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Die Klinkenkobolde - Ein Tag mit der Firma Vorwerk
WIRTSCHAFT | JOBSUCHE (20.12.2008)
Von Max Pothmann
Nach kurzer Fahrt parkte er in einer ruhigen Dorfstraße, entnahm den Staubsaugerkoffer und bat mich, vor Kunden den Mund zu halten, er folge einem Verkaufskonzept und das sei von Einzelnen schon empfindlich gestört worden.

Die ersten Türen: Alte Damen, denen ihre Kobolde schon lange gedient hatten. Sie trauten ihnen noch weitere Jahre zu. Eine saß vom Fenster aus sichtbar im Wohnzimmer, machte aber nicht auf. Eine andere wankte für einen Moment, blieb zuletzt aber hart und sagte, sie kenne das, wenn die einmal drin wären, dann hätte man hinterher einen neuen Staubsauger. Eine weitere war jünger und wirkte betrunken. Sie hielt die Tür nur einen Spalt offen, Flecken auf dem Pyjama, und wimmelte uns mit belegter Stimme ab. Herr Dede hatte mich gebeten, nicht zu weit von ihm weg zu stehen – wenn zwei fremde Männer an die Tür kommen, kriegen es manche Leute mit der Angst.

Im Frühsommer hatte ein ähnlicher Mann an meine Tür geklingelt. Groß und schwer stand er vor mir. Seine wässrigen, wachen Augen schauten schlau hinter der drahtlosen Brille hervor. Er sei von der Firma Vorwerk, Service, ob wir Geräte im Haus hätten, fragte er mich. Ich sagte nein, und wir würden keine kaufen wollen und das schluckte er auch. Anstatt sich zur Straße umzuwenden, wo sein Rollkoffer parkte, sah er mich prüfend an. Die Firma Vorwerk bräuchte immer neue Leute - ob ich nicht auf der Suche sei. ‚Nicht jetzt‘, sagte ich, ‚aber in ein paar Monaten vielleicht‘. Er schrieb meine Nummer auf und sagte, es werde sich jemand melden.

Herr Dede

Tatsächlich klingelte im Herbst das Telefon. Der zuständige Bezirksleiter vereinbarte einen Termin, ja, Samstag. Auch er gut gekleidet, eifrig und überzeugend von Berufs wegen. Man würde sich das als Klinkenputzen vorstellen, aber tatsächlich gäbe es zehn Millionen Kunden. Man träfe also an jeder dritten Tür auf heimischen Boden und könne tolle Sachen erleben. Er wäre oft zum Essen eingeladen worden und die Leute teilten ihr Leben mit ihm, beschloss er die kurze Einführung. Er schlug vor, mal einem der Berater über die Schulter zu schauen, denn die Arbeit sei doch ganz anders, als man so denke.
Drei Tage darauf gab ich mir morgens Mühe, halbwegs adrett auszusehen. Herr Dede erschien in der Tür, ein schmaler Hüne und noch besser gekleidet als der Chef. Wie sich später herausstellte, hatte er mit Vorwerk sein Glück gemacht. Um die Ecke parkte ein dunkelblauer Touareg. Er fütterte das Navi mit Straßennamen und wies unterwegs darauf hin, dass wir auch Kaltakquise machen würden, was man abfällig Klinkenputzen nenne, das wäre den Interessenten nicht immer ganz klar. Aber da müsse man durch und es wäre auch ganz anders, als man so denkt.

Nachdem wir an einer Reihe von biederen Reihenhäusern gescheitert waren, erreichten wir am Ende der Straße einen weißen Bungalow mit bunt verglaster Stahltüre. Herr Dede ließ den Koffer dezent am Gehsteigrand zurück. Über Gegensprechanlage klang eine spröde Damenstimme, die sagte, sie bräuchten nichts, sie hätten noch Filter in Massen, ‚nicht wahr Herbert’ und im Hintergrund grummelte die Stimme des Mannes. Aber Herr Dede ließ nicht locker. Er las immer zuerst die Klingelschilder und sang den Namen von Frau Havel so oft in Verbindung mit dem Wort ‚Gutschein‘, bis sie an die Tür kam. Er müsse kurz einen Blick auf ihren Staubsauger werfen, um sehen zu können, welches Modell das sei. So kamen wir durch die Tür.

