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Das Bedingungslose Grundeinkommen - Teil 1
WIRTSCHAFT | HINTERGRÜNDLICH (15.05.2007)
Von Jan Hendrik Matthey
Eine Idee, die nicht nur ein bestehendes Wirtschafts-, Steuer- und Sozialsystem, sondern die Mentalität einer ganzen Gesellschaft ändern will, soll den Titel „Utopie“ nicht ohne Grund zugewiesen bekommen.

Deutschland im Aufschwung! Diese Nachricht bescherte uns in den letzten Wochen durch alle öffentlichen Medien viel Freude. Auf einmal ist der staatliche Geldbeutel wieder gefüllt, man denkt ans Sparen, ans Investieren noch viel mehr, und kann es sich zudem sogar erlauben für knapp 100 Millionen Euro ein paar befreundete Staatschefs zu einem gemütlichen Treffen an die Ostsee einzuladen. Die durch ein internationales Großereignis im Sommer 2006 in vielen Bereichen verfälschten Finanzstatistiken und temporär fallende Arbeitslosenzahlen ermöglichen es der Politik in öffentlichen Debatten den Blick von den wirklich wichtigen und nötigen grundlegenden Reformen des Gesundheits- und Rentensystems auf eine so oft titulierte utopische Vorstellung zu lenken: Dem „Bedingungslosen Grundeinkommen“.
Was jedoch ist dieses Gespinst, welches das Heilmittel allen Übels sein soll? Was ist das für eine Theorie, welche auf einen Schlag die Arbeitslosenquote auf Null senken, den Generationenvertrag überflüssig machen, das Finanz- und Steuerwesen Deutschlands revolutionieren, und der Gesellschaft eine neue, eine bessere Mentalität aufdrücken soll?

Ein Grund für die Zukunft: das Grundeinkommen

Der schwierigen Umsetzung, welche die Theorie zu einer Utopie stigmatisiert, steht ein relativ schnell erläutertes Prinzip gegenüber: Jedem Bürger steht jeden Monat von der Wiege bis zum Grabe ein fester Betrag zu, welcher ihm bedingungslos ausgezahlt wird. Je nach Konzept soll sich dieser Betrag auf 800 bis 1500 Euro belaufen. Zu diesem Betrag kann uneingeschränkt und nach persönlichem Interesse beliebig viel Geld hinzuverdient werden.
Mit der Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens würden zeitgleich alle weiteren Sozialleistungen des Staates wegfallen. Arbeitslosenversicherung, Kindergeld, Bafög, Rentenversicherung werden mit einem Schlag überflüssig. Tarifverträge sind individuell gestaltbar. Studium, Weiterbildung und Jobs können sich je nach Angebot und Muße ausgesucht werden – der persönlichen Selbstverwirklichung entsprechend.
Die Finanzierung läuft neben den Einsparungen aus den wegfallenden Sozialleistungen und damit einhergehenden Verwaltungskosten nur noch über eine Konsumsteuer - angepasst an das Konsumverhalten unserer heutigen Produktionsgesellschaft - welche bei 50 Prozent liegen würde. Alle anderen Steuern würden komplett wegfallen, wie auch die Lohnnebenkosten. So soll ein stabiles Preisniveau gleich dem heutigen garantiert werden. Der Markt würde komplett durch Wettbewerb bestimmt werden und verzerrende Einflüsse durch Steuern der Vergangenheit angehören.

Arbeit [althochdeutsch Ar(a)beit »Mühe«, »Plage«] :bewusstes, zielgerichtetes Handeln des Menschen zum Zweck der Existenzsicherung wie der Befriedigung von Einzelbedürfnissen; zugleich wesentliches Moment der Daseinserfüllung. [Definition gemäß Duden]

