Zur aktuellen Ausgabe    
   
 
   
Kampf um öffentliche Räume
GESELLSCHAFT | ERFAHRUNGSBERICHT (06.07.2012)
Von Christian Sigrist †
Unser Autor Christian Sigrist hat gelernt, wie wichtig öffentliche, insbesondere universitäre Räume für Diskussionen sind. Als Hochschullehrer hat er auch erfahren, wie sehr um diese Räume gekämpft wird. Nicht nur einmal hat man versucht, ihn mit Verboten zu belegen.

Im Mai 1965 wurde eine Podiumsdiskussion mit Prof. von Friedeburg, Krämer-Badoni und Erich Kuby an der Freien Universität Berlin vom damaligen Rektor Hans-Jochen Lieber verboten. Man kann das als den institutionellen Beginn der westdeutschen Studentenbewegung bezeichnen. Kuby hatte seit 1958 Redeverbot in der FU wegen einer Kritik an ihrem Anspruch, eine „freie“ Universität im Unterschied zur Humboldt-Universität in Ostberlin zu sein. Die Veranstaltung wurde ins Studentenhaus der TU verlegt. In diesem Zusammenhang kam es zur Entlassung von Dr. Ekkehart Krippendorff, Assistent am Otto-Suhr-Institut, wegen seiner öffentliche Kritik am Rektor. Der Konflikt endete in einem Habilitationsstipendium für Krippendorff. Ich verfolgte diese Auseinandersetzung mit besonderem Interesse, weil ich Krippendorff aus Freiburger Studentenzeiten kannte.

Im gleichen Jahr kam es in Kabul zu einer verhängnisvollen Konfrontation nach dem Ausschluss der Öffentlichkeit während der ersten Sitzungsphase des neu gewählten afghanischen Unterhauses. Das Parlament beschloss am 19. Oktober 1965, dass Premier Dr. Yussuf vor einer Vertrauensabstimmung die Vermögensverhältnisse der Kabinettsmitglieder offenlegen soll. Am 24. Oktober wurde dieses Verfahren unterbrochen, nachdem Leute aus dem Publikum Sitze von Deputierten besetzt hatten und sich weigerten, den Saal zu verlassen. Am 25. Oktober beschloss das Unterhaus, die Abstimmung in geheimer Sitzung vorzunehmen. Nach dem Ausschluss der Öffentlichkeit kam es zu einer Demonstration, bei der zwölf Demonstranten erschossen wurden. Trotz Billigung der Kabinettsliste trat Yussuf kurz darauf wegen der anhaltenden studentischen Proteste zurück. Damit war die vom König durchgesetzte neue Verfassung gescheitert. Die Korruptionsvorwürfe richteten sich auch gegen deutsche Konzerne.

Ort für Diskussionen, die anderswo ausbleiben

Von diesem Ereignis erfuhr ich erst ein Jahr später, als ich die Auseinandersetzungen auf dem Campus der Universität unmittelbar beobachtete. Vorlesungsboykotte und Tumulte auf dem Campus waren noch immer noch an der Tagesordnung. Im Parlament wurden kommunistische Abgeordnete, unter ihnen auch eine Ärztin, von Reaktionären tätlich angegriffen. Ich lernte dabei, dass Universitäten wichtige Chancen für Diskussionen bieten, gerade wenn diese in anderen Bereichen weitgehend kaum geführt werden können.
Diese Erfahrung brachte ich im Wintersemester 1967/68 in eine öffentliche Diskussion an der Universität Freiburg ein, wo ich auf die Vorzüge akademischer Räume im Vergleich zu den strukturell eingeengten Möglichkeiten in der „formierten Gesellschaft“ hinwies.

Nach dem Attentat auf Rudi Dutschke nahm ich an der Blockade der BILD-Auslieferung in Esslingen teil. (Die gleichen Wasserwerfer der Polizei kamen auch auch bei der Konfrontation um S21 zum Einsatz.) Auf dem vom AStA Freiburg organisierten teach-in zu dieser Blockade sagte ich, dass Mahatma Gandhi und nicht Mao Zedong in diesen Auseinandersetzungen zur Orientierung dienen sollte. Gleichwohl kam es zu einer Strafanzeige gegen mich wegen Aufrufs zum Landfriedensbruch und zu einem Antrag auf Eröffnung eines Disziplinarverfahrens, dem allerdings nicht gefolgt wurde.

Uni will Veranstaltung verbieten

In Münster wurde ich 1974, zwei Jahre nach meiner Berufung, früh morgens vom Leiter der Uni-Verwaltung darüber informiert, dass eine Veranstaltung mit mir in der Universität verboten worden sei. Es ging um meinen Bericht über die polizeiliche Räumung des Arbeitsgerichts Duisburg – anlässlich der Klage eines Betriebsrats und KPD/ML-Mitglieds gegen seine Kündigung – und die ungeklärte Todesursache des Frührentners Günter Routhier.
Bei der Beerdigung Routhiers konnte nur ein Teil der Trauernden sich auf den Friedhof durchkämpfen. Ringsum hatte der BGS den Zugang auch mit MGs abgesperrt. Während der geamten Beerdigung kreiste ein Hubschrauber über dem Friedhof – makabere Erinnerung an einen gleichen Frevel anlässlich der in Prag stattfindenden Beerdigung des Studenten Jan Palach, der sich aus Protest gegen die Besetzung seines Landes durch Truppen des Warschauer Pakts selbst verbrannt hatte.
Ich ließ mich am gleichen Abend aus einer Sitzung von einem der Veranstalter abholen, der mir versicherte, der Raum dürfte nun doch benutzt werden. Danach wurde ich vom Rektorat zu einer dienstlichen Stellungnahme aufgefordert – meine „Einlassungen“ ließen sich allerdings nicht widerlegen.

