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Ode an die unbekannte Gleichung
KULTUR | GEDANKENVERSUNKEN (03.03.2009)
Von Katharina Nocun
Der Mathematik liegen logisches Denken und rationales Rechnen zugrunde. Doch was, wenn Mathematiker sich verlieben? Wie bestimmen sie, was Liebe ist? Ein ganz persönliches Rechenbeispiel:

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(c) iley.de

Du bist mein externer Effekt. Denn wenn ich mein Leben betrachte, finde ich dich nirgends wieder, weder in meiner Kosten- noch in meiner Nutzenfunktion. Wenn wir uns sehen, merke ich ein jedes Mal aufs Neue, wie weit wir eigentlich von einander entfernt sind. Wie sehr deine Existenz, oder besser gesagt deine Variable auf mich zurückwirkt, wie wenig es andersherum ist. Und doch scheint mir da dieser Zusammenhang zu existieren, außerhalb meiner Lebensgerade, meiner kleinen privaten Gleichung des in sich logischen und effizienten Daseins.
Wenn ich mich nachts in den Schlaf rechne, versuche ich ein jedes mal dich mit einzubeziehen, in meine kleine Formelsammlung zur Bewältigung der Irrationalität dieser unserer Realität. Ich habe eigens für dich eine neue Variable eingeführt. Deren numerische Werte variieren zwar im Zeitablauf, je nach gefühltem Effekt von dir auf mich, je nach wahrgenommener Interdependenz zwischen deinem und meinem Handeln. Und doch, die Variable bleibt in ihrer Existenz, wenn schon nicht in ihrer Konsistenz beständig. Manchmal ordne ich dir gar einen Exponenten zu, meist dann, wenn ich mich gerade in einer besonders optimistischen Phase befinde.

Du merkst nicht, wie sehr mich dein außerhalb meiner geraden Lebensführung Stehen beschäftigt, mich einschränkt, mir die Kontrolle nimmt, mich hilflos zurück lässt. Rechnend. Ewig in diese eine Gleichung vertieft. Diese eine, unbekannte Variable. Diese Lücke im Definitionsbereich. Es ist wie ein ständiges Jucken, welches Auszublenden ich nicht in der Lage bin. Ich habe mittlerweile eine Taste meines Taschenrechners nach dir benannt. Es ist abwechselnd die eulersche Zahl und Pi. Die unendlichen, die irrationalen, die nicht zu benennenden, die Eissplitter im Herzen eines jeden Mathematikers. Wenn ich versuche dich abzuleiten, um den optimalen Punkt einer Interaktion zu berechnen, scheitere ich jedes mal aufs Neue. Und fange wieder von vorne an zu optimieren, deinen Umfang zu berechnen. Es schmerzt mich, jeden Tag periodisch an dich zu denken. Das Wissen, dass ich ein Leben lang rechnen müsste, um deine Wirkung auf mich korrekt erfassen zu können, bringt mich um das bisschen Verstand, welches mir nach all dem Rechnen noch geblieben ist. Warum nur kann ich dich nicht internalisieren, in meine Gleichung integrieren?

Das Problem in meiner alltäglichen kleinen empirischen Welt bleibt, wie ich dich messen soll, jetzt, da du nicht da bist. Wie soll ich deinen Wert effektiv einschätzen, wenn die empirische Umfrage vor dem zu Bett gehen ein jedes Mal abweichende Werte zu fabrizieren pflegt? Was du mir wert bist, werde ich wohl daher erst ex post sagen können, wenn die Informationsmängel beseitigt sind, wenn wir Variablen der selben Gleichung sind, auch in deiner Kalkulationstabelle. Wenn man unsere Gleichungen gleichsetzen können wird. Irgendwann. Und doch sagt Popper, dass der Grundsatz einer jeden wissenschaftlichen Herangehensweise das Unvermögen ist, etwas endgültig zu Verifizieren. Selbst wenn ich die Gleichung einmal aufstellen können werde, wird meine Beschäftigung sich der Möglichkeit zuwenden, dass jederzeit eine Falsifizierung, ein Gegenbeweis meiner These eintreten kann. Diese Unsicherheit raubt mir jede Fähigkeit zum logischen Denken.
Ich hoffe immer noch trotz allem auf einen möglichst hohen Exponenten, so sind wir Mathematiker nun einmal. Träumer. Unsere Funktion ist keine gewöhnliche, das merke ich wohl, jeglicher Abweichung zum Trotz, jede Nacht aufs Neue, während ich mich sanft in den Schlaf rechne und von einer Welt träume, in der alle Gleichungen lösbar sind.
3. März 2009
   






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