Vorwerk

Ein Kobold ist der Hausfrau bester Freund - sagt uns dieses Werbeplakat. (c) Vorwerk

Ehepaar Havel

Marmor im Wohnzimmer, Engel im Garten, rustikale Eiche in der Küche. Sie haben vier Staubsauger im Haus. Den ältesten, fast 50-jährig, benutzt Herr Havel in der Garage für die Spinnweben. Der Aktuelle ist erst sechs und sieht aus wie neu. Wir stehen im Flur, da liegt ein grauer, edler Perser. Auch das Wohnzimmer ist mit teuren Bodenbelägen verschiedener Größen ausgelegt. Frau Havel sagt gern: ‚Kacke, so ein Scheiß.‘ Ihr Mann ist noch in der Dusche und erscheint nach einigen Minuten, freundliche, braune Augen und schüttelt uns fest die Hand. Er ist fürs Putzen zuständig - sie hat Schmerzen in den Armen, ihre Beine tragen streicholzdünn den kompakten Körper.
Ich bekomme Gelegenheit, Herrn Dedes Kunst im Detail zu erleben: Er nimmt den Kobold der Havels auseinander wie ein Polizist seine Dienstwaffe und zeigt die Mängel, den Verschleiß. Er saugt den Perser ein wenig. Nachdem er mich gebeten hat, das ‚Messgerät‘ (den neuen Kobold) hereinzuholen, fährt er damit ein weiteres Mal über den Teppich und über die Polster. Das Messgerät holt noch lagenweise feinen, beängstigend dreckigen Dreck heraus. Milbenkot ist das, der Erzfeind des Allergikers. Hausmilben leben von den alten Hautzellen, die wir täglich abstoßen. Ihr Kot ist ein Staub so fein, dass nur der beste Staubsauger imstande ist, ihn aus den Tiefen eines Teppichs hervor zu zerren.

Wir blieben zwei Stunden. Weil die Havels nicht gleich anbissen, war Herr Dede gezwungen, biologisches Reinigungspulver zu verteilen, das nach halbstündiger Einwirkzeit den Teppich wie neu aussehen ließ. Zuletzt gab es Kaffee; wir unterhielten uns in der Küche über Mercedes, den Wertverfall von Fahrzeugen und Frau Havel lästerte etwas (‚Kacke, so ein Scheiß‘) über die ‚Polacken‘, die hinter die hohe Gartenhecke gezogen waren, fünf Kinder pro Haus und futsch war die Aussicht.
Sie wussten beide, dass sie keinen neuen Staubsauger brauchten, aber immer, wenn sie dieser Gewissheit gedanklich zu nah kamen, begann Herr Dede ein neues Thema: Die Spülmaschine, Ebay, das Putzmittel und zuletzt zückte er den Vertrag aus seiner Mappe und begann ihn auszufüllen. Weil die Havels schon seit 50 Jahren Kunde sind, bekamen sie einen saftigen Rabatt und unterschrieben. In zwei Wochen wird der neue Staubsauger geliefert, der tatsächlich viel besser, leichter und automatischer ist, als der alte - Milbenkot, Adieu.

Vorwerk

Das heute weltweit und vielfältig operierende Unternehmen Vorwerk begann seine Geschichte vor 125 Jahren als 'Barmer Teppichfabrik' in Wuppertal. Ende des ersten Weltkriegs wurden elektrische Motoren und Getriebe für Grammaphone neues Produktionsstandbein. Der aufkommende Hörfunk in den 20er Jahren führte jedoch zu starkem Umsatzeinbruch. Kurzerhand entwickelte Vorwerks Chefingenieur einen Handstaubsauger, in den er die Grammaphon-Motoren einbaute. Der ‚Kobold’ war geboren. Weil der Absatz des noch unbekannten Produkts schleppend anlief, entschied man sich 1930 für den Direktvertrieb an der Haustür.
Vorwerk-‚Fachberater‘ sind in Anzüge gekleidet, meist männlich und durch Berufserfahrung geschult in Hartnäckigkeit: Wer an deutsche Haustüren klingelt, der muss sich einiges anhören und entwickelt zusammen mit dem dicken Fell eine gewisse, dem Verkaufserfolg für Kobolde nicht abträgliche Persistenz.