Streiks und teach-ins

Der Versuch, einen Absolventen unseres Instituts, dessen Verbeamtung wegen Berufsverbots verweigert wurde, mit Lehraufträgen zu unterstützen, wurde damit beantwortet, dass ich vom Rektor per Boten verpflichtet wurde, jede Tätigkeit unseres Soziologen nicht nur in Seminarräumen, sondern auch auf Treppen, Gängen etc. zu unterbinden.
Kampagnen gegen Berufsverbote und gegen Raketenrüstung führten in einigen Fachbereichen der Universität Münster zu wochenlangen Blockaden des Unibetriebs durch „Streiks“ und teach-ins. Dabei wurden auch gegen den Willen lernwilliger Studierender Vorlesungsorte okkupiert. Die Wahl des Rektors Müller-Warmuth (1978) durch den Konvent geschah in einem großen Zelt, dessen Zugang der Öffentlichkeit durch ein großes Polizeiaufgebot verwehrt wurde.

1982 fand in Münster ein internationaler Kongress gegen die US-Intervention in Mittelamerika statt. Ich hatte die mietfreie Überlassung für den auf hohem wissensschaftlichen Niveau organisierten Kongress beantragt. Die hohe Zahl der Teilnehmer (ca. 1.400) und prominente Redner wie Eduardo Galeano weckten ein großes Medieninteresse bis hin zu einem FAZ-Interview mit mir. Eine besondere Provokation war die Aktivität eines „Piratensenders“, den die Bereitschaftspolizei ausheben wollte. Angesichts der Gegenwehr von ca. 800 Teilnehmern trat die Truppe den Rückzug an. Die Lokalpresse tobte und die NRW-CDU setzte eine Anfrage im Landtag durch. Das Rektorat forderte mich zu einer dienstlichen Stellungnahme auf und stellte mir eine Regressforderung von 6.000 DM in Aussicht. Obwohl ich in der FAZ eine Gegendarstellung erzwungen hatte, blieb das Rektorat bei seiner Forderung.
Zu Weihnachten 1982 erhielt ich die Anklageschrift wegen Betrugs zu Lasten von NRW. Ich konnte aber die Eröffnung des gerichtlichen Verfahrens eineinhalb Jahre lang verhindern und 1984 seine endgültige Einstellung erreichen. Das OLG Hamm rügte das Rektorat der Uni Münster, weil die zuständige Sachbearbeiterin die Brisanz des Themas nicht erkannt hatte. Nach dieser Schlappe änderte die Uni die Regelung der Raumvergabe. Die neue Ordnung ist erheblich restriktiver.
   





Unsere Texte nach Ressorts
GESELLSCHAFTPOLITIKKULTURREISEUMWELTWIRTSCHAFTSPORT
Ein sächsisches Dorf kann auch andersNewtons zweiter SiegWo Nachbarn zur Familie gehörenNur kein zweites KreuzviertelLiebe über den Tod hinausJede Fahrt eine DrogenfahrtEine Million Euro für die Cannabis-LobbyArmutszuwanderung? Eine Untergrunddebatte!Mails verschlüsseln leicht gemachtVerschlüsseln - eine Notlösung Soziale Demokratie geht auch ohne SPDBedingt verhandlungsbereitDas vergessene Massaker von AndischanDas Ende von Lüge und SelbstbetrugGeteiltes Volk einig im Kampf gegen IS-TerrorDie Urkatastrophe und wirDas Ende rückt immer näherNeue Regierung, neue Krisen, neue FehlerMerkels neues WirHausfotograf der deutschen Sozialdemokratie Liebeserklärung eines Linksträgers. Oder...Mit der Lizenz zum AusrastenDer beste Mann für Afghanistan"Weil sie auch nur Opfer sind"Gestatten, Gronausaurus!Missratenes PashtunenporträtDie Band LilabungalowWo Leibniz und Wagner die Schulbank drücktenHitler in der Pizza-SchachtelDie Freiheit des Radfahrens In der Wildnis vergessenStau in der FahrradhochburgMitfahrer lenken selbstÜber Wroclaw nach Lwiw - eine verrückte TourIm Frühjahr durch den Norden Polens - Teil 2Im Frühjahr durch den Norden Polens - Teil 1Sounds of KenyaDie 41-Euro-SündeRive Gauche vs. Rive DroiteOranje im Freudentaumel Drei Naturerlebnisse in einemDas Gegenteil von KollapsDas Gift von KöllikenDas große Pottwal-PuzzleBio bis in die letzte FaserDer WonnemonatKlimakiller sattDer Monsun - vom Quell des Lebens zum katastrophalen NaturphänomenR136a1 - Schwerer und heller als die SonneDie Rückkehr zur Wildnis Wie die Hausverwaltung GMRE ihre Mieter abzocktWachstum und BeschäftigungSo schmeckt der SommerMakler der LuxusklasseGeburtshelferinnen vom Aussterben bedrohtVersenkte Milliarden und eine verseuchte BuchtWohnungen als WareAufstieg, Krise und Fall der AtomwirtschaftDie längste Brücke Deutschlands entstehtDie Geschichte der 'Alternativlosigkeit' - Teil 2 Fußballtempel MaracanãGlanz und Niedergang der Fanclubsiley.de drückt Maschine Münster die DaumenUnsere Veranstaltungsreihe im Web TVFrankreich ist ein heißer Kandidat fürs FinaleSpanien wird den Titel verteidigenFür Deutschland ist im Halbfinale SchlussPolen hat das Zeug für eine ÜberraschungForscher, Fans und PolizeiFußball im Würgegriff der Mafia
 
Ja, auch diese Webseite verwendet Cookies. Hier erfahrt ihr alles zum Datenschutz