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Ein Edelweiß in Pnom Penh
GESELLSCHAFT | BLICKE AUF DEUTSCHLAND (15.02.2005)
Von Marcus Häußler †
Es ist zwölf Uhr Mittag und Ullrich Zdrzalek sitzt im Restaurant "Edelweiss" im Zentrum von Pnom Penh. Vor ihm steht ein großes Glas Eistee mit Zitrone, denn es ist heiß in der Hauptstadt Kambodschas.

Der Blick des deutschen Lokalbesitzers schweift entlang der Flusspromenade, die von Ausländern und Einheimischen gleichermaßen belebt wird. "So kann man hier nicht rumlaufen. Das ist anstößig", empört sich der über 60-jährige bei dem Ausblick auf zwei auffallend karg gekleidete Touristinnen. Seit dem Jahr 1993 lebt der deutsche Wirt in Südostasien und kennt die Kultur und deren Sitten.

Mit 50 Lebensjahren wollte Zdrzalek aufhören zu arbeiten. Erst jedoch, wenn seine Rente einbezahlt ist. Dafür war der gelernte Bäcker und Konditor lange Zeit im Staatsdienst beschäftigt. Nach verlängerter Wehrzeit fand er über zehn Jahre in der Sicherheitsabteilung am Frankfurter Flughafen eine Anstellung. Später ging er ebenfalls als Staatsdiener zur Deutschen Bundespost. Im privaten Wachschutz beaufsichtigte Zdrzalek nebenher Banken, Fabriken und Messen. Seine Arbeitstage dauerten oft 18 Stunden. "Ich hatte von meiner Arbeit einfach die Nase voll", benennt er einen weiteren Grund, aus Deutschland auswandern.

Obwohl ein Emailleschild am Eingang das Restaurant als ständige Vertretung des Fürstentums Lippe ausweist, beteuert der Gastgeber, nur wenige Kontakte in die Heimat zu pflegen. Freundschaften dorthin sind ihm offenkundig nicht teuer. Dennoch telefoniert er an diesem Nachmittag zweimal angeregt mit Bekannten aus Deutschland. Bei ihrem nächsten Besuch sollen sie unbedingt einige Tuben Senf mitbringen, bittet der Gourmet einen seiner Münchner Telefonpartner.

Dass sich Ullrich Zdrzalek in seinem Leben nicht nur Freunde gemacht hat, zeigte im November 2004 ein Blick auf die Webseiten seines Lokals. In großen Lettern stand geschrieben: "Ulli did not pay his bill". Darunter finden sich gleich mehrere Schuldforderer, die dem Gastronom Geld und Dienstleistungen geliehen haben wollen. Deren Ansprüche weißt Zdrzalek auf Nachfrage von sich. Seiner Ansicht nach sind die Akteure der Internetpräsenz "Halsabschneider", mit denen er früher in Deutschland geschäftlich zu tun hatte. Mehr offenbart der Patissier nicht. Sein Internetauftritt ist heute nicht mehr erreichbar.

1996 war der Westfale aus dem Kreis Lippe das erste mal in Kambodscha. Damals wollte er nur sein Visum für das benachbarte Thailand verlängern, wo er schon seit drei Jahren in Pattaya ein zu Hause gefunden hatte. Auf seiner Reise zur deutschen Botschaft in Pnom Penh besuchte er ein Restaurant mit deutscher Küche und beschwerte sich über das ihm angebotene Essen. Der ebenfalls deutsche Betreiber bedauerte die Unzufriedenheit des Gastes und verwies auf sein Personal, welches nicht mit Salz und Pfeffer umgehen könne. Die beiden Deutschen kamen überein, dass Zdrzalek das Küchenpersonal ausbilden und in die Deutsche Küche einführen soll. Die Entscheidung, seinen Wohnsitz von Thailand nach Kambodscha zu verlegen, fiel ihm leicht. "Thailand war einmal das Land des Lächelns. Heute ist es das nicht mehr", gibt er zu Bedenken.

Bevor er im Jahre 2002 ein eigenes Lokal in der Hauptstadt des alten Khmerreichs eröffnete, sammelte er Erfahrungen als Küchenmeister in einem Fünf-Sterne-Hotel in Siam Reap. In Sichtweite zum Weltwunder Ankor Wat füllte er die Kuchentheken des Luxushotels und traf besonders mit seiner Sachertorte den Geschmack der noblen Gäste. Bald will er auch in seinem Restaurant eine Auswahl an Torten und Gebäck anbieten. Stolz ist er auch auf die acht verschiedenen Kartoffelbeilagen, die man bei ihm bestellen kann. Hausgemachte Bratwurst mit Sauerkraut und Kartoffelpüree mögen nicht nur seine deutschen Gäste. Die Mehrheit der circa 150 Deutschen in Pnom Penh, kochen lieber ihr eigenes Süppchen. Sie wurden zumindest noch nicht im ?Edelweiss' gesehen. Ulli trinkt seinen Eistee und bleibt gelassen . Er plant, in drei Jahren nach Deutschland zu fliegen. "Da werde ich meine Rente beantragen und dann schnell wieder zurück."
   



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