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Establishmensch und Albträumer
KULTUR | INTERVIEW mit Andy Strauß (23.02.2011)
Von Jörg Rostek
Der Künstler Andy Strauß ist ständig unterwegs. Sein Studium wird er nicht beenden. Er schreibt Geschichten, slamt und spielt Theater. Zug und Bühne sind sein Arbeitsplatz. Wir haben ihn irgendwo dazwischen zu einem Gespräch getroffen.

Hallo Andy, du hast dein zweites Buch veröffentlicht. Dein erstes Buch heißt wie deine Homepage "Establishmensch". Dein neues Werk hast du "Albträumer" genannt. Was unterscheidet diese beiden Bücher?

Andy Strauß: Der Grundgedanke hat was mit Kommunismus zu tun. Religion ist Opium des Volkes, denn das Volk betäubt sich mit Religion. Dieser Spruch wurde von Stalin in Opium für das Volk definiert. So ist auch die Entwicklung vom einen Buch zum andern. In Establishmensch zwingen sich die Charaktere selbst dazu, sich der gesellschaftlichen Realität anzupassen und werden dadurch anormal. In meinem zweiten Buch werden sie von außen dazu gezwungen, "normal" zu sein, so dass die erscheinenden Personen das Opfer ihrer Umstände sind und in Albträumen leben.

ubooks.de

Babyface Andy Strauß - sein neues Buch "Albträumer" ist im Verlag ubooks erschienen und für 9,95 Euro zu haben. (c) ubooks.de

Deshalb auch der Titel "Albträumer"?

Andy: Ja, der Titel "Establishmensch" beschreibt eine Person, die innerhalb des Establishments freiwillig mitspielt. Und "Albträumer" hat etwas unfreiwilliges, denn wer träumt schon freiwillig Alb.

Du bist Student - wie kann man das auf das studentische Leben übertragen?

Andy: Bei den Menschen an der Uni gibt es solche und solche. Wer studiert und einen schnellen Abschluss und Karriere machen will, unterwirft sich freiwillig Regeln und Konventionen. Wer aber aus Interesse am Stoff studiert, ist gezwungen, sich Regeln zu unterwerfen. Das heißt: auch an der Uni gibt es Establishmenschen und Albträumer.

Wie ist das bei Künstlern? Müssen die sich auch Konventionen unterwerfen?

Andy: Kommt darauf an. Die Freiheit der Kunst ermöglicht es ihm, selbst entscheiden zu können, ob er sich unterwerfen lassen möchte. Natürlich gibt es gesellschaftliche Regeln, die eingehalten werden sollten. Ein Mord sollte nicht als Kunstwerk angesehen werden. Es gibt allerdings auch Regeln, nach denen sollte ein Künstler nicht mitspielen.

Hast Du als Künstler ein politisches Sendungsbewusstsein?

Andy: Nachdem ich aus Zimbabwe wiederkam, habe ich einige politische Texte verfasst und unter anderem bei einem WDR-Auftritt vorgetragen. Aber generell habe ich bei einem normalen Poetry-Slam nicht die Absicht, eine politische Botschaft zu vermitteln. Ich denke, dass die Leute, die zu einem Slam gehen, bereits aufgeklärt sind. Ich will nicht Teil eines politischen Kabaretts werden, in dem alle vorher schon wissen, was gesagt wird und alle darüber lachen. Es ist nicht meine Art, den Menschen das politische Tagesgeschehen vorzukauen und witzig zu veranschaulichen. Im WDR habe ich ein Forum genutzt, das Menschen erreicht, die viele Dinge einfach nicht wissen, in der Hoffnung, ihnen was mitzugeben.

Du schreibt als Ich-Erzähler. Deine Bücher behandeln meist das Innenleben von Soziopathen. Welchen Einfluss hat dein Soziologiestudium auf Deine Literatur?

Andy: Soziologie ist für mich die Suche nach den richtigen Fragen. Gar nicht mal die Suche nach den Antworten. Auf die Gewalt in meinen Büchern gibt es keine passende Antwort, aber sie animiert dazu, die Frage zu stellen, warum sie entstanden ist und wo sie herkommt.

In "Establishmensch" beschreibst Du, wie ein Jugendlicher anfängt Bomben zu legen. Ein Thema, das gerade in der aktuellen Diskussion über mögliche Terroranschläge ganz oben auf der Tagesordnung der Medien steht. Wie empfindest Du die Berichterstattung darüber?

Andy: Es ist offensichtlich, dass darin eher die Frage behandelt wird: wie sicher sind wir? Selten wird die Frage gestellt, warum es überhaupt Menschen gibt, die Terror verbreiten wollen. Die Politik will eher die Symptome bekämpfen anstatt die Ursache. Aber gerade das sollte doch möglich sein.

Texte von Andy Strauß auf iley.de

Besser nicht stören und Kaminvorteile


Wenn man, wie Du über Menschen schreibt, die starke psychische Probleme haben - und Deine Leserschaft wächst ja ständig - gibt es dann auch Menschen, die Dich um Hilfe bitten, weil sie denken, Du würdest sie besonders gut verstehen?

Andy: Ja, das kommt vor. Obwohl ich noch keinen richtigen Weg gefunden habe, damit umzugehen, ist mir die Verantwortung, die ich trage, bewusst. Jeder der mir schreibt, bekommt auch eine Antwort.

Deine Texte brechen Tabus und sind sexuell stark aufgeladen. Wie empfindest Du die Reaktionen des Publikums darauf? Weist du, warum diese Art der Literatur die Leute so begeistert?

Andy: Wenn jemand Worte verwendet, welche die Leute selbst nie in den Mund nehmen würden, sind die Reaktionen sehr unterschiedlich. Manche werden verlegen, manche lachen, manche fragen sich dann, ob man darüber überhaupt lachen darf. Diese Grenzen festzustellen, ist immer schön anzusehen.

Du warst vor einigen Jahren im AStA der Uni Münster Referent für Kultur. War das eine gute Zeit für Dich? Welche Erfahrungen hast Du gemacht?

Andy: Vor allem gingen mir die zwischenparteilichen Streitigkeiten auf die Nerven. Das Arbeitsklima war regelmäßig sehr schlecht. An so was wollte ich mich nie beteiligen. Außerdem liefen damals Leute herum, mit denen man in seinem Leben eigentlich nichts zu tun haben will, mit denen man aber zwangsläufig im Büro zusammentrifft. Deshalb habe ich immer versucht, eher zu Hause zu arbeiten. An und für sich habe ich aber durch den AStA viel gelernt. Wenn es um das Organisieren von Veranstaltungen geht, ist der AStA eine gute Schule.

Du singst, Du schreibst, bist Poetry Slammer und spielst jetzt auch noch Theater. Wie ist das denn mit Deinem Studium vereinbar?

Andy: Gar nicht und das wird auch irgendwann abgebrochen. Im Moment habe ich so viel zu tun, dass ich mich selbst ernähren kann und bald in die Künstlersozialkasse aufgenommen werde.

Wie viele Tage in der Woche bist Du eigentlich zu Hause?

Andy: Einen, höchstens zwei. Ich schlafe selten zu Hause.

Vielen Dank für das Gespräch!

Weiterführende Links
http://www.establishmensch.de/Internetseite von Andy Strauß
   




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