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God, Bless America!
POLITIK | HINTERGRÜNDLICH (15.11.2008)
Von Jan Hendrik Matthey
Mut für den weltweit erhofften Wechsel an Amerikas Spitze macht mir zeitweise oftmals nur der Fakt, dass die Skandale um die republikanische Vizekandidatin Sarah Palin nicht abreißen.

Die Nominierung Palins zur Vize-Kandidatin um das Amt des amerikanischen Präsidenten war sicher für alle eine Überraschung. Sie war bis dato nicht nur in Europa eine unbekannte Persönlichkeit. Anscheinend weiß man selbst in den Staaten, besonders auch im Lager der Republikaner recht wenig über sie. Vorwürfe des Amtsmissbrauchs und ein anstehendes Verfahren über Amtsmissbrauch im Bundesstaat Alaska sowie ein uneheliches Kind ihrer 17-jährigen Tochter lieferten schnell ebenso Schlagzeilen wie ihre Vergangenheit als Sportkommentatorin und ihre Jagdleidenschaft. Um dieses Hobby zu sichern, wurden angeblich sogar offizielle Studien der Universität von Alaska von ihr unter Verschluss gehalten, die vor einem bedrohten Aussterben von Bären warnte und ein Jagdverbot forderte.

Jan Hendrik Matthey

(c) Jan Hendrik Matthey

I am your man!

Wurde sie also wegen dem Frauen-Bonus gewählt? Wollte man die verprellten Anhänger Hillary Clintons mit ins Boot bekommen? Ich konnte keine Antwort finden. Dass die politischen Kompetenzen („Was war noch mal die Bush-Doktrin?“) ebenso wenig im Vordergrund stehen wie die bei Barack Obama so oft kritisierte fehlende Auslandserfahrung, verdeutlicht die Tatsache, dass Sarah Palin letztes Jahr überhaupt erstmals einen Reisepass beantragte – um das erste mal Nordamerika zu verlassen und ihren im Irak stationierten Sohn besuchen zu können.
Sie scheint ein nahezu perfekter Jonglierball mächtiger Lobbygruppen im Fall einer altersbedingt vorzeitigen Beendigung des Präsidentschaftspostens durch John McCain zu sein.
Palin, neben ihrem politischen Amt im Ölgeschäft tätig, will in Alaska in Nationalparks nach Öl bohren. Zudem negiert sie die globale Erderwärmung als Folge stetig steigender CO2-Werte.

Wie kann ein Wahlerfolg Barack Obamas unter diesen Informationen überhaupt angezweifelt werden? Jubeln ihm nicht selbst im Ausland hunderttausende Menschen zu? Spricht man in Europa nicht von einer Obamania. Hat er nicht die größte Wahlkampfkasse der Geschichte und ein Aufgebot an engagierten Bürgern hinter sich? Auf den Straßen und Märkten größerer Städte der Westküste stehen Obama-Anhänger hinter Ständen mit Obama-Utensilien, in Einkaufsläden und Kneipen hängt das Logo seiner Kampagne im Schaufenster und Wahlhelfer sprechen Menschen auf der Straße an und versuchen es mit direkter Überzeugungsarbeit.

Change we can believe in?

Doch so charismatisch und redegewandt, kritisch und bescheiden sich Barack Obama auch gibt, so ist er der Newcomer, den keiner richtig kennt und einzuschätzen vermag und der deshalb auch mit einem generellen Misstrauen in seine Fähigkeiten zu kämpfen hat. Die Zweifel, die Macht eines Landes an eine unetablierte Persönlichkeit fernab des gewöhnlich elitären politischen Establishments zu geben, scheinen durchaus auch bei jungen Leute ein großes Risiko dar zu stellen. Auch dann, wenn die Alternative John McCain keine Wahlalternative ist.