Die Gruppe

Herr Dede ist zwei Jahre älter als ich und arbeitet seit fünf Jahren als Fachberater. Es liegen Welten zwischen uns: Während der Fahrt erklärt mir, es sei eben so, dass heutzutage der Mensch nach seiner Brieftasche beurteilt werde, das ginge schon lange nicht mehr nach Charakter. Frauen würden nicht nur fragen: Hast Du ein Auto? Sondern auch: Was denn für eins?
Er verdient so gut, dass er den Touareg bezahlen und dreimal im Jahr Urlaub machen kann. Jährlich lädt ihn die Firma zum Ball der hundert Besten ein; nach Berlin, nach Mallorca und dass soll auch so bleiben. Ein Hobby im Alltag hat er nicht mehr. Er arbeitet zu viel; er klingelt noch um 19 Uhr an Türen. Das einzige, was geht, ist Urlaub, aber da träumt er von Kunden, Staubsaugern und Haustüren.

Wir fuhren in die nächste Stadt und gingen durch den Hintereingang ins lokale Großhotel. Die Fachberater eines Bezirks treffen sich morgens und mittags, besprechen ihre Verkäufe und teilen ihr Leben: Das ist gut.
Das ganze kam mir sehr amerikanisch vor: Eine deutsche, reale Version von ‚Reservoir Dogs‘: Das Hinterzimmer des Hotelrestaurants; da saßen sechs Männer in Anzügen, alle rauchten. Der Chef bekam sein Steak und schickte es in die Küche zurück, es war ihm nicht durch genug. Die Jüngeren tranken Cappuccino und gingen zwischendurch zu McDonald's, wahrscheinlich um Geld zu sparen. Sie waren noch nicht ganz so adrett wie die alten Hasen. Die Staubsauger noch ein Spiel, mit dem man in guten Zeiten innerhalb einer Woche so viel verdienen kann, wie als Angestellter in Monat.
Mir gegenüber saß Martin. Während der Chef einen Kollegen zum Motivations-Interview an die Seite nahm und die andern Jungs über die Straße gegangen waren, um schnell ein paar Burger zu essen, erzählte er mit leiser Stimme, wie unglücklich er als Industriekaufmann gewesen war. Viel Arbeit. Kein Betriebsklima, Stress, kaum Geld. Er hatte schlechte Zähne, die platt gegelten Haare ließen den Kopf klein aussehen, der Anzug war dünn und billig. Seit sechs Wochen war er dabei, die ersten Verkäufe waren leicht gewesen und geil. Aber dann hatte er zu viel gewollt und mit einem Dollarzeichen in den Augen an Türen geklingelt und niemand ließ ihn rein. Das hatte sich mittlerweile gegeben. ‚Ich bin total zufrieden‘, sagte er. Im Winter würde es natürlich kalt werden, aber bei Lidl gab es einen Mantel für 29 Euro. Rauchend kamen die anderen Jungs zurück. Martins Telefon klingelte. ‚Alte Arbeitskollegin. Die will wahrscheinlich wieder mal was zwischen die Beine haben‘, sagte er mit seiner dünnen Stimme und wollte noch weiter ausschmücken, aber Verkäufer merken, wenn jemand nicht die Wahrheit sagt.

Bemerkt hatte Herr Dede auch meinen verhaltenen Enthusiasmus und fragte auf dem Parkplatz, ob er mich nach Hause bringen solle. Dass das auch besser für sein Geschäft sein würde, sprach er nicht aus.

   




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