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Macht Sarko zu viel?
POLITIK | EUROPA (15.01.2008)
Von Erik Schuchort
Nach anfänglichen Erfolgen sind die Reformen ins Stocken geraten. Um die deutsch-französische Beziehungen steht es auch nicht zum Besten. Eine erste Bilanz des politischen Schaffens des neuen Präsidenten.

EU

Nicholas Sarkozy. (c) EU

Er ist überall. Zu allem hat er eine Meinung, mischt sich in alles ein und will alles kontrollieren. Jeden Tag gibt er neue Ideen bekannt, kündigt Reformen an, geht auf Zusammentreffen von Streikenden oder Berufsfischern, joggt durch den Park Bois de Boulogne fast immer von Kammeraschwärmen und Mikrophonen umringt. "Speedy Sarko", wie die Franzosen ihren agilen Präsidenten nennen, erscheint regelmäßig auf den Titelseiten von Zeitungsmagazinen und Fernsehnachrichten. So häufig, dass eine Bürgerinitiative eine Petition unter dem Titel: "Einen Tag ohne Sarkozy in den Medien" startete. Viele Franzosen empfinden den Medienrummel unerträglich. "Ein einziger Wirbel, indem sich Reform-Ansätze mit Tratschorgien jagen." so nannte ein Journalist des französichen Nachrichten-Magazins,
"Nouvel Observateur", die derzeitige Sarkofolie. Seitdem der Hochzeitstermin mit der italienischen Sängerin, Carla Bruni, für Anfang Februar feststeht, beherrscht der französische Staatspräsident selbst die Titelseiten der Regenbogenpresse gemeinsam mit seiner Ex-Frau Cecilia und der Journalistin Anna Bitton, die mit ihrem Enthüllungsbuch über das einstige Paar ein Vermögen macht.

Les temps ont changé

Während Vorgänger Jacques Chirac einst durch seine Abwesenheit und Passivität brillierte, stellt sich Nicholas Sarkozy in den Mittelpunkt des Medieninteresses wie kein Präsident vor ihm. Die ersten Monate seiner Amtszeit haben ihm den Titel: Monsieur Omnipräsent eingebracht. Sein Aktivismus ist weit davon entfernt, breite Zustimmung im Land zu finden. Für seine Gegner ist er lediglich jemand, der viel Wind macht. Diese Kritik ist hart, jedoch nicht unbegründet. Nicholas Sarkozy hat sich nämlich in zahlreiche Projekte gestürzt, in einer Art und Weise, dass Opposition und Gewerkschaften nicht mehr wissen, wo ihnen der Kopf steht. Am Anfang hatte sich diese Methode ausgezahlt: mehrere Reformen sind durchgegangen. Ohne große Schwierigkeiten. Seit Sommer türmen sich dicke Wolken über dem Elysée-Palast. Nicholas Sarkozy musste einige Reformen vertagen oder gar einen Rückzieher machen. Die Universitäten in ihrem Autonomiebestreben zu unterstützen, wurde nicht bis zum Ende durchgeführt, die Verwaltungsreform gar auf den Sankt-Nimmerleinstag verschoben; was die Neuregulierung des Arbeitsmarkts betrifft, wurde zumindest bisher auch nicht mehr hervorgebracht als einige kleine Maßnahmen.

Acht Monate nach der Präsidentschaftswahl sieht es für die Grande Nation nicht rosig aus: soziale Forderungen und neuangekündigte Streiks, enttäuschte Erwartungen, wieder ansteigende Arbeitslosigkeit. Jeder vierte unter 25-Jährige findet keinen Job. Seit 20 Jahren liegt die Jugendarbeitslosikeit in Frankreich zwischen 20 und 25 Prozent. Der Staatschef sieht seine Popularität seit mehreren Wochen sinken. Das hat nichts Überraschendes, die Schonfrist konnte nicht ewig andauern. Der Rückschlag hätte aber noch härter verlaufen können, denn der Sohn einer ungarischen Kleinadelsfamilie hatte starke Erwartungen unter den Wählern geweckt. Die derzeitig schwierige Periode bietet Gelegenheit, eine erste Bilanz zu ziehen - der Präsidentschaft Nicholas Sarkozys und seiner Reformen.

Eine durchwachsene Bilanz

Kaufkraft: Der Präsident hatte vor dem Erhöhen der Kaufkraft eine Steuersenkung versprochen. Im Prinzip hat er sein Versprechen gehalten: Seit dem ersten Oktober sind Überstunden steuerbefreit. Diese Maßnahme ist die konkrete Umsetzung des Lieblingsslogans Nicholas Sarkozys: Mehr arbeiten und mehr verdienen. Die Arbeitnehmer prangern die Komplexität der Unterlagen an. Noch lassen die positiven Effekte dieser kostenintensiven Neuerung (sechs Milliarden Euro) auf sich warten. Die Preisexplosion des Öls und der Lebensmittel lastet mehr und mehr auf der Stimmung der Konsumenten. Die Senkung der Kaufkraft bleibt die erste Sorge der Franzosen.

Wachstum - die persönliche Hauptsorge Nicholas Sarkozys. Am Tag nach den Wahlen hatte die Regierung noch 2,5 Prozent Wachstum des Bruttoinlandprodukts prophezeit. Die Realität sieht anders aus: 1,8 Prozent im vergangenen Jahr, was die Franzosen zu einem der schlechtesten Schüler Europas machte (Deutschland: 2,6 Prozent). Deshalb ist der Präsident nun zu allem bereit, die Wirtschaft anzukurbeln. Es ist davon die Rede, französischen Betrieben auf die Sprünge zu helfen, ihre Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ausländischen Firmen zu stärken. Diese Maßnahmen sind teuer und die Staatsfinanzen lassen im Prinzip keinen großen Handlungsspielraum.

