links
http://www.welt.de/regionales/muenchen/a...-Bundeswehr-Uni.htmlRechter Aktivist lenkt Zeitung an Bundeswehr-Uni (Welt online, 14. Juli 2011)
http://campus-unibw.de/die Campus - Zeitung des studentischen Konvents der Uni der Bundeswehr München
   








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