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SPORT | MIT OFFENEN AUGEN (15.08.2006)
Von Oliver Tappe
Weil die Trikotfrage das Fußballvolk so sehr bewegt, gibt es im Folgenden einen Überblick zu aktuellen und vergangenen Design-Innovationen und Farbtopf-Fehlgriffen.

Stolz werden auf diversen Saison-Eröffnungs-Parties die neuen Trikot-Kollektionen (ja, so heißt das wirklich!) vorgestellt, um die treue Anhängerschaft in die Fan-Shops (gerne auch: Fan-Boutiquen) zu locken. Gegen einen Kaufpreis von 60 Euro und mehr - plus 15 Euro für Spielernamen-Beflockung - gibt's dann wieder Identifikation pur. Handlungsbedarf besteht erst recht, wenn der Spielername auf der Rückseite des im letzten Jahr erworbenen Textils nun das Leibchen vom FC Bayern ziert...

###bild###Die Fanforen im Internet bersten im Vorfeld der Saison regelrecht vor Diskussionen um das Design der neuen Trikots. Bisweilen werden die Argumente noch erbitterter ausgetauscht als bei Kontroversen um Spielerkäufe und Eintrittspreise. Borussia Mönchengladbach kommt mit einem auffälligen Hemd daher, das wahlweise an ein Juventus-Turin-Trikot auf LSD gemahnt oder an die Jagdbeute nach einer Safari in Namibia. Nun sehen die Fohlen aus wie von Dalí gemalte Zebras. Die Fan-Basis reagiert aufgewühlt bis fasziniert, und offensichtlich geht der Dress weg wie warme Semmeln. Eine Reaktion des MSV Duisburg darauf wäre durchaus denkbar. Schließlich galten die Meidericher bisher als die einzigen Zebras im deutschen Profifußball, wenn auch blaue Zebras, was aber bislang niemanden zu stören schien. Das Trikot des Absteigers ist jedenfalls eher bieder und unexotisch.

Protestaktionen gegen Dortmunder Trikot

Es drängt sich der Verdacht auf, die zweite, schwarz-gelbe Borussia aus Dortmund könnte mit einer Leopardenfell-Variante kontern, aber weit gefehlt: Das neue Trikot ist ein richtiger Griff ins Klo, weil die schwarzen Streifen nun weiß sind und die Komposition in Weiß-Gelb dezent an ein Bahnhofsurinal gemahnt. Im Zuge einer merkwürdigen Du-bist-Ruhrpott-Kampagne ziert zudem ein gelbes Ausrufezeichen auf grünem Grund (entworfen vom renommierten Künstler Otmar Alt aus Hamm) die Brust der Spieler. Dies brachte die Dortmunder Fan-Seele offensichtlich so sehr zum kochen, dass sich der Verein auf seiner Homepage dazu veranlasst sah, eine gemeinsame Stellungnahme von Geschäftsführung und Fanabteilung abzudrucken. Darin heißt es, die Vereinsfarben blieben selbstverständlich schwarz-gelb auf immerdar, die Trikots im nächsten Jahr wieder im vertrauten Wespen-Look, und das jetzige Trikot sei nicht auf Druck irgendwelcher Sponsoren entstanden, sondern war der Versuch eines "schönen" Trikots. Nach dieser Klarstellung bat der Fanbeauftragte darum, von weiteren Protestaktionen abzusehen.

Wer bisher öffentliche Protestaktionen mit der Angst vor Arbeitsplatzverlust oder Umweltverschmutzung assoziiert hatte, und eher weniger mit der Farbgebung von Sportbekleidung, sollte auch mal in den hohen Norden nach Bremen schauen, wo im Jahre 2005 die sogenannte NO!RANGE-Kampagne gegen den Einzug der Farbe Orange ins traditionelle Grün-Weiß agitierte. Dies schlug hohe Wellen in den Web-Foren, weil vielen Fans - und nicht nur den Freunden halluzinogener Drogen - die grün-orangene (!) Kreation doch tatsächlich gefiel. Fest steht jedoch, das die Bremer Leibchen in den letzten Spielzeiten mehr TV-Kontrastregler auf dem Gewissen hatten als herkömmliche Testbilder. Zu toppen sind sie lediglich von den farbtechnisch gesehen fast schon tabulosen Regenbogentrikots der Bochumer - vor einigen Jahren das wohl größte Farbverbrechen der Bundesligageschichte. Dieses Jahr kommt der Aufsteiger von der Ruhr hingegen mit dezenten, unifarbenen Kragenhemden daher, die weniger an Rasensport als an den Dresscode der Kellner im VIP-Bereich denken lassen.

