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Über und unter der Demokratie in Zumania
POLITIK | BLICKPUNKT SÜDAFRIKA (15.03.2008)
Von Konrad Kästner
Wir sitzen alle gespannt vor dem Fernseher. Die Entscheidung hat sich durch endlose Formalitäten lange hinausgezögert, fast schon wie bei einer Gameshow von gigantischem Ausmaß. Die letzte Werbepause hat gut zwei Tage gedauert.

Nun endlich steht eine weiße Frau vor den Delegierten und bittet sie, fleht sie an, erst zu feiern nachdem das endgültige Resultat verlesen wurde. Keiner der knapp 4000 Delegierten im Saal hält sich daran als verlesen wird, dass auf Thabo Mbeki nur 1505 Stimmen gekommen sind. Das macht Jacob Zuma zum neuen Präsidenten des African National Congress (ANC) und wir im Haus meiner Freundin sitzen nur fassungslos da. Suleyman kommt kurz aus der Küche, nippt an seinem Bier und meint mit einem sanften Lächeln: "We're living in interesting times."

Recht hat er. Es wird interessant. Es wird spannend. Denn Südafrika ist eines der letzten Länder, in dem sich das Volk eigenständig zur Demokratie entschieden hat. Die Welt schaut auf den neuen Musterschüler der Demokratie, und die Welt kann wenigstens feststellen, dass Nelson Mandela und Thabo Mbeki einen besseren Job gemacht haben als ihre Nachbarn im Norden. Trotzdem: Die Demokratie steckt noch tief in den Kinderschuhen und schon wird dem Volk langweilig. Die einen reden über Rugby, die anderen über 2010, einige protestieren in kleinen und nutzlosen Gruppen vor Staatsministerien und andere haben viel elementarere Probleme als sich um Politik zu kümmern.

ANC oder ANC? Hauptsache Revolution!

Wenn man dann doch mal Freunde nach Demokratie fragt, bekommt man meist nur ein Achselzucken und kommt zu der Einsicht, dass Demokratie nicht als Kompromiss Aller verstanden wird, sondern als Diktatur der Mehrheit. Und wenn man nach der Mehrheit sucht ist das sehr viel einfacher als in Europa.
Keine endlosen Wahlkämpfe und Koalitionsverhandlungen: Der ANC stellt mehr als zwei Drittel des Parlaments und kann ohne Probleme die Verfassung ändern.
Wer in diesem Land etwas ändern will, setzt instinktiv auf das beste und stärkste Pferd und ändert dadurch überhaupt nichts. Südafrika ist zu einem Ein-Parteienstaat verkommen und von der Demokratie weiter entfernt als je zuvor. Interesting times? Nein, garantiert nicht.
Es ist für den normalen Südafrikaner beinahe unmöglich direkt an der Politik seines Landes mitzuwirken. Und dieses Gefühl setzt sich in den Köpfen fest.
Ein Grund dafür ist das Wahlrecht selbst. Es wird nicht direkt gewählt, sondern nach
Konrad Kästner

Zupaman. (c) Konrad Kästner

US-Amerikanischem Vorbild mittels Wahlmännern. Diese sind genauso korrupt und emotional unentschlossen wie jeder andere Bürger und stehen nicht immer zu dem was sie ihren Wählern einmal versprochen haben. Durch diesen Zwischenschritt wird der normale Mensch auf der Straße entmündigt. Befürworter betonen, dass viele Wähler intellektuell gar nicht in der Lage sind, zur Wahl wichtige und langfristige Entscheidungen zu treffen. Man will dadurch einer Radikalisierung der Politik entgegenwirken, da der einfache Mann zu einfach von Populisten zu beeinflussen wäre. Aber das wollte man auch schon anderswo vor 100 Jahren, als Schwarze und Frauen nicht wählen durften.
Jacob Zuma wurde nun also zum Vorsitzenden der ANC gewählt, und wenn nun in 2009 das Parlament gewählt wird, kann man sich für den ANC, also für Zuma, oder für eine ganze Reihe von kleinen Parteien entscheiden. Doch was bringt das schon. Jeder wählt Mandelas Erben, jeder wählt die Sieger der Revolution, jeder wählt ANC. Nicht aus Verehrung, sondern aus Mangel an Alternativen. Kein Wunder also, dass sich niemand für Politik interessiert.

"Die da oben...!"

Normalerweise bekommt der "normale" Mann von Politik nicht viel mit. Zum Glück eigentlich. Die ständigen Stromausfälle erinnern uns daran, dass es viel schlimmer sein könnte Die Regierung Mbeki sitzt in einem Elfenbeinturm und regiert fröhlich vor sich hin. Jeder beschwert sich, doch eigentlich kann man ja nichts machen. Dieses Verhalten ist tief in der Stammestradition in Südafrika verwurzelt und die Zeit der Apartheid hat ihren Teil dazu beigetragen. Vieles wird einfach hingenommen.
Es waren nicht die einfachen Menschen die dieses Land aus der Unterdrückung erlöst haben. Es waren Intellektuelle im Exil, in Oxford oder Cambridge die wieder nach Südafrika gekommen sind und erst dann das Unrecht gesehen und ihre Brüder bewegt haben. Manchen von ihnen kann man vorwerfen, dass sie es nicht aus Liebe zu ihrem Volk getan haben, sondern aus rein pragmatischen Gründen. Trotz einer hervorragenden Ausbildung hatte man als schwarzer keinerlei Chancen zum Aufstieg. Nach 1994 hat sich das schnell geändert, und viele Mitglieder des damaligen ANC sind mittlerweile Multimillionäre die der Politik den Rücken gekehrt haben. Jacob Zuma ist einer davon. Und es ist nicht nur eine Vermutung, dass diesen Topmanagern der Aufstieg ohne die Politik nicht möglich gewesen wäre. Einfluss ist Macht, Macht ist Geld. Und wenn man dazu noch als Erlöser aus der Sklaverei gilt, ist das Geschäft geschmiert.

