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Ein Land, viele Völker, eine Brauerei
WIRTSCHAFT | LAOS AKTUELL (15.03.2006)
Von Oliver Tappe
Der wirtschaftliche Erfolg eines Produktes ist gerade im Zeitalter der Globalisierung für das nationale Selbstverständnis eines kleinen, bisweilen übersehenen Landes nicht zu unterschätzen. In der Laotischen Demokratischen Volksrepublik boomt Beerlao.

Der wirtschaftliche Erfolg eines Produktes ist gerade im Zeitalter der Globalisierung für das nationale Selbstverständnis eines kleinen, bisweilen übersehenen Landes nicht zu unterschätzen. In der Laotischen Demokratischen Volksrepublik boomt Beerlao. Dieses Bier hat sich klammheimlich den Ruf erworben, eines der besten Biere Asiens zu sein. Dies schlägt sich auch in diversen Internet-Tagebüchern von Reisenden nieder, die nach ihrer Rückkehr bisweilen verzweifelt die Asienläden in ihren Heimatländern nach Beerlao abklappern. Hilferufe im Netz aus der Kategorie "Where can I get this stuff in the UK?!?" sind keine Seltenheit.

Michael Billig

Die Beerlao-Brauerei in Vientiane. (c) Michael Billig

Nimmt man an einer Brauereibesichtigung an der Thadeua Road teil, 12 Kilometer vom Zentrum der laotischen Hauptstadt Vientiane entfernt, demonstrieren auskunftsfreudige Mitarbeiter vor allem eines: unverhohlenen, aber sympathischen Stolz auf die eigene Braukunst. Gleichzeitig wird durch die ausgesprochene Freundlichkeit des Personals eines der ältesten Vorurteile über die Laoten bedient. Auch der Werbeslogan "Full Taste of Happiness" repräsentiert das Bild einer netten Nation. Ein Faltblatt zeigt zudem folgende Ergänzung: "... a product of all Lao Nationals", ergo ein nationales Produkt, mit dem sich jeder in diesem ethnisch heterogenen Land identifizieren sollte! Ein laotischer Slogan ergänzt: lotsat thi mi ekalaksapho maen khuamphumchai khong phuakhao ("Der Geschmack mit [seinem] besonderen Charakter ist unser Stolz"). Das gestiegene Selbstvertrauen auch des Beerlao-Marketings manifestiert sich schließlich in der gewagten These zur Marktreife des neuen Leichtbieres: "Beer Lao Lite kicks other lite beers in the hops!"

Hören die Lao dem Reis beim Wachsen zu?

Solche Erfolgsmomente hat Laos nicht viele vorzuweisen. Wie viele andere postkoloniale Staaten ist das südostasiatische Land nicht im Übermaß mit nationalem Selbstbewusstsein seiner Bevölkerung gesegnet. Das hat unterschiedliche historische, ökonomische und kulturelle Gründe. So hieß es seitens der französischen Kolonialisten, während die Vietnamesen und Khmer den Reis pflanzen und ernten, würden die Lao ihm lediglich beim Wachsen zuhören. Dieses exotisierte Bild eines netten aber faulen Völkchens hat sich leider ins laotische Selbstverständnis eingebrannt, was aber auch der generellen Stagnation des bis heute landwirtschaftlich geprägten Staates geschuldet ist. Laos gehört gemäß Human Development Index zu den ärmsten Ländern der Welt. Ökonomische wie soziale Entwicklung findet wenn überhaupt nur in den wenigen größeren Städten entlang des Mekong statt. Der größte Steuerzahler im Land ist die Beerlao-Brauerei, was in erster Linie ein Indiz für die geringe Entwicklung des Industriesektors ist.

Einen Beitrag zum negativen Selbstbild der Laoten leisten auch die Thailänder mit ihrer Geringschätzung laotischer Kultur, deren Sprache sie nur als Dialekt des Thai betrachten. In Thailand hielt sich die offizielle Weigerung, Laos als unabhängigen, souveränen Staat anzuerkennen, bis in die 90er Jahre. Bereits dreihundert Jahre zuvor gerieten die Laoten, nachdem das laotische Königreich Lan Sang in drei Teilreiche zerfallen war, unter die Herrschaft Bangkoks. Auch als Frankreich 1893 die laotischen Gebiete östlich des Mekong für sein Kolonialreich Indochina beanspruchte - aus dem 1954 die unabhängigen Staaten Vietnam, Laos und Kambodscha hervorgingen -, betrachtete Bangkok das sprachlich und kulturell eng verwandte Nachbarvolk weiterhin als Vasall, zumal die Bevölkerungsmehrheit der ethnischen Lao im Nordosten des heutigen Thailand lebte. Der Chauvinismus der Thai im Hinblick auf die Lao hat somit zusammen mit dem rasanten wirtschaftlichen Aufschwung Thailands, das im Übrigen als einziges Land Südostasiens nie kolonisiert wurde, zu einem Minderwertigkeitskomplex seitens der Lao geführt. Alles scheint in Thailand besser, moderner, schöner zu sein.

