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Die längste Brücke Deutschlands entsteht
WIRTSCHAFT | ICE-TRASSE NÜRNBERG-BERLIN (28.12.2012)
Von Michael Billig
Auf der ICE-Hochgeschwindigkeitsstrecke Nürnberg-Berlin entstehen das längste Brückenbauwerk Deutschlands und ein neuer, schlanker Brückentyp.

Frank Kniestedt/DB AG

Das größte Brückenbauwerk Deutschlands: Die Saale-Elster-Talbrücke setzt sich aus einem 6,5 Kilometer langen Hauptstück und einem 2,1 Kilometer langen Abzweig zusammen. (c) Frank Kniestedt/DB AG

Die ICE-Hochleistungstrasse zwischen Nürnberg und Berlin ist das aktuell größte Verkehrsprojekt Deutschlands. Die Strecke wird Reisegeschwindigkeiten von bis zu 300 Stundenkilometern möglich machen und die Fahrzeiten stark reduzieren. Von München in die deutsche Hauptstadt sollen es mit Fertigstellung der Trasse weniger als vier Stunden sein. Die ersten Passagiere können im Jahr 2017 über die komplette Strecke rauschen. Die Reise wird sie über das längste Brückenbauwerk Deutschlands und einen neuen Typ von Eisenbahnbrücke führen.

2012 ist das Jahr der Durchbrüche. Die Tunnelbauer des Verkehrsprojektes Deutsche Einheit (VDE) 8 - so die offizielle Bezeichnung - sehen an allen Enden Licht. Allein auf dem 107 Kilometer langen Teilstück vom fränkischen Ebensfeld in die thüringische Landeshauptstadt Erfurt haben sie 22 Tunnel durch Berge geschlagen. Mittlerweile wurden auch fast alle Brücken des vor rund 20 Jahren auf den Weg gebrachten und insgesamt rund zehn Milliarden Euro teuren Prestigeprojektes hochgezogen. Die längste Brücke entsteht südlich von Halle an der Saale: Die Saale-Elster-Talbrücke setzt sich aus einem 6,5 Kilometer langen Hauptstück und einem 2,1 Kilometer langen Abzweig zusammen. Sie löst die in den 1970er Jahren erbaute und 4260 Meter lange Straßenbrücke "Elbmarsch" in Hamburg als größtes Brückenbauwerk Deutschlands ab.

Sensibles Biotop

Die Talbrücke in Sachsen-Anhalt überquert die Flüsse Saale und Weiße Elster. Die Flussauen gelten als bedeutsames Brut-, Nahrungs- und Rastgebiet vieler Tierarten und stehen unter Naturschutz. Den Brückenbauern wurden strenge Auflagen gemacht. "Zur Vogelbrutzeit müssen wir in bestimmten Gebieten eine dreieinhalbmonatige Baupause einlegen", sagt Marcus Schenkel von DB ProjektBau, einer Tochterfirma der Deutschen Bahn (DB). Ingenieur Schenkel leitet den Streckenausbau Erfurt-Halle-Leipzig und somit auch den Bau der Saale-Elster-Talbrücke.
In mehreren Abschnitten von insgesamt 1,2 Kilometern Länge ist es den Arbeitern untersagt, das sensible Biotop unter ihren Füßen zu betreten. Sie bauen die Brücke deshalb in einem sogenannten Vor-Kopf-Verfahren. Dabei errichten sie Fundamente, Pfeiler und Überbau aus der Höhe. "Wir haben auf bereits fertiggestellten Brückenabschnitten begonnen und uns dann nach vorn gearbeitet", beschreibt Schenkel die ungewöhnliche Vorgehensweise. Der letzte von insgesamt 208 Pfeilern aus Stahlbeton wurde im Mai dieses Jahr gesetzt. Im Jahr 2015 soll die Brücke in Betrieb gehen.