Defizit: Ende September vergangenen Jahres hatte Regierungschef François Fillon einen Proteststurm provoziert, als er erklärte, dass er an der Spitze eines Staates stehe, der sich im Konkurs befände. Diese Diagnose ist übertrieben, wobei eingeräumt werden muss, dass der Staat seit 30 Jahren über seinen Mitteln wirtschaftet. Die Staatsschulden werden auf 66,6 Prozent des Bruttoinlandproduktes geschätzt, während die Rückzahlungsanleihen im letzten Jahr allein 42 Milliarden Euro verschlangen. Das Außenhandelsdefizit beläuft sich auf 30 Milliarden Euro und das riesige Finanzloch der staatlichen Sozial- und Krankenversicherung wird auf 11,7 Milliarden Euro geschätzt. Die Schulden die auf jedem Franzosen lasten, belaufen sich auf 18.000 Euro. Schwindelerregende Zahlen!

Staatsreform

Es gibt zwei Möglichkeiten das Defizit zu bekämpfen: Einnahmen erhöhen oder Ausgaben senken. Nicholas Sarkozy hat erst die Steuern gesenkt, und es sieht nicht danach aus, als wolle er diese Entscheidung rückgängig machen. Es geht also darum, die Staatsausgaben zu senken, was unpopuläre Entscheidungen mit sich bringen dürfte. Von der Zusammenlegung einiger Staatsinstitutionen abgesehen und einer Reform der Rentensysteme, will der Staatspräsident Millionen Beamten eine kulturelle Revolution aufdrängen. Er hat eine Reduzierung der Beamten eingeleitet und peilt an, nur noch einen von zwei Beamten nach deren Rücktritt zu ersetzen. Der Wegfall von 22 800 Arbeitsplätzen im Jahr 2008 hat verständlicherweise die Gewerkschaften in Rage versetzt. Ähnlich rigoros will der französische Staatspräsident in der Einwanderungspolitik inzwischen schlicht "Ausschaffungspolitik" genannt verfahren: 25 000 "Sans-Papiers" (Menschen ohne Aufenthaltsgenemigungen) sollen von nun an pro Jahr ausgewiesen werden.

Wenn es auch noch zu früh ist, eine Sache ist sicher: Er hat aus französischer Sicht das Präsidentschaftsamt neu erfunden. Unterlagen durchkämmt er auf eigene Faust, schon fast selbstherrlich. An ihm führt kein Weg vorbei. Seine Minister verweist er nahezu auf eine Statistenrolle. Premier François Fillon wird von den Briten bereits als "Mister Nobody" verspottet. In der Geschichte der fünften Republik begnügten sich die Präsidenten im Allgemeinen damit, als Schlichter im politischen Alltag zu fungieren. De Gaulle, Mitterand, oder Chirac haben immer einen gewissen Abstand zum Volk gehegt, ihre Regierungschefs dienten oft als Blitzableiter. Nicholas Sarkozy legt einen völlig neunen Stil an den Tag. Aber Achtung: Wenn es hart auf hart kommt, wird er der einzige Verantwortliche sein!

Sarko, Deutschland und Europa

Deutschland. Kurz nach der Einführung in seine neuen Aufgaben begab sich der französische Staatspräsident am 16. Mai 2007 auf seine erste Amtsreise nach Deutschland, wo er feierlich erklärte, dass die deutsch-französische Freundschaft heilig sei und durch nichts in Frage gestellt werden könne. Das Temperament Nicholas Sarkozys, der auf die Deutschen etwas überdreht wirkt, geht den Deutschen ernsthaft auf die Nerven. Zudem hat er sich aus deutscher Sicht einige diplomatische Schnitzer geleistet: Er hat der Leitung des Internationalen Währungsfonds (IWF) einen französischen Kandidaten vorgestellt, ohne Angela Merkel davon ein Wörtchen mitzuteilen, Außenminister Frank Walter Steinmeier in der Affäre um die bulgarische Krankenschwestern die Schau gestohlen und seine Partner in gemeinschaftlichen Wirtschaftsahngelegenheiten (EADS und AREVA-Siemens betreffend) vor vollendete Tatsachen gestellt. Und das sind nur einige Beispiele! Seinerseits hat Nicholas Sarkozy etwas gegen Peer Steinbrück, den deutschen Finanzminister, der es wagte, ihn öffentlich für seine "verteilten Steuergeschenke an die Wähler" am Rande einer Sitzung in Brüssel zu kritisieren. Der französische Staatspräsident hat es nicht vergessen.

Europa. Während der Wahlkampagne hatte der Kandidat Sarkozy die Idee eines europäischen "Minivertrages" verteidigt, um nach dem "Nein" der Holländer und Franzosen von 2005 die begrabene europäische Verfassung zu ersetzen. Das europäische Gipfeltreffen in Brüssel, am 21. und 22. Juni 2007, gab ihm Gelegenheit, sein Wahlversprechen zu halten. Der französische Staatschef hatte mit allen Mitteln versucht, den polnischen Präsidenten Lech Kaczynski
zu überzeugen, der ein allerletztes Ultimatum erhielt, den Text der deutschen Präsidentschaft in letzter Minute zu akzeptieren. Dieser vereinfachte Gesetzestext soll in den kommenden Wochen vom französischen Parlament abgezeichnet werden. Dieses Mal ist kein Referendum erforderlich.

Man könnte noch viel erzählen. Eines noch - es wird geraunt, dass Staatspräsident Sarkozy versucht, deutsche Oberklasse-Automobilhersteller auf dem Markt auszubremsen, um französischen Kleinwagen unter dem Deckmantel des Klimawandels eine Pole-Position zu sichern. Hat man hierfür Worte?
   




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