Die Korruption steckt von Anfang an mitten im System.

Vielen der ehemaligen Marxisten um Thabo Mbeki gefällt dieser Stil nicht. Wie kann man Jahrzehnte lang die Chancengleichheit predigen und dann seinen Brüdern nichts vom Reichtum abgeben? Sie versuchen Zuma seit einiger Zeit Steine in den Weg zu legen. Viele Steine. Zuma wird von einem Prozess in den nächsten gestoßen. Das reicht von simpler Korruption im Fall Shabir Sheik über Verstrickungen in den Mord des Minenmagnaten Brett Kebble bis hin zu dubiosen Waffengeschäften die ihre Spuren sogar quer durch die Schmiergeldaffäre der CDU und den Waffenhändler Schreiber ziehen. Als Kirsche auf dem Kuchen kommt dann noch ein Prozess wegen Vergewaltigung.

Er ist kontrovers und umstritten. Und das ist vielleicht sogar das Beste an ihm.

Er ist eine schillernde Figur. Er ist ein Playboy. Eine gute Mischung aus Rhetorik, Charme, Sex und Skandal. Wenn Sarkozy die Vorstädte mit Hochdruck reinigen will, und wenn Berlusconi Tarja Halonen mit seinem "männlichen Charme" zum Vertragsabschluss überreden konnte, ist die Welt entsetzt. Doch Sarkozy, Berlusconi und Chavez sind Witzfiguren gegen Zuma. Er hat öffentlich zugegeben, Sex mit einer Frau gehabt zu haben, von der er wusste dass sie HIV positiv war. Unverhüteten Sex natürlich, wie sich das für einen echten Mann gehört. Aber kein Problem: "I took a shower afterwards." In einem Land in dem ein Drittel der Bevölkerung durch AIDS wegstirbt, ist das nicht gerade förderlich.
Und trotzdem: Jeder Zweite in Südafrika würde ihn wählen, wenn er wählen dürfte, denn er gilt als Mann des Volkes. Die starke Stellung des Präsidenten in Südafrika macht es möglich.

President Superman

In den Augen vieler Menschen ist der Präsident für alles verantwortlich. Wenn nun etwas schief geht, ist immer Mbeki schuld. "I wrote a letter to president Mbeki, but he hasn't replied.” Ein anderer sagt: "We are struggeling. We are poor. Where is the government? Where is Mbeki? Come down here Mbeki, help us!" Natürlich kommt Mbeki nicht. Das kann er auch gar nicht.
Doch Zuma kann es. Zuma ist einer von ihnen. Zuma ist das Wundermittel gegen alles. Er verspricht alles, er liebt alle, und tatsächlich glauben die Menschen, dass er ihre Probleme lösen wird. Er kommt persönlich zu ihnen, kauft dem Kind die Schuluniform, baut ein Haus oder repariert den Abfluss.
Das könnte eine simple Überhöhung sein, doch leider sind es Äußerungen von Verwandten meiner Freunde, und leider wird so erfolgreich Wahlkampf gemacht.

100 % ZULU

Bedrohlich ist auch, dass Zuma das Stammesthema wieder aufwirft, es für sich benutzt und damit stark polarisiert. Erst kürzlich hat er seine vierte Frau geheiratet. Nicht in Schlips und Kragen, sondern tanzend mit Schild und Speer - medienwirksam inszeniert. Auf einem seiner T-Shirts steht 100% Zulu Boy, und das stimmt auch. Dabei macht die größte Bevölkerungsgruppe trotzdem nur 26% der Bevölkerung in Südafrika aus. Lange Zeit galt der ANC unter Mandela als Partei der Xhosas, und die IFP als die Partei der Zulus. Beide Bewegungen haben für die Freiheit gekämpft und das Land kurz nach 1994 für den Kampf um die politische Vorherrschaft fast in einen Bürgerkrieg gestürzt. Unter dem großen und erfolgreichen Banner der ANC sind diese Differenzen ein wenig abgeklungen, und sogar ein Zulu ist nun Präsident dieser Partei. Nur macht er daraus leider ein großes Spektakel und könnte die Partei damit spalten. Man könnte annehmen, dass eine Spaltung des ANC in zwei gleichgroße Parteien das Land wieder in die Demokratie aus Regierung und Opposition zurückführen könnte, doch leider würde diese Spaltung auch genau entlang der ethnischen Linie durch die Bevölkerung gehen.
Zum Glück sind die meisten im ANC machthungrig genug um zu begreifen, dass eine Spaltung des ANC sie persönlich in die Opposition verbannen könnte.

Die Demokratie ist tot! - Lang lebe die Demokratie!

Der Großteil der Bevölkerung mag ihn nicht. Doch fast alle wollen einen Wechsel. Und Zuma ist die einzige Chance. Es gibt den Menschen wenigstens die Illusion, an dem großen Spiel Demokratie teilzunehmen.
Zuma hat das Land gespalten. Er wird dieses Land ruinieren. Er wird dieses Land schon durch seine bloße Anwesenheit international blamieren.
Es ist zu hoffen, dass man dann langsam erkennen wird, dass nicht Zuma an all dem Schuld ist, sondern die Menschen die ihn unterstützt und so gewählt haben. Sie werden sich fragen wie das nur passieren konnte. Und sie werden das nächste Mal nicht nur daneben stehen sondern die Politik ihres Landes aktiv mitgestalten. Hoffentlich.
However: "We're living in interesting times!”
   








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