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Der Radfahrer - das Zwitterwesen
GESELLSCHAFT | BEWEGUNG IN DEUTSCHLAND (15.02.2006)
Von Torsten Wieland
Betrachtungen eines nichtmilitanten Radfahrers ...

§1StVO
2. Jeder Verkehrteilnehmer hat sich so zu verhallten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.


Puuh! Herzschlag! Adrenalin!
Da hab ich ja mal wieder Glück gehabt!
Aber mit Glück hat das eigentlich nichts zu tun. Seit ich in Leipzig wohne und täglich mit dem Rad unterwegs bin, habe ich mir angewöhnt beide Hände an den Bremsen zu lassen.
Das erweist sich zunehmend als lebensrettende Sofortmaßnahme. Nicht das ich von Haus aus ein ängstlicher Fahrer bin, aber die Leipziger Autofahrer haben mir doch das Fürchten gelehrt. So auch Dieser, der mir seinen wunderschönen Mittelfinger entgegenreckt. Schließlich bin ich ja auch wirklich selbst Schuld, weshalb bestehe ich darauf, dass er beim Abbiegen vorhandene Radwege und darauf befindliche Zweiradler beachtet?
Entschuldigung, mein Fehler!

Laut StVO gelten Radfahrer als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer. Aber wir Radfahrer leben naturgemäß in einer Grauzone - irgendwo zwischen Motor-Mobilisierten und Fußgängern.
Wir führen das mobilisierte Dasein eines Zwitterwesens. Und das bekommen wir täglich zu spüren. Auf vernünftigen "erwachsenen" Straßen dürfen wir nicht fahren, denn dort behindern wir den Verkehr. Auf kleineren Hauptstraßen und auf Nebenstraßen dürfen wir zwar fahren müssen uns aber mit Schlaglöchern, Straßenbahnschienen, kampfbereiten Autofahrern, verträumten Fußgängern und nicht minder desorientierten Vertretern der eigenen Spezies herumschlagen. Auf Fußwegen sind wir zwar inzwischen geduldet, werden aber ständig - von vor allem älteren Mitbürgern - daran erinnert, wo wir hingehören: nämlich in die Schranken eines Radweges.
Ach ja der Radweg! Für sich eine gute Erfindung, wenn nur die restlichen Verkehrsvorfahrtnehmer nicht wären. "Rot wie Radweg!", rufe ich den kreuzenden Zweifüßlern zu, wenn mal wieder einer von ihnen die 1,5 Meter breite rote Spur auf dem Boden vollkommen ignoriert. Ich baue auf einen gewissen Erziehungs- u. Erinnerungseffekt: "Rot auf dem Boden? Ach ja, die Zwitterwesen."
Vergesse aber, dass der Zweibeiner mich als einen Eindringling in seinen Fortbewegungsraum betrachtet. Deshalb ernte ich meist auch nur müdes:
"Dann fahr doch auf der Straße. du...!".
Bei Autofahrern bedarf es schon etwas mehr Einsatzes. Will man hier einen Erinnerungseffekt erzielen, muss man sich schon geschickt über deren Motorhaube abrollen oder aber Zentimeter vorher zum Stehen kommen. Aber das ist schon die hohe Kunst des Erziehens!

Radwege tragen also nur zur Verfestigung unseres Zwitterstatus bei.
Wir sind nicht Fisch, nicht Fleisch!
Aber wer sind wir eigentlich ?
Wir haben kein Blechkarosse als Schutz. Wir können bei Regen keinen Schirm schützend vor uns halten und wir werden auf der Straße und auf Gehwegen meist als lästiges Übel empfunden. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille!
Wir sind umweltbewusst. Wir sind fitt. Wir sparen Geld.
UND ganz nebenbei sorgen wir noch dafür, dass die Autofahrer, die ständig auf uns schimpfen, nicht noch mehr im Stau stehen. Denn was wäre, wenn wir uns entscheiden würden ab morgen unser Rad einzumotten und nur noch Auto zu fahren ?
Ja daran schon gedacht liebe Autofahrer ?!
Wir frieren uns bei 5 Grad unter Null den Allerwertesten auf unseren Drahteseln ab, damit ihr zügig durch den Stadtverkehr kommt. Wir fahren ohne Schutz durch den Smog, damit ihr wenn ihr aussteigt keinen Mundschutz braucht.