Der FC Schalke 04 trägt diese Saison wieder seinen zeitlosen Klassiker in Blau und Weiß, hatte aber in der Vergangenheit ebenfalls ein Farbtrauma zu verkraften: In der Saison 03/04 hielt es die Vereinsführung für eine gute Idee, oranje Auswärtstrikots einzuführen, was in Fan-Kreisen zum Teil blankes Entsetzen auslöste. Jene Hemden sind heute zurecht kaum noch in der Nordkurve zu sehen. Die Bayern haben diese Saison der Einfachheit halber lediglich die deutschen WM-Trikots umlackiert. Womöglich ist der Ausstatter Adidas so seine Restposten losgeworden. Was viele Bayern-Fans beruhigt: Es gibt keine goldene - bei Bewölkung: schwefelgelbe - Trikotvariante mehr. Die schlichten Trikots aus Hamburg und Berlin hingegen erinnern ein wenig an ordinäre T-Shirts mit Werbeaufdruck, wie sie gerne bei Betriebssport-Tombolas unters Volk gebracht werden. Kosten trotzdem ein Heidengeld. Und dafür muss der Hertha-Fan auch noch Werbung für die Deutsche Bahn laufen, die ihr Emblem in gefühlter ICE-Größe auf die Trikots hat drucken lassen.

Überhaupt Sponsorenaufdrucke: Sie können einem den ganzen Spaß am Trikot vermiesen oder einem zum Gespött der Gästefans machen. So trägt ausgerechnet der Fast-Konkurs-Club Kaiserslautern "Deutsche Vermögensberatung" auf der Brust. Auch Aufdrucke wie "Mister+Lady Jeans" (Nürnberg) und "Karstadt Quelle Versicherungen" (Fürth) tragen nicht unbedingt zur "Street-Credibility" bei. Mehr Identifikationspotenzial bieten da schon eher bodenständige Marken wie "Haas Fertigbau" (Burghausen). Alles richtig machen schließlich die Ostwestfalen mit ihren Biersponsoren ("Krombacher"/Bielefeld, "Warsteiner"/Paderborn).

Für ein Skandälchen sorgten im Vorfeld der Saison Werder Bremen (schon wieder...) und 1860 München, weil sie mit dem Logo eines privaten Wettanbieters aufliefen - im Zuge der vielen Wettskandale im europäischen Fußball wohl nicht die geschickteste Sponsorvariante. Es ist jedoch davon auszugehen, dass innerhalb kurzer Zeit kein Hahn mehr danach kräht, so wie es heute unvorstellbar erscheint, dass dem damaligen Bundesligisten FC Homburg in den späten Achtzigern verboten wurde für einen Kondomhersteller zu werben.

Zurück zu den Farben: Rot ist in der 1. Liga extrem überrepräsentiert, obwohl mit den "roten Teufeln" aus Lautern und den Kölnern zwei prominente Vertreter dieser Farbgattung das Oberhaus verlassen haben. Rotes Textil tragen weiterhin Bayern München, Bayer Leverkusen, 1. FC Nürnberg, FSV Mainz 05, Hannover 96, Eintracht Frankfurt, VfB Stuttgart und Energie Cottbus. Dabei sieht Mainz aufgrund des gleichen Ausstatters und Designers aus wie Gladbach spiegelverkehrt mit Rotstich. Cottbus tarnt sich indessen als Mainz von früher - wohl um der neue Happy-Halligalli-Aufsteiger zu werden. Man munkelt jedoch, dass sich die Mainzer und Cottbuser Fan-Klientelen weiterhin fundamental unterscheiden. Der Erstliga-Neuling aus Aachen trägt das gelb-schwarze Trikot, welches die Dortmunder gerne gehabt hätten. Die Aachener sind aufgrund ihres vormaligen Trikotdesigns als "Kartoffelkäfer" bekannt. Jetzt sieht das Hemd jedoch aus, als hätte ein sehr, sehr großes Raubtier seine schwarzen Krallen in einen Gouda geschlagen.

Dass einige der deutschen Top-Vereine zusätzlich zur Bundesliga-Kollektion gerne noch eine spezielle Champions-League-Edition auf den Markt werfen sei hier nur ergänzend erwähnt. Neben diesen aufgehübschten Trikots für Feiertage haben die Vereine noch viel mehr Varianten auf Lager, dem Fan das Geld aus der Tasche zu locken: Trainings- und Alltagskluft mit Vereinsemblem und sogenannte "Traditionstrikots", auf alt getrimmte Shirts zu hanebüchenden Preisen.

All das führt dazu, dass der gemeine Fußballanhänger grübelnd vorm Kleiderschrank steht und darüber fast die S-Bahn in Richtung Stadion versäumt: In diesem Trikot gab es letzte Woche die 0:3-Auswärtspleite, dafür ging damit keines der letzten vier Heimspiele verloren. In jenem Leibchen wurde gegen den heutigen Gegner noch nie gewonnen, ist aber auch bisher nur eine Spielzeit getragen. Und ins Dress vom Pokalsieg von vor zehn Jahren will man einfach nicht mehr reinpassen... Ach, dann halt das Polo-Hemd mit dezentem Wappen auf der Brust, passt auch besser zur Cordhose.

Weiterführende Links
http://www.borussia.de/Homepage von Borussia Mönchengladbach
http://www.borussia-dortmund.de/... und von Borussia Dortmund
   

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