Neben diesen generellen Zweifeln ist mir selbst im Nordwesten der Vereinigten Staaten, der einen recht aufgeklärten und liberalen Ruf genießt, vor allen in den Generationen „50+“ oft noch ein subtiler Rassismus aufgefallen. Dieser äußert sich im alltäglichen Leben meist gegenüber den in den USA lebenden Mexikanern. Doch Obama aufgrund der Hautfarbe nicht zu wählen, ist in vielen Köpfen eine klare Prinzipienfrage. Ich möchte nicht wissen, wie dieser Umstand die Wahlentscheidung statistisch gesehen im Süden der Vereinigten Staaten beeinflusst.

Neben diesen Positionen spielen in den USA aber auch christliche Überzeugungen und Bekenntnisse eine immense Rolle für einen riesigen Block an Wählern, den so genannten Evangelikalen und radikalen Christen, welche die vergangenen acht Jahre durch ihren getreuen Anhänger George W. Bush offiziell bestens vertreten wurden. Diese prägen im ganzen Land unheimlich viele Menschen, welche eine Empfehlung ihrer Kirche und ein Glaubensbekenntnis eines Kandidaten in Gott und vor allem die Auslegung der Bibel jeglichen politischen Hintergründen vorziehen und in öffentlichen Debatten vor allem um ethische Standpunkte klare Bekenntnisse fordern.
Besonders das Thema Abtreibung scheint teilweise wahlkampf-entscheidendere Züge anzunehmen als der Irakkrieg. Die Prüderie der amerikanischen Gesellschaft, die auch heute durchaus noch Kreationismus als Schulfach der sexuellen Aufklärung vorzieht, beschert immens hohe Abtreibungsraten im frühen jugendlichen Alter.

Country first!

Abgesehen von der Stammwählerschaft der Republikaner steht McCain gegenüber dem Newcomer Obama für eine Art Sicherheit. Nicht im wirtschaftlichen Sinne, nicht was Reformen angeht und auch nicht was außenpolitische Herausforderungen nach der Bush-Ära angeht. Die Rolle, die McCain innehat und wofür sich ihm etliche Leute anvertrauen, ist die eines älteren ehrbaren Mannes, der für sein Wort steht und nach gutem Gewissen und mit Gottes Hilfe sein Leben bestritten hat und so auch seinen Weg als Präsident gehen wird.
Hierbei überzeugt und beeindruckt vor allem viele Leute seine Vergangenheit als Soldat und Kriegsgefangener in Vietnam. Vielen Menschen scheint es überhaupt nicht wichtig zu sein, ob John McCain den politischen Herausforderungen gerecht werden kann und im Sinne nötiger Änderungen adäquat entgegen treten wird – er wird nach bestem Gewissen handeln. Wer nichts von Politik versteht oder nichts verstehen will und wer vor allem Obama nicht versteht, weil dieser politische Themen rational und analytisch, und nicht moralisch bewertet und beurteilt, der wird McCain wählen. Obama ist nicht nur der Newcomer, über dessen Regierungsstil man ungewiss ist, er verlangt auch zu viel Neues. Zu viel Wechsel. Zu viel Kritik.

The Audacity of Hope

Bis Ende September versuchte Barack Obama, mit zahlreichen Zugeständnissen auf allen Seiten seiner politischen Gegner Zugeständnisse und Anreize in seine Person und Politik zu geben. Die Angst der Demokraten, in der „Mitte“ der Wählerschaft mit radikaler und detaillierter formulierten Positionen nicht Punkten zu können, ist groß. Dieses verärgerte jedoch nicht nur kritische Gruppierungen und „wütendere“ junge Erwachsene, sondern verunsicherte meiner Meinung nach auch in großem Ausmaß durch Anzeichen von Beliebigkeit eben jene Wähler, die erreicht werden sollten. Dieses bescherte McCain etliche Pluspunkte in Prognosen und lies ihn Prozentual fast mit Obama gleich ziehen.

Wagen wir zu hoffen, dass Sarah Palin noch den ein oder anderen Skandal verursacht.


Dieser Text ist das Resümee zahlreicher persönlicher Gespräche. Der Autor war jüngst sechs Wochen im Nordwesten der USa unterwegs.
   









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