Der wichtigste Punkt der anthroposophisch geprägten Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens (Bsp.: Götz Werner) ist vor allem der Mentalitätenwechsel, der sich mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in einer Gesellschaft vollziehen wird. Die Menschen wären frei in der Wahl und der Ausgestaltung ihrer Tätigkeiten. Das ihnen zustehende monatliche Geld wird als „kulturelles Minimum“ angesehen, welches sich schon allein vom Namen her ganz distinkt vom aktuellen Existenzminimum abgrenzt. Das kulturelle Minimum soll bewusst auch mehr sein als nur ein Existenzminimum. Es soll den Menschen die Chance ermöglichen, am gesellschaftlichen Leben Teil zu haben und es darüber hinaus durch individuelles Engagement weiter zu prägen und zu gestalten. Arbeit soll nicht mehr länger als purer Zweck der Existenzsicherung, sondern als wesentliches Moment der individuellen Daseinserfüllung geprägt werden.

Vollbeschäftigung: Abschaffen!

Das so oft postulierte ideelle Ziel der Vollbeschäftigung einer Gesellschaft, welches im Zuge der wachsenden Automatisierungsprozesse sowie der durch die Globalisierung bedingten Verlegung von Arbeitsplätzen in Niedriglohngebiete rund um den Globus schon seit langem in weite Ferne gerückt ist, wäre hinfällig. Die ethisch verwerflichen Methoden einzelner Parteien, dieses zu erreichen, sei hier zudem einmal grundlegend in Frage gestellt. Hier ist vor allem die ursprüngliche Hartz-IV-Reform zu nennen, welche erst in einem erschreckend späten Stadium verworfen wurde und auch nur bedingt an die politische Öffentlichkeit gekommen ist. Diese sollte nach neoklassischem Muster eine Vollbeschäftigung erzwingen, indem Arbeitslose in einem so hohen Maße unterbezahlt werden konnten, dass ihre Arbeitskraft für den Unternehmer schon wieder attraktiv erscheint.
Ganz so weit hergeholt scheinen entsprechende Äußerungen namhafter Vertreter des bedingungslosen Grundeinkommens, Hartz-IV sei offener Strafvollzug, durchaus nicht. Ob die Höhe des so genannten „Existenzminimums“ in der jetzigen Form adäquat berechnet ist oder nicht, soll vollkommen außen vor gelassen werden. Fest steht jedenfalls, dass dem Hartz-IV-Empfänger gesellschaftlich und psychisch der Status eines Überflüssigen, dem System zur Last Fallenden oktroyiert wird, welches durch das bedingungslose Grundeinkommen eliminiert werden würde.
Zusätzlich besteht für jeden Empfänger des bedingungslosen Grundeinkommens die Möglichkeit, nach seinen individuellen Interessen und Ansprüchen beliebig einen oder mehrere Jobs zu ergreifen und entsprechend hinzu zu verdienen – nach oben sind hierbei keine Grenzen gesetzt, nach unten jeder versorgt. Hierfür können Verträge individuell und flexibel ausgehandelt werden, wie es in unsrigen Wirtschaftssystemen entsprechend schon in eingeschränkter Form vollzogen wird (Bsp.: Dänemark).
Weniger attraktive Jobs müssten infolgedessen einer besseren Bezahlung ausgesetzt werden. In vielen Fällen jedoch würden sie schlicht und ergreifend gemäß dem technischen Fortschritt ganz automatisiert werden.

Sozialleistungen: Abschaffen!