Klobige Bauweise

Die Begeisterung über die längste Brücke der Republik aber hält sich in Grenzen. Das ist sicher den Eingriffen in die Natur geschuldet und einem Unfall im Mai 2009, bei dem sich neun Arbeiter verletzt hatten. Aber auch der klobige Brückentyp stößt hier und da auf Unbehagen. Der Ingenieurwissenschaftler Steffen Marx von der Universität Hannover macht der Brücke nicht gerade ein Kompliment, wenn er sagt: "Das ist eine Aneinanderreihung von Standardobjekten." Man kann seine Meinung zu dem Bauwerk so zusammenfassen: Bewährt, aber wartungsintensiv und nicht besonders schön anzusehen - eine Brücke aus dem 30 Jahre alten Baukastensystem deutscher Ingenieure. Moderner Brückenbau sieht anders aus.
Doch das Mammutprojekt VDE 8 beweist andernorts, dass es sich zeitgenössischer Ingenieurbaukunst nicht gänzlich verschließt. Unweit der Saale-Elster-Talbrücke steht die Unstrut-Talbrücke auf Pfeilern, die nicht mal halb so dick sind wie sonst üblich. Bei dem mehr als zwei Kilometer langen Bauwerk handelt es sich um einen neuen Brückentyp der sogenannten integralen Form. Bögen, Pfeiler und Überbau sind aus einem Guss. Sie sind monolithisch miteinander verbunden und werden nicht wie etwa die Saale-Elster-Talbrücke von Zwischenbauteilen wie Lagern und Fugen zerschnitten.

Brücken auf Diät gesetzt

Überhaupt ist an der Brücke über den Fluss Unstrut vieles etwas weniger. Sie wurde nicht nur auf Diät gesetzt und sieht schlanker aus. "Bei einer integralen Brücke spart man auch Material und Wartungskosten", sagt Steffen Marx, der die Unstrut-Talbrücke mitentworfen hat.
Lager und Fugen zählen bei herkömmlichen Brücken zu den Schwachstellen. Sie müssen spätestens nach 30 Jahren ausgetauscht werden. "Ist die Fuge undicht, dringt Feuchtigkeit ein", so Marx. Und wenn der Stahl im Beton zu korrodieren beginne, sei es um die Brücke geschehen. Marx: "Die beste Fuge ist keine Fuge." Die beste Brücke sei aber nicht immer eine integrale Brücke. Es komme auf die Randbedingungen an, etwa den Baugrund und die Erreichbarkeit, sagt der Ingenieur und Wissenschaftler.
Zwischen Nürnberg und Berlin strecken sich nun insgesamt fünf integrale Brücken über die Landschaft, darunter die 576 Meter lange Brücke über das Scherkonde-Tal in Thüringen, die mit dem diesjährigen Deutschen Brückenbaupreis prämiert wurde. In Baden-Württemberg soll mit der Filstalbrücke im Zuge des Projektes "Stuttgart 21" die nächste folgen. Auch im Autobahnbau haben die schmalen Brücken bereits Einzug gehalten. Und schon die alten Römer hatten mit ihren Viadukten integrale Bauten geschaffen.

20 Mal so steif wie Straßenbrücken

Den Brücken des VDE 8 steht der Praxistest noch bevor. Wenn blitzschnelle Personen- und tonnenschwere Güterzüge über sie hinweg donnern, drücken extreme Lasten und Kräfte auf die Bauwerke. "Sie müssen 20 Mal so steif sein wie Straßenbrücken", sagt Steffen Marx. Durch ein integrales Tragsystem sei die Steifheit auch ohne klotzige Pfeiler zu erzielen. Die Lasten verteilten sich einfach auf die gesamte Konstruktion. "Alle Bauelemente werden aktiviert, um Schwingungen zu begrenzen", sagt Marx. Die schlanken Pfeiler erlaubten, dass die Brücken in horizontaler Richtung beweglich sind - auf zehn Meter einen Zentimeter - und auf diese Weise Verformungen, etwa auch durch Temperatureinflüsse, ausgleichen können.
All das macht sehr genaue Berechnungen im Vorfeld nötig. Deren Umfang treibt Brückenbauer und Prüfer schon mal zur Verzweiflung und die Planungskosten in die Höhe. Es gibt Stimmen, die sagen, dass daran weitere Bauvorhaben scheitern werden. Ingenieure wie Marx sind optimistischer. Sie sagen, dass integrale Brücken dauerhafter sind und sich die Investition lohnt. Ob sie Recht behalten, wird sich in ein paar Jahrzehnten zeigen.
   

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