iley.de

Rad an Rad. (c) iley.de

Doch soll hier auch Platz für eine kritische Betrachtung unserer Spezies sein. Nach dem Fußgänger sind andere Radfahrer unsere häufigsten Unfallgegner. Das sollte nicht verwundern! Viele Zweiradler arbeiten sehr intensiv daran, unseren schlechten Ruf und unsere Zwitterstellung zu verfestigen. Autos müssen aller zwei Jahre zum TÜV. Bei Rädern gibt es keine derartigen Regelungen. Gerät der Zweiradler nicht in eine Polizeikontrolle - und diese Chance ist wirklich sehr gering, muss er den Zustand seines Rades auch vor Niemanden verantworten. Und deshalb sehen Räder mitunter aus als hätten sie bereits den Zweiten Weltkrieg erlebt (und einige haben das wohl auch und sahen seitdem kein Werkzeug): Bremsen, die nur noch antiquierte Schmuckelemente am Rad baumeln; Profil, dass den Namen schon lang nicht mehr verdient und Ketten, deren Rost regelrecht gezüchtet erscheint.

Für die Instandhaltung und Wartung von Rädern existieren keine Vorgaben des Gesetzgebers. Hier ist jeder "seines Rades und Glückes Schmied". In Sachen Sicherheit ist der Gesetzgeber schon etwas "munterer". In der StVO lässt sich folgender unerlässlicher Hinweis finden:
"Die Füße dürfen sie nur dann von den Pedalen oder Fußrasten nehmen, wenn der Straßenzustande das erfordert."
Ah, ja; gut zu wissen! Bis auf diesen wohl nicht ganz ernst gemeinten Hinweis wird das Thema Sicherheit für Radfahrer in der Straßenverkehrsordnung vollkommen ausgespart. So müssen zwar alle Führer von Krafträdern "mit einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von über 20 km/h" einen "geeigneten Schutzhelm tragen", uns Fahrradfahrern traut man solche Geschwindigkeiten jedoch nicht zu. Deshalb sucht man eine Fahrradhelmpflicht in der StVO vergebens, auch für Kinder. Allein die Tatsache, dass sie bis zum 8. Lebensjahr auf Gehwegen fahren sollen, schützt die kleinen Zweiradler nur unzureichend.

Unbeachtet von Gesetzgeber und finanzstarken Lobbys scheint bei vielen meiner Zweiradkollegen nur eine Verkehrsregel zu existieren:
"Alles darf, nichts muss"
Den Beweis dafür treten sie täglich an:
"rechts fahren" oder "rechts vor links" werden wohl eher für Slogans der NPD gehalten, als für simple Verkehrsgrundregeln.
Nun ja der Fehler steckt mal wieder im System. Ein paar Tage Verkehrserziehung in der Grundschule sind zwar ein erster Schritt für unsere Kinder in eine hoch mobilisierte Umwelt, doch bei Weitem nicht ausreichend. Das Wissen um Verkehrsregeln und -zeichen ist wichtig, doch genauso wichtig ist eine Fahrradkompetenz, die es ermöglicht in kritischen Situation adäquat zu handeln. Da hilft nur üben, üben, üben und das unter realen Bedingungen und unter Aufsicht - hier sind die Eltern gefragt.
Doch wer als Kind das Auto von Papa auf einem Parkplatz fahren darf, ist deswegen noch lange kein guter und vor allem kein zugelassener Autofahrer. Für das Zwitterwesen Radfahrer gilt das nicht. Radfahren darf jeder und wenn er es nicht beherrscht, dann wird er dies schon, meist schmerzhaft, bemerken!

Als ich vor einem ausländischen Mitbürger ein Plädoyer für eine Fahrprüfung für Radfahrer hielt, schüttelte jener nur mit dem Kopf und meinte "...typisch deutsch: Alles regulieren!"
In diesem Fall bin ich es gern!
Warum kein "Führerschein" für Radfahrer ?
Durchgeführt in den Schulen unter Aufsicht der Polizei, einen Theorie- und Praxisteil enthaltend, könnte eine "Fahrrad-Fahrschule" dazu beitragen, dass das Bewusstsein der Radler aktive, gleichberechtigte Verkehrteilnehmer zu sein wächst.

Wer seine Pflichten kennt, der ist sich auch seiner Rechte bewusst!

Gut Rad!

   






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