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Das Glück der Nationen - Je reicher desto glücklicher?
WIRTSCHAFT | NACHGEFORSCHT (15.05.2008)
Von Jörg Rostek
Zwei junge Ökonomen aus den USA geben an, das so genannte Easterlin-Paradox widerlegt zu haben und rücken die Gleichung „Geld = Glück“ wieder ins Rampenlicht. Haben sie Recht?

Im Jahre 1976 entstand die vierteilige Serie „Herr Rossi sucht das Glück“. Ihr Inhalt ist schnell erzählt: Herr Rossi - weder erfolgreich, noch ansehnlich, noch sonderlich intelligent – ein ständig von seinem Chef tyrannisierter Industriearbeiter sucht, gemeinsam mit einem Hund, das Glück. Eines Tages schenkt ihm eine Fee eine Trillerpfeife, mit der es ihm möglich ist, durch Raum und Zeit zu reisen. Während seiner Abenteuer stellt er fest, dass das Glück zu suchen und auch noch zu finden, gar nicht so einfach ist.

Wie werde ich glücklich?

Der italienische Zeichner Bruno Bozzetto, der Herrn Rossi, eine der mittlerweile beliebtesten Figuren des internationalen Zeichentrickfilms, erschaffen hat, bohrt mit seiner Geschichte vom Jedermann, der das Glück seines Lebens sucht, tief im menschlichen Wesen.
Versteckt sich das Glück in der schöpferischen Vielfalt des Menschen? In guten Taten und Tugenden, Nachdenklichkeit und dem Entkommen aus dumpfer Gedankenlosigkeit? Im Finden von Selbstgenügsamkeit, Ruhe, Erfüllung und/oder Liebe? Schläft das Glück ungeweckt in Büchern? Im Ringen um Unsterblichkeit und dem Bewahren eines Stücks eigener Identität im Meer des Vergessens? Oder hatte Gottfried Benn recht als er schrieb: “Dumm sein und arbeiten - das ist das Glück.“



Ist Glück käuflich?

Die Welt ist wirr und die Suche geht weiter. Wo gestern die Philosophen der Antike nach der Glückseeligkeit Ausschau hielten, Sozialwissenschaftler und Psychologen die Quest fortsetzten, sind es heute die Ökonomen der Glücksforschung, welche Fortuna fest in der Hand halten und sich diese Frage stellen: werden Menschen in einem Staat mit zunehmendem Wohlstand auch glücklicher?
Die Antwort auf diese gesellschaftliche Frage zu geben, daran arbeitet die Glücksforschung. Ihr Ziel ist es, herauszufinden, wie Glück entsteht und was es verhindert, um daraus Handlungsempfehlungen für die Wirtschaftspolitik, für Unternehmen sowie für den Einzelnen abzuleiten. So schlug ein britischer Ökonom die Einführung eines „Happiness-Indices“ vor, so dass politisch nur noch das beschlossen werde, „was glücklich macht.“ Und so manche Studie hat in der Vergangenheit bewiesen, dass zahlreiche Menschen, vor allem in den Industrieländern, bereit wären, ihre Lebensarbeitszeit, trotz dem dann niedrigeren Einkommen, erheblich zu reduzieren.

1974 war das Jahr, in dem der Ökonom Richard A. Easterlin sagte: „Kommt darauf an!“, in dem er ermittelt zu haben glaubte, dass die Glückseeligkeit der Menschen in wohlhabenden Industriestaaten, trotz zunehmenden Wohlstandes, stagnierte. Genauer: Glück und Einkommen seien, so meinte er, relativ und von den äußeren Umständen abhängig. Die subjektiv empfundene Lebensqualität als Indikator für den Glücksgewinn funktioniere nur bis zu einem Jahreseinkommen von mindestens 10.000 Dollar. Darüber bedeute mehr Geld auch nicht mehr Glück, denn durch die Relativität des zunehmenden Lebensstandards ginge es den Menschen nicht mehr um die Befriedigung notwendiger Bedürfnisse, sondern nur noch um die Konkurrenz mit dem Wohlstand der anderen Konsumierenden der eigenen Gesellschaft. Eine These, die durch die Thesen Erich Fromms und seinem Buch „Haben oder Sein“ unterstützt wurde und weltweit Beachtung und Anhänger gefunden hat.
Das maßgebliche Ziel der Politik, Wirtschaftswachstum zu erzeugen, wäre also hinfällig. Die Steuern, die ein Staat erhebt, könnten in die Höhe schießen, um öffentlich zu finanzieren, was „eigentlich glücklich macht“ und die Gleichung „Konsum = Glück“ stünde auf dem Prüfstand.

Ein Paradigmenwechsel?