Es ist daher kaum verwunderlich, dass viele Laoten sehnsüchtig zum Nachbarn über den großen Fluss hinüberschauen. In Thailand hat sich die Wirtschaft seit den Achtzigern rasant entwickelt, so dass zwischen den beiden Staaten heute Welten liegen. Zwar ist das Bild, welches viele Laoten über das Thai-Fernsehen empfangen, vielfach nur eine Scheinwelt, aber die zahlreichen Seifenopern wirken als spektakuläre Antithesen des einfachen Lebens in der Volksrepublik.
Die regierende Laotisch Revolutionären Volkspartei flüchtet sich derweil in die Glorifizierung des kommunistischen Widerstandes gegen die Franzosen und Amerikaner. Das ist für die heutige Jugend des Landes angesichts des veränderten politischen Klimas nicht mehr besonders relevant. Die USA sind mittleweile einer von vielen Geldgebern der defizitären Wirtschaft. Westliche Produkte wie Handys und Digitalkameras, mit denen laotischstämmige Besucher aus Thailand oft ausgestattet sind, gelten in Laos als schwer erschwingliche Statussymbole.

Beerlao bietet dem großen Nachbarn Paroli

Gegründet wurde die Brauerei 1971 in den letzten Jahren der konstitutionellen Monarchie, welche die Kommunisten vier Jahre später stürzen sollten. Die Produktion unter dem Firmennamen "Brasseries et Glacieres du Laos" startete mit französischer Unterstützung. Später erfolgte jedoch die Hinwendung zur Pilsener Braukunst. Bis heute werden nur wertvolle Rohstoffe wie Hopfen aus der Hallertau verwendet. Zudem hat die Brauerei offensichtlich viel der Kooperation und dem technischen Know-how des einstigen sozialistischen Bruderlandes DDR zu verdanken: an den Wänden in der Besucherhalle der Brauerei findet man neben deutschen Prüfsiegeln und Zertifikaten auch einen Wimpel des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes.

Zahlen aus dem Jahre 2003 belegen eine Produktionskapazität von 90 Millionen Litern. Seither ist der Ausstoß noch gestiegen. Zum Vergleich: wurden 1990 noch kaum 4,5 Millionen Liter Getränke abgesetzt, verkaufte die Brauerei im Jahre 2002 63 Millionen Liter (darunter auch "Tiger Head Drinking Water"). Vor allem zu festlichen Anlässen wie dem laotischen Neujahr im heißen April hat die Brauerei regelmäßig mit Versorgungsengpässen zu kämpfen. Das ganze Land inklusive Touristen liegt dann im Beerlao-Rausch. Das fünfprozentige Bier hat in Laos einen Marktanteil von über 98 Prozent, begünstigt durch üppige Zölle auf ausländische Biere, die mit dem südostasiatischen Freihandelsabkommen ab 2008 nicht mehr aufrechtzuerhalten sein werden. Dafür steigt langsam aber sicher der Export, bisher hauptsächlich in die Nachbarländer und Staaten mit laotischen Exilgemeinschaften wie Frankreich oder die USA. Dem Besucher in Paris sei ein Abstecher zu einer der Filialen der asiatischen Supermarktkette "Tang Frères" empfohlen.

Beerlao ist dabei, sich weltweit zu etablieren

Es ist vor allem das positive Urteil des nicht-asiatischen Auslands, welches in Laos den Stolz auf dieses heimische Erzeugnis hat wachsen lassen. Bisher meinten es ausländische Kommentare selten gut mit diesem Land. Anders beim laotischen Bier. Gerade weil Beerlao von westlichen Besuchern oft explizit besser als thailändisches Bier gewürdigt wird, hat sich Beerlao zu einem wichtigen Bestandteil des bescheidenen laotischen Nationalstolzes gemausert.

Kurz vor Erscheinen dieser Ausgabe machte mich das iley-Team auf einen Beitrag der Deutschen Welle aufmerksam, der sich ebenfalls mit dem laotischen Bier beschäftigte. Allerdings wird dort wie so oft das verzerrte Bild der Laoten als putzige Kommunistenbuddhisten bemüht, was ihnen nicht gerecht wird. Auch der Titel des DW-Artikels ist mit "Biertrinken für den Sozialismus" irreführend, weil gerade die Beerlao-Brauerei ein Beispiel für die Durchsetzung marktwirtschaftlicher Entwicklungen in der Volksrepublik ist. Laos wird zunehmend in den südostasiatischen Wirschaftsraum integriert, am deutlichsten symbolisiert durch die Brückenbauprojekte am Grenzfluß Mekong.

Wenn nun Beerlao in der Lage ist, Bieren aus größeren, reicheren Ländern in die Hopfen zu treten, dann braucht sich das laotische Volk womöglich in Zukunft nicht mehr zu verstecken im globalen Wettbewerb, und kann sich vielleicht ein wenig aus der Abhängigkeit ausländischer Hilfsleistungen befreien.

Zugegeben, vom Bildungssystem bis hin zur Regierungsführung liegt noch einiges im Argen, und Veränderungen gehen schleppend voran. Dennoch gibt es neben Beerlao weitere Hoffnungsschimmer wie die hochwertigen Textil- und Kaffeeprodukte, die in Zukunft womöglich ebenfalls Nischen auf dem Weltmarkt besetzen können. Laos ist noch am Anfang dieser Entwicklung und kann daher einige Fehler vermeiden, die in anderen Ländern zu Armut, Ressourcenverschwendung und Umweltverschmutzung geführt haben. Qualität statt Massenproduktion, das ist eine Perspektive für dieses Land. Beerlao kann dabei durchaus eine Vorreiterrolle übernehmen.
Fest steht: Jeder, der schon mal einen Sonnenuntergang am Mekong mit einer eisgekühlten 0,66 l Flasche Beerlao garniert hat, wird diesen frischen Biergenuss niemals vergessen. Und nie mehr vorbehaltsfrei thailändisches Bier trinken können.

Weiterführende Links
http://www.dw-world.de/dw/article/0,2144,1910426,00.htmlDeutsche Welle: Biertrinken für den Sozialismus
   








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