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Meinungsführerschaft der 'Experten' brechen
WIRTSCHAFT | HINTERGRUND IV (11.08.2012)
Von Frank Fehlberg
Eine Hürde, welche die Krisenmanager in den Augen Paul Krugmans überwinden müssen, ist die Deutungshoheit der "Experten". Lobbyisten, bezahlte Wissenschaft und "unverhohlene Korruption" vieler Politiker hätten zur Selbsttäuschung geführt.

Sollte die Sozialisierung von privaten Schulden wie derjenigen der Finanzkrise einseitig fortgeführt werden, so drohen auch in den Augen des monetaristisch durchgebildeten Keynesianers Krugman irreparable Schäden für die Gesellschaften der betroffenen Staaten: "[…] es wäre töricht, die negativen Auswirkungen zu unterschätzen, die eine Dauerkrise auf demokratische Werte und Institutionen haben könnte." Doch noch sei die "Ökonomie der schlechten Entscheidungen" der letzten Jahrzehnte in vollem Gange. Die Vernetzung von Finanzwesen und Politik, der "Drehtüreffekt", der Interessenvertreter zu Politikern werden lässt und umgekehrt, trübe die Urteilsfähigkeit der Krisenlöser.

Politiker vergolden ihren Ruf als "unliebsame Reformer"


Die höchst fragwürdige postpolitische Karriere des deutschen Altbundeskanzlers Gerhard Schröder ist keine Ausnahme. Mittlerweile könnten in Europa etliche gescheiterte Spitzenpolitiker in der "internationalen Gemeinschaft" von Institutionen wie der Europäischen Union und dem Internationalen Währungsfonds ihre ehedem "marktkonforme" Politik vergolden. Die Angst, im eigenen Land nicht wiedergewählt zu werden, weicht der Aussicht, einen gut dotierten Posten mit dem Ruf eines "eisernen" und eben "unliebsamen Reformers" zu erhalten. Dort führten diese Politiker ihre bisherige neoliberale Linie ungerührt weiter, insbesondere im Sinne einer unbarmherzigen Sparpolitik. Dabei bliebe unterm Strich oftmals die weitere Subventionierung der Aktionäre stehen. "Bei Kopf gewinnt die Bank, bei Zahl verliert der Steuerzahler." Einfachste ökonomische Wahrheiten gerieten aus dem Blick: "Wohlstand ist zwar ohne ein stabiles Finanzsystem undenkbar, doch die Stabilisierung des Finanzsystems bringt noch lange keinen Wohlstand."

Pragmatiker statt bezahlte Glaubenskrieger gefragt


Paul Krugman sieht sich selbst als Pragmatiker, der gegen den "fast schon religiösen Fanatismus" der reinen Lehre des Chicagoer Monetarismus eine wirtschaftswissenschaftlich sauber begründete Position einnimmt. "Allzu viele Wirtschaftswissenschaftler" hätten dagegen "im Moment der Krise keinen sinnvollen Beitrag" geleistet, "sondern sich in Glaubenskriege" gestürzt. Meist seien solche Wissenschaftler "nichts anderes als die akademischen Sturmtruppen der Republikaner", welche die "Lüge" aufrecht erhielten, vor allem die "kleinen Leute" hätten mit ihrer vom Staat gewollten unsicheren Kreditaufnahme einen großen Anteil der Krise zu "verschulden".

Die besonders in Europa verbreitete Ideologie des Gesundsparens, mit wissenschaftlichen Argumenten unterfüttert und in der öffentlichen Debatte dominant platziert, führe zur allgemeinen Erstarrung in der Alternativlosigkeit. Der Historiker Tony Judt schrieb darüber treffend: "Die Macht einer Ideologie erweist sich am deutlichsten in der Unfähigkeit der Verführten, sich Alternativen vorzustellen." Kritiker der herrschenden Ideologie umschreiben den interessenpolitischen Erfolg dieses Prinzips gern als "TINA-Syndrom" - There is no Alternative.

Spiel mit der Inflationsangst


Ein Beispiel von Krugman: Das Spiel mit der Angst vor der Inflation - bei der die Geldmenge über den Warenwert der Güter ansteigt und zu höheren Preisen führt - habe die ideologischen Volkswirtschaftler dazu getrieben, die weitaus destruktivere Deflation - die aus einer Nachfrage-Zurückhaltung mit entsprechendem Preisverfall und Kaufkraftanstieg entspringt, bei der aber die umlaufende Geldmenge unter die Güter- und Schuldenmenge schrumpft - nicht zur Kenntnis zu nehmen. In der Deflation stiegen die realen Schulden sogar, das heißt, der Schuldner muss Schulden zurückzahlen, die vor dem Anstieg der Kaufkraft der Währung entsprechend billiger zu bedienen waren. Die Inflation sei dagegen der Feind der Gläubiger, weil sie neben der Währung auch den Wert der Schulden verpuffen lässt. Daraus ergäben sich entsprechende Interessengruppen, welche die öffentliche Meinung zu beeinflussen suchen.
   





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