34 Jahre später, im April 2008, kam vielleicht die Wende: Betsey Stevenson und Justin Wolfers, zwei junge Ökonomen der Universität Pennsylvania, meldeten, das so genannte „Easterlin-Paradox“ endlich widerlegt zu haben. Die Datenlage, so schreiben sie in ihrer Studie „Economic Growth and Subjective Well-Being: Reassessing the Easterlin Paradox“, hätte sich mit den Jahren ausgeweitet. Sie vergleichen das durchschnittliche Wohlbefinden und Einkommen der Länder und zwar nicht nur, wie früher geschehen, aus einer handvoll Industriestaaten, sondern „newly-awailable data allow comparisons across countries at all levels of development.“ So habe sich herausgestellt, dass reiche Menschen in einem Staat nicht nur glücklicher sind als arme Menschen, sondern, dass „the income-happiness gradient measured within countries is similar to that measured between countries.“ Und sie bemerken, dass, aufgrund der Methoden der früheren Glücksforschung, kein wahrheitsgemäßer Zusammenhang zwischen Einkommen und Glücksgefühlen festgestellt werden konnte und begründen dies mit den Worten: „Subjective well-being data are both noisy, and scarce, and these factors that explain why past researchers have not found a link between economic growth and growth in happiness.“

Ist das Messen von Glück überhaupt möglich?

Betsey Stevenson und Justin Wolfers selbst sind sich möglicher Mängel ihrer Studie sehr bewusst. Ist ein Mensch, der in einem emotionalen Trennungsprozess steckt, überhaupt nach seinem „Glück“ befragbar? Ist die Fragestellung des Fragebogens nicht von entscheidender Bedeutung? Gibt es nicht kulturelle Unterschiede bei der Definition von Glück? Und gibt es nicht neben dem Einkommen auch Ausgaben, von denen „happiness“ ebenfalls abhängig ist, beispielsweise während einer galoppierenden Inflation? Fragen, auf welche die beiden Autoren auch eingehen, beantworten und sich selbstbewusst zeigen. Dennoch müssen sie zugeben, dass, „it seems likely, that the bivariate well-beeing-GDP relationship may reflect the influence of third factors, such as democracy, the quality of national laws or government, health or even favorable weather conditions, and many of these factors raise both GDP and well-being. Other factors, such as increased savings, reduced leisure, or even increasingly materialist values may rise GDP at the expense of subject well-being.“ Ein bedeutendes Eingeständnis.

Fazit

So haben Betsey Stevenson und Justin Wolfers zwar entscheidende Fehler in der Forschung von Easterlin aufgedeckt, denn, „absence of evidence should not be confused with evidenve of absence“, die Glücksforschung ökonomisiert und empirisch perfektioniert, eine letztlich verbindliche Antwort bleiben sie jedoch schuldig. Wie so oft, ist nur eine Annäherung an die endgültige Wahrheit möglich und noch lange nicht alle Einflussfaktoren auf das Empfinden von Glück messbar. Die Lösung dieses Problems geben die Autoren selbst: „At this stage,we are not going to be able to adress these shortcomings in any detail, although given our reassessment of the stylized facts, we would suggest an urgent need for research identifying these causual parameters.“

So wird deutlich, dass das Bruttoinlandsprodukt eines Wirtschaftswesens nur bedingt verlässliche Daten über die Lebenszufriedenheit der Bürgerinnen und Bürger liefert und es durch weitere Faktoren ergänzt werden muss, um ein einigermaßen verlässliches Bild zu liefern. Die Abkehr vom Materialismus, die unter anderem durch das „Easterlin-Paradox“ eingeleitet wurde, wird durch die Studie von Betsey Stevenson und Justin Wolfers noch lange nicht rückgängig zu machen sein und ihre Ergebnisse von der klassischen (Mainstream-)Ökonomie so schnell nicht eingefangen werden. Die etablierte Glückforschung wird sich durch riesige Datenmengen nicht beeindrucken lassen und dem Leitbild des „Homo Oeconomicus“ auch weiterhin tapfer die Stirn bieten. Ihre Kernbotschaft, dass es nicht nur die Höhe des Einkommens ist, das die Menschen glücklich macht, sondern funktionierende familiäre Beziehungen, befriedigende Arbeit, das soziale Umfeld, Gesundheit, persönliche Freiheit und die Lebensphilosophie, wird weiterhin Bestand haben.

Weiterführende Links
http://www-rcf.usc.edu/~easterl/papers/Happiness.pdfThe economics of happiness von Richard A. Easterlin (pdf)
http://bpp.wharton.upenn.edu/betseys/papers/Happiness.pdfZur Studie von Betsey Stevenson und Justin Wolfers (pdf)
http://www.gluecksforschung.deZum Institut für Glücksforschung in München
http://www.youtube.com/watch?v=cB-nWTQ-vMAHerr Rossi sucht das Glück auf youtube
   






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