Dass im Zuge der Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens eine Arbeitslosenversicherung überflüssig wird, ist augenscheinlich. Mit diesem Wechsel fallen Verwaltungs- und Vermittlungskosten weg. Nicht zu unterschätzen wären natürlich die Auswirkungen, welche das bedingungslose Grundeinkommen auf die aktuelle Situation der Renten hätte. Bei immer weiter sinkenden Geburtsraten, nebst gleichzeitig sinkender Zahl an Erwerbstätigen und steigender Anzahl an Arbeitslosen ist der Abschluss einer privaten Rentenversicherung schon jetzt fast Standard. Fakt ist, dass sich diese Art der sozialen Abfederung finanziell langfristig nicht halten können wird, die Politik sich jedoch weiterhin aus wahlpolitischen Gründen vor Reformen mit drastischen Umgestaltungen und/oder Einschnitten fürchtet. Bei einem bedingungslosen Grundeinkommen würde zudem der zu erwägende monatliche Betrag schon heute über dem der bundesdurchschnittlichen Rente von ungefähr 900 Euro liegen.
Auch die Gesundheitsreform würde mit ihren gerade beschlossenen Änderungen ebenso hinfällig werden. Die aktuelle Reformversion versucht auf dem Rücken der Ärzte die steigenden Kosten für einen weiteren Moment zu kompensieren und stabil zu halten. Es läuft aber ebenso Gefahr wie das derzeitige Rentensystem, gegen die Wand zu fahren. Mit einem Grundeinkommen ist der Mensch in der Lage, entweder eine der derzeitig angebotenen staatlichen Versicherungen entsprechende Gesundheitsvorsorge abzuschließen oder aber je nach Priorität seine Versicherung wie bei derzeitigen Handytarifen je nach Bedürfnis im S-,M-, oder L-Paket zu wählen.
Weitere Zahlungen, wie die des Kindergeldes oder aber staatliche Ausbildungsförderungsprogramme würden, wie bereits oben angedeutet, überflüssig werden und somit einfach wegfallen.

Steuern: Abschaffen!

Die Finanzierung eines solchen Systems scheint enorme Anforderungen an unser Wirtschaftssystem zu stellen. Tatsache ist jedoch, dass allein durch eine Umverteilung „pro Kopf pro Monat“ der heute jährlich ausgezahlten Sozialleistung, denen keine direkte Gegenleistung entgegengebracht wird, ein monatliches Grundeinkommen von 800 Euro bereits möglich wäre [1]. Die Finanzierung eines solchen Modells soll zudem zeitgleich mit einer kompletten Reform und Vereinfachung des deutschen Steuerwesens einhergehen. (Derzeit haben weltweit 60 Prozent der Literatur über Steuern das deutsche Steuerwesen zum Inhalt.)
Mit Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens soll es nur noch eine an den Konsum gebundene Konsumsteuer geben, welche nach idealisierten Hochrechnungen und Postulaten der Vertreter des bedingungslosen Grundeinkommens auf 50 Prozent erhoben werden soll. Alle anderen Steuern würden überflüssig werden, da sich jegliche Transaktionen in unserer Gesellschaft immer auf den Konsum auswirken. Unternehmer-, Erbschafts-, und Einkommenssteuer wären nichtig. Sozial gerecht wäre dies obendrein zu begründen, denn wer mehr Geld besitzt, kann und will auch mehr konsumieren. Wer mehr konsumiert, wird automatisch auch mehr Steuern bezahlen.
Der Standort Deutschland wäre in diesem Beispiel doppelt gestärkt: Unternehmen können sich zu billigen Konditionen niederlassen und individuell Verträge mit Arbeitern abschließen. Jegliche aufwendigen Lohn-Nebenkosten-Zahlungen würden hinfällig werden.
Nicht zu verkennen ist auch die Wirkung, die die bisherigen Steuern auf den Preis des Endprodukts haben. Bei einer geringeren Besteuerung der Unternehmen wird es zu einer Senkung der Produktionskosten kommen, welche durch die relativ hohe Konsumsteuer wieder aufgefangen werden würde. Diese würde somit die Preise der Endprodukte nicht über das heutige Niveau steigen lassen. Der Preis der Endprodukte würde sich nur noch aus dem Nettopreis, welcher sich aus dem Mitarbeitereinkommen und den vorfinanzierten Leistungen und reinvestierten Gewinnen zusammensetzt, und der Konsumsteuer ergeben.

Im zweiten Teil der Analyse zum bedingungslosen Grundeinkommen wird sich der Autor in der nächsten iley-Ausgabe mit der Kritik an diesem Modell auseinander setzen.

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[1] http://www.unternimm-die-zukunft.de/index...=54#4
Das gesamte Sozialbudget Deutschlands lag im Jahr 2005 bei 717 Milliarden Euro (Quelle: http://www.nachdenkseiten.de/?p=2335). Aufgeschlüsselt kommt man auf ungefähr 